Bruder Franz' bessere Gründe

von Henryk Goldberg

Rudolstadt, 19. März 2016. Da oben sitzen zwei Männer, es sind Brüder. Sie begleiten den Gesang der Frau. Sie heißt Amalia, die unten sitzt und traumschön, traumverloren des Geliebten gedenkt im traurigen Lied. Da kommt ein alter Mann, dem träumte von seinem Sohn. So träumen sie alle, die beiden Brüder, die junge Frau, der alte Mann: Wie es sein könnte, das Leben.

Und so fängt Regisseurin Ulrike Müller die immer ein wenig knarzenden Sentenzen des alten Moor auf in einer wunderbaren Szene, so wie sie später den Hermann zum szenischen Scherz macht. So erzählt sie uns, so will sie uns erzählen, wie die beiden Brüder doch Fleisch vom gleichen Fleische sind, wie sie einander wert sind womöglich. Aber das stimmt nicht, denn der eine ist ungleich stärker als der andere. Denn der eine ist eine Kanaille mit bösem Witz und der andere ein Kerl ohne Kraft. Und ungefähr das ist das Problem des Abends: Die fehlende Kraft.

Parolen an der Wand

Und genau das ist es doch, was diesen erfolgreichsten und folgenreichsten Erstling der Theatergeschichte durch die Zeiten trägt: Die Kraft zum Widerstand, die Energie der Verweigerung, der Aufschrei zur Rebellion. Wogegen auch immer. "In tirannos", schön und gut, aber der Tyrann ist nichts als ein intriganter Schweinehund. Also benötigt jede Zeit und jede Aufführung einen Grund für die Rebellion. Ulrike Müller lässt ihre Gründe an die Wände schreiben mit Kreide: "Was ist mein Ziel?" "Was habe ich zu verlieren?" "Was tun?". Und: "Freiheit". Und so weiter.

Rauber2 560 Peter ScholzVerweigerm und kämpfen: Laura Bettinger, Günther Sturmlechner, Hans Burkia in "Die Rauber" 
© Peter Scholz

Sie stehen so an der Wand, weil sie anders nicht zu erkennen wären, weil sie nirgendwo auf der Bühne eine Entsprechung finden. Diese Gang könnte auch von einem geführt werden, der Hotzenplotz hieße. Er heißt aber Karl. Johannes Geißer hat nichts von dem Kraftkerl, der ein Karl doch auch sein müsste, nicht zwingend in seiner Körperlichkeit, aber in seiner Ausstrahlung, seinem Charisma. Der Schauspieler kann – oder darf? – weder eine Präsenz als Mann erspielen noch eine geistige Dominanz, nirgendwo zeigt er uns, warum die Bande ihn zum Hauptmann wollte. Und jenseits des Textes findet er keine Gründe zur Rebellion, die stehen nur an den Wänden. Als wollten sie die Figur gleichsam entheroisieren, enthelden sozusagen, ein Typ wie du und ich mit der allgemeinen Lebenssattheit.

Konfrontation unter Gleichen

Will wohl sagen, es gibt keinen wirklichen, die Gesellschaft meinenden Gedanken für eine Rebellion, die mehr umfasst als den Zirkel, den ein Ich um sich schlägt. Die Rebellion geht durch den Magen. Das mag man eine Konzeption nennen, aber so bleibt die zentrale Figur seltsam kraftlos. Und mit ihm der Abend. Dabei, Ulrike Müller kann inszenieren. Das Ensemble steht zur Introduktion an der Rampe und singt "Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder...". Dann ruft einer "Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum..." und ein anderer: "Ich habe große Rechte über die Natur ungehalten zu sein..."

Rauber3 560 Peter ScholzSchiller'sche Apfel-Reichung in den "Räubern" © Peter Scholz

Da haben wir gleich die beiden Gleichen, ihre Konfrontation und ihr Uneinverständnis mit den Zeitläufen. Der Unterschied hält sich in Grenzen, sie sind, wie einer von ihnen anmerkt, in der Tat aus dem gleichen Ofen geschossen, will sagen: Der gleichen Gesellschaft. Nachdem sie getrommelt und gekritzelt haben, die Parolen an die Wand, kommt ein alter Mann mit einem Gewehr auf die Bühne und einer fragt sehr höflich "Ist euch auch wohl, mein Vater?" Das ist lustig und dass der Frager einen Apfel auf dem Kopf trägt, ist es vielleicht auch, kann sein, er musste dem Vater gelegentlich zum Ziele dienen, schwere Kindheit. Später wird er an diesem Apfel ersticken.

Sanfte Kälte

Bis dahin aber ist Günther Sturmlechner guter Dinge. Gelegentlich fällt er, der Schauspieler ist Österreicher, in sein heimatliches Idiom, das macht die Bosheit noch ein wenig boshafter. Er lacht auf diese traurige Weise, wenn er dem Vater erzählt, wie der ihn behandelte wie Gott den Kain, also ungerecht, er lacht, wenn Amalia ihn auf den Boden wirft, er bemüht sich, wie ein dritter Richard, das Publikum zum Komplizen zu machen, da ist eine gleichsam sanfte Kälte, er betet, dass wir einen Augenblick glauben, er könne es wirklich. Und er trägt vor allem seine Sache überzeugender vor als sein Bruder, denn der hat keine Sache. Er weiß, was er will und zeigt es uns, sein Bruder weiß nicht, was er wollen könnte und hat also Wenig zum Zeigen.

Doch, Amalia hätte er gewollt. Laura Bettinger ist kein Huschelchen, wenn der Kerl zwischen ihren Beinen barmt, dann lacht sie, sie hat mehr Kraft als Angst. Und ist sehr intensiv in der Begegnung mit Karl, obgleich sie ihn hier, dem Text folgend, noch nicht erkennt, spielt sie genau das, eine der wenigen Szenen mit Untertext.

Moor'scher Apfelabschuss

Beim Franz reicht es nicht zum Suizid, er erstickt am Apfel, wirklich. Wir wollen einmal denken, das sei lustig, denn Schillers goldene Hutschnur ist auch eine Albernheit. Aber was soll der Zuschauer denken, der die Regieanweisung womöglich nicht im Kopf hat? Dann erschießt Karl umstandslos die Braut und den Vater, dann gleich die Räuberkumpels mit – die tragen jetzt Masken, weil der eigentlich tote Spiegelberg wieder mitspielen muss, - was soll's, und endet mit Heiner Müller "Ich habe mein Leben vertan". In der Tat, dem Manne konnte nicht geholfen werden. Dafür wollen wir hier aber nicht die Gesellschaft in Haftung nehmen, nur die Regisseurin.

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Ulrike Müller, Bühne und Kostüme: Mathias Werner, Jan Lehmann, Dramaturgie: Udo Eidinger, Musikalischer Einstudierung: Thomas Voigt.
Mit: Hans Burkia, Johannes Geißer, Günther Sturmlechner, Laura Bettinger, Verena Blankenburg, Markus Seidensticker, Marcus Ostberg, Jochen Ganser, Joachim Brunner, Tino Kühn.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.theater-rudolstadt.de

 

Kritikenrundschau

Ulrike Kern sah für die Ostthüringer Zeitung (21.3.2016) eine "rundum stimmige Inszenierung, die in den Köpfen und Diskussionen der Zuschauer noch lange nachhallen wird." "Zwei Stunden lang geht es um Leben und Tod und um die Frage nach Gerechtigkeit", bevor Kern schließlich eine "bejubelte Premiere" konstatieren kann.

Zwischen Versen von Heiner Müller und Eduard Claudius verortet Ulrike Müller  Schillers "Räuber" – "und das gelingt ihr über weite Strecken erstaunlich schlüssig, so Frank Quilitsch in der Thüringischen Landeszeitung (22.3.2016). "Denn hier
lodert Schillers Sturm-und-Drang-Drama nicht nur als revolutionäre Fackel über die Bühne, sondern werden Beweggründe und Handlungen der Protagonisten kritisch hinterfragt." Karl sei hier kein Weltverbesserer, sondern ein Rächer, weil der Vater ihn enterbt hat.  "Und Rache gebiert keine bessere Welt, nur Unheil."

 

Kommentare  
Die Räuber, Rudolstadt: das Publikum ist reifer
Herr Goldberg, nicht mehr und nicht weniger, als ein pubertierender, gegen Vaterhaus und Konventionen rebellierender, der dem Popen von jedem Finger einen vormals erschlichenen Diamantenring zieht, nicht mehr und nicht weniger als der Ekel vor dem Establishment, die Verlogenheit des Adels und der Kirche, bringen den Heißsporn Karl auf die, scheinbar berechtigte, gerechtere - und dennoch schiefe Bahn. Keine Contenance, keine Einsichten, klugen Pläne, - so der Ekel des Geheimen Rates Goethe gegen die " Räuber" von diesem "unreifen" Schiller.
Wie schön, dass auch das Publikum reifer, als dass die von Goldberg konstruierte Differenz, mehr verfangen könnte, als die grandios Arbeit von Ulrike Müller an sich, die die von Ihnen so vermisste "Kraft" eindringlich, auf die klugen Texte reduzierte. Dazu das ausdrucksstarke, komprimierende Bühnenbild. Tatsächlich ging es ohne überbordendes Pathos und ohne "Fantasy", besser in so manchen neugierigen Rudolstädter Geist, als Ihre Kritik nun noch von Gegenstande wär.
Glückwunsch Ulrike Müller und diesem kleinen, feinem Ensemble
Die Räuber, Rudolstadt: Last der 68er
@Ulrich von Grünhagen - was Sie da schreiben...? Karl Moor, der möglicherweise zu Beginn des Textes studentisch ein bisserle grossmäulig daherkommt, wird zum Räuber, weil er sich vom Vater verstossen wähnt. Er muss quasi zum Widerstand gegen die Elterngeneration gezwungen werden - durch Ablehnung. Eine überraschend kluge Beobachtung des rasend jungen Schiller. Er wäre nur zu gern in den Schoß von Establishment, Adel und Kirche gekrochen, nur scheinen die ihn zu verstossen im - von Franz geschriebenen - Brief des Vaters. Es sind verletzte Liebe, verletzte Eitelkeit, Narzissmus, die ihn einen Räuber werden lassen. (Woraufhin er dann bald erkennen wird, dass er sich auf einen Weg hat drängen lassen, der seinen moralischen Grundsätzen widerspricht.)
Dieses Problem hat noch keine der von mir gesehenen Inszenierungen schlüssig erzählt, weil in aller Regel die Theaterleute auch unbedingt "Revolutionäre" sein (furchtbare Last der 68er) und deswegen genauso unbedingt mit Karl sympathisieren wollen. Und dann nimmt das Unglück der undialektischen Inszenierungen seinen Lauf... ;-)
Karl Moor heute würde möglicherweise auf dem Platz vor der Semperoper stehen oder Flüchtlingsbusse überfallen, weil ihm die Flüchtlinge vom Übervater (hier: -mutter) bevorzugt scheinen.
Die Räuber, Rudolstadt: nicht kraft-, orientierungslos
Ich habe keinen kraftlosen sondern einen orientierungslosen Karl gesehen. Das hat viel mit der Gesellschaft heute zu tun und viel mit Schiller und vielleicht auch mit der Intention Regisseurin. Und Herr Goldberg nur eine kleine Bemerkung am Rande: In der Inszenierung die ich gesehen habe, lag Spiegelberg bis zum Schlussapplaus "tot" auf der Bühne und das Publikum machte nicht den Eindruck einen kraftlosen Abend "überstanden" zu haben - im Gegenteil.
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