15000-Dollar-Adoptionen

von Jürgen Reuß

Freiburg, 24. März 2016. Man möchte mit einem Stoßseufzer beginnen: Ach, diese Suche nach dem Theater auf Augenhöhe mit der Globalisierung! Schon länger treibt sie auch das Theater Freiburg um. Und so langsam scheint sich dabei ein gewisses Muster abzuzeichnen: Die Ankündigung liest sich spannend, die Beteiligten sind mit großem Engagement dabei, können sehr viel kluge Dinge über ihren Stoff und wie sie ihn sich erarbeitet haben erzählen. Man liest mit Gewinn ihr Arbeitstagebuch im Netz und freut sich schon auf die Präsentation der vielen gesammelten und erlebten Geschichten. Ehrliche Vorfreude und Neugier macht sich breit, wie es wohl gelingen wird, all diese Erfahrungen und Pläne auf den Punkt hin zu bündeln, auf den es beim Theater nun mal drauf ankommt – die Premiere. Und dann sitzt man drin und spürt ihn wieder kommen, diesen Seufzer. Ach.

Handelsware Mensch

Auch "For Sale" bedient dieses Muster. Im Vorhinein klingt alles sehr vielversprechend: Eine "multinationale Recherche über den Menschenhandel" unter Leitung von Clemens Bechtel, erstes Ergebnis einer Kooperation von vier Theatern auf drei Kontinenten - dem Theater Freiburg, dem deutschen Theater in Sibiu, Rumänien, dem Indian Ensemble Bangalore, Indien und dem Théâtr'Evasion in Ouagadougou, Burkina Faso - und gemeinsamer Webauftritt als Human Trade Network.

Und dann sitzt man im Werkraum des Theater Freiburg, der in eine Art Lagerhalle umgestaltet wurde. In einer Paket- und Regallandschaft stehen sich auf der Längsachse zwei Fernseher und auf der Querachse zwei deckenhohe Leinwände gegenüber. Die Schauspieler sprechen die Regieanweisungen für einen Dokumentarfilm über die Waisenhäuser in Rumänien kurz nach dem Sturz Ceausescus, ganz schreckliche Verhältnisse. "Ich schaue weg", sagt die Frau, "ich schaue hin", sagte der Mann. Gerührt von den rumänischen Zuständen und dem eigenen Zustand der Kinderlosigkeit werden sie im Verlauf des Stücks die Prozeduren einer legalen bis illegalen Adoption durchspielen.

Zustände rumänischer Waisenhäuser

Da wird dann ein Babyfließband auf dem Fußboden ausgelegt, und es treten auf: die geschäftstüchtige rumänische Kindervermittlerin mit Herz, der skrupellose rumänische Kindervermittler ohne Herz, die sich selbst betrügenden, betrogene und ausgenutzte Kindsmutter und dazu ein bisschen Balkantristesse vom Akkordeon. Vom "Ach, wie süß", übers geschäftsfördernde "Er sieht Ihnen ähnlich" bis zu eingestreuten Belehrungen über das Wesen der Ware werden schließlich Babys in Kartons verpackt.

For Sale1 560 c Maurice Korbel uHinschauen oder nicht Hinschauen? Bilder aus rumänischen Waisenhäusern in "For Sale" 
© Maurice Korbel

Das Ergebnis der binationalen Recherche wird in Form von Interviews mit damals Adoptierten, rumänischen Bauarbeitern, die ihre Niere verkauft haben und neoleibeigenen rumänischen Haushaltshilfen auf die Videowände projiziert. Auch ohne das ebenfalls eingeblendete ikonische nackte, schreiende Mädchen aus Vietnam hätte man da schon kapiert, dass der Mensch heute zu einer Handelsware geworden ist.

Nur: In dieser Präsentation lässt einen das ziemlich kalt. Die spielerischen Elemente verlieren sich in Plattitüden und Klischees, die Interviews bleiben in ihrer Guido-Knopp-Ästhetik eher unter den Möglichkeiten des Reportagefernsehens. Manchmal werden durchaus interessante Fakten eingestreut, etwa dass nach dem EU-Verbot der rumänischen Adoptionspraxis die USA mit der Verweigerung der NATO-Aufnahme Rumäniens gedroht haben soll, um weiter Babys geliefert zu bekommen. Allein das Stück macht nichts draus.

Bohrende Fragen

Wenn das adoptionswillige deutsche Paar ständige wissen will: "Wer bekommt denn konkret die 15.000 Dollar, die wir zahlen sollen?", hätte man das als Zuschauer einer "multinationalen Recherche" auch ganz gern gewusst, aber so ins Detail wollte Regisseur Clemens Bechtel wohl nicht gehen.

Am Ende macht "For Sale" kaum mehr, als komplexe Vorgänge auf rührselig-moralinen Klatsch aus dem globalen Dorf runterzubrechen. Schade um den ganzen Aufwand. Die beteiligten Ensembles hätten sicher viel mehr zu erzählen. Vielleicht sollte man doch wieder so eine altmodische Instanz wie eine Theaterautorin einziehen, statt immer schon gleich mit dem work in progress auf die Bühne zu gehen. Ohne die zwischengeschaltete Distanzierungsinstanz der Textarbeit scheint sich ein fataler Hang zum Naheliegenden, Platten, Klischeehaften durchzusetzen.

For Sale
Multinationale Recherche über Menschenhandel
Regie: Clemens Bechtel, Ausstattung & Video: Jens Dreske, Dramaturgie: Julia Reichert.
Mit: Heiner Bomhard, Holger Kunkel, Iris Melamed, Stefanie Mrachacz, Lisa Marie Stoiber.

www.theater.freiburg.de/

 

Kommentare  
For Sale, Freiburg: Dank
Lieber Jürgen Reuß,

Dank für diese treffende und genaue Kritik.
Für wen? Warum? diese Frage muss man sich wirklich stellen.
For Sale, Freiburg: Folklore
H.K.: Wahrscheinlich nur die. Alles andere ist Wahrheits-Folklore.
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