Drei Schwestern – Bei David Bösch darf am Wiener Burgtheater der Staub an Anton Tschechows berühmtem Stück einfach dranbleiben
"Blablabla" trällern sie ...
von Leopold Lippert
Wien, 24. März 2016. Dies gleich vorneweg: David Böschs Inszenierung von "Drei Schwestern" am Wiener Burgtheater ist so brav, dass jeder auch nur ansatzweise bedeutungsschwangere Satz sofort frontal in Richtung Publikum deklamiert wird. Dieser Tschechow ist so brav, dass Bühnenbildner Harald B. Thor in den schwarzen Burgguckkasten gleich noch einen Guckkasten gebaut hat, einen sich nach hinten verjüngenden Landhausgerüstguckkasten nämlich, unbeweglich, mit Wänden aus Plastikplane und altem Laub auf dem Dach. Dieser Tschechow ist so brav, dass nach jedem der vier Akte tatsächlich der Vorhang fällt (nur nach dem zweiten, da fällt er nicht so ganz, aber das liegt an der Technik, die sich sträubt). Dieser Tschechow ist so brav, dass er weder ästhetisch etwas riskieren will, noch in irgendeiner Form gesellschaftspolitische Relevanz artikuliert. Dieser Tschechow ist ein hundertjähriger Klassiker, an dem der Staub einfach dranbleiben darf.
Stilsicherer Staub: Harald B. Thors Bühnengehäuse für die provinzverbannten Schwestern
© Georg Soulek
Wodkawarme Melancholie
Dabei sieht man dem Burgensemble durchaus beglückt beim Verdämmern in der russischen Provinz zu: Philipp Hauß etwa, dessen Andrej aufbrausend und schüchtern zugleich ist, der seine drei Schwestern erst hysterisch mit dem Geigenbogen herumdirigiert und dann doch nur kleinlaut um ihre Anerkennung winselt. Oder Marie-Luise Stockinger, deren Irina mit großen Augen immer sehnsuchtsvoller in Richtung Moskau schaut, und die dem stets gut parfümierten Wassilij (Michael Masula) ihren Ekel beinahe entgegenwürgt, als er ihr seine Liebe gesteht. Oder Martin Vischer, dessen Baron sich jugendlich und ungestüm und unbändig am Leben freut, bis er im Duell mit Wassilij um eben dieses Leben gebracht wird. Oder Stefanie Dvorak schließlich, deren Natalja sich blitzschnell vom überforderten Landei zur alles dominierenden Patronin verwandelt, und die, durch ihre Mutterschaft sozial legitimiert, die Schwestern genüsslich aus dem Haus ekelt.
Und allen lauscht man gerne bei spontanen mehrstimmigen Gesangseinlagen, die das Publikum besonders in der ersten Hälfte in wodkawarme russische Melancholie einlullen. Unterstützt von den famosen Bühnenmusikern Bernhard Moshammer und Karsten Riedel, unterstützt von Akkordeon, Klavier und Geige, zeigen die Schauspieler*innen, dass man es sich im Tschechow-Ennui durchaus auch gemütlich einrichten kann.
Melancholia à trois: Katharina Lorenz (Olga), Aenne Schwarz (Mascha), Marie-Luise Stockinger (Irina)
© Georg Soulek
Unverhofft berührend
Man sieht, hier wird Schmerz, hier wird Verzweiflung, hier wird Liebe, hier wird Langeweile gespielt, aber Böschs Inszenierung schreibt diesen Empfindungen keinerlei Bedeutung zu. "Nach Moskau!" rufen alle unentwegt sehnsuchtsvoll, auch wenn Moskau dieser Tage wirklich nicht mehr als Sehnsuchtsort durchgeht. Bei Tschechow steht es eben so im Text, und so ein Text will gepflegt werden. Und deswegen kredenzt Bösch eine Abfolge von altbekannten Theaterzeichen, die alle so etwas wie Schwermut ausdrücken wollen: welke Blätter, staubige Erde, fahles Licht, nach der Pause ein ruinenhaftes Haus (Irina war's, sie hat die Plastikplane zerfetzt!), und viele (zu) schnell gerauchte Zigaretten. Dazu gibt’s Mäntel für jede Stimmungslage: Pelzmäntel, Morgenmäntel, Soldatenmäntel, schwarze Begräbnismäntel, und knallrote Vampmäntel. So weiß man: Hier fröstelt es.
Bei so viel Vorhersehbarkeit ist es dann doch unverhofft berührend, wie Bösch den schönsten Moment des Abends in einen Augenblick völliger Inhaltsleere setzt. Als die Tschechow-Dialoge wieder einmal im Nichts versanden, als aus Halbsätzen irgendwann nur mehr Gestammel wird, macht er genau dieses Blabla zum Programm: Ganz zart beginnen die Schauspieler*innen zu singen, bald wird es lauter und inbrünstiger: "Blablabla" trällern sie, sinnlos und doch sinnlich, voll Freude am Klang ihrer eigenen Stimmen, voll Hoffnung nach dem guten Leben, das ein paar Sekunden lang erreichbar scheint. "Blablabla" ist traurig und lustig zugleich, ein verspieltes Lobpreisen des Tschechowschen Unsinns, der in dieser Inszenierung ansonsten unter allerlei stilsicherer Stadttheater-Konvention begraben wird.
Drei Schwestern
von Anton Tschechow
Deutsch von Werner Buhss
Regie: David Bösch, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Meentje Nielsen, Musik: Bernhard Moshammer und Karsten Riedel, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer.
Mit: Elisabeth Augustin, Stefanie Dvorak, Philipp Hauß, Dietmar König, Fabian Krüger, Katharina Lorenz, Michael Masula, Bernhard Moshammer, Karsten Riedel, Falk Rockstroh, Aenne Schwarz, Marie-Luise Stockinger, Martin Vischer.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.burgtheater.at
"Es geschieht nämlich gar nichts.", bemerkt Ronald Pohl für Der Standard (25.3.2016). Allerdings sei das keinesfalls ein Nachteil, Regisseur Bösch müsse man dazu "gratulieren, nicht schlauer sein zu wollen, als es der dichtende Beziehungschemiker Anton Tschechow (1860-1904) jemals vorgab zu sein."
"Gruppenbilder von enigmatischer Schönheit", sah Hans Haider für die Wiener Zeitung (25.3.2016) und lobt vor allem die Schauspieler. David Bösch sei keiner, der Dichterentwürfe umkrempelt, "aber ihm gelingt Unvermutetes, Neues". "Klassisch-perfekt", findet Haider die Inszenierung.
Hartmut Krug geht für den Deutschlandfunk (26.3.2016) hart mit dem Abend ins Gericht: "Insgesamt schleppt sich der Abend, obwohl das Stück auf zweieinhalb Spielstunden gekürzt wurde, so schwerfällig wie uninspiriert dahin." Trotz "kleine(r) schauspielerische(r) Kabinettstücke" seien die meisten Figuren in der Inszenierung "von zeitloser Undeutlichkeit". "Hier hat ein junger, angesagter Regisseur mit einem Klassiker deutlich nichts Rechtes anzufangen gewusst.", beendet Krug seine Rezension.
"David Bösch ist seit 2009 eine Art Hausregisseur an der Burg, geprägt hat er das Haus aber kaum", holt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (31.3.2016) etwas weiter aus. "Auch diese unentschiedene Inszenierung, seine zehnte Wiener Arbeit in sieben Jahren, hinterlässt keinen bleibenden Eindruck." Zu viel Regie könne man Bösch nicht vorwerfen, im Gegenteil. Seine drei Schwestern machten nicht nur deshalb einen verlorenen Eindruck, weil sie in der Provinz festsitzen, "sondern auch, weil es kein Konzept gibt, an dem sie sich festhalten könnten. Bösch lässt das Stück einfach laufen, das geht mal mehr, mal weniger gut."
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Die größte Fehlbesetzung jedoch Stephanie Dvorak, dass man nach so einer Leistung im Burgtheaterensemble verbleiben kann ist erstaunlich.
ad respektabene: david bösch brauchen sie beileibe nicht zu danken, sie waren ganz offensichtlich nicht drin: der abend ist atemberaubend langweilig, belanglos und tut dem text in keinem moment irgendetwas gutes.
frohe traurige burgtheater-ostern.
Das ist die Kernschmelze. Jetzt beginnt das Burgensemble selbst, sich hier im Kommentar gegenseitig zu zerfleischen.
Auch für mich war Stephanie Dvorak eine der ganz große Hoffnungen auf eine großartige Karriere, aber leider hat sich das nicht erfüllt. Ähnlich Nicholas Ofczarek, was war das für ein wunderbarer junger Schauspieler und was ist aus ihm geworden! Leider gibt es immer wieder solche Schicksale am Theater.
Ich habe die "Drei Schwestern" am Ostersonntag gesehen. So innerlich leer habe ich das Burgtheater selten verlassen.