Alles auf Anfang

von Kai Krösche

Wien, 8. April 2016. THX 1138 klingt, wie die meisten benutzerorientierten Sprachsysteme, freundlich. Hier und da schwingt noch eine irritierende Künstlichkeit in einzelnen Betonungen mit – aber letztlich hört man diese Stimme gern. Man verzeiht ihr auch, wie schonungslos sie einem vorrechnet, dass man ein Drittel seines Lebens mit Schlafen und weitere Unmengen an Zeit mit sinnlosem Warten verbringt, während man selbst im Tröpfeln des Regens steht und, nun ja, wartet. Doch, man lässt es ihr sogar durchgehen, dass sie uns und andere Menschen konsequent als "User" bezeichnet. Schließlich folgt man ihren Richtungsanweisungen und macht sich, die Kopfhörer an den Ohren, vom Schauspielhaus aus auf den Weg hinein in den 9. Wiener Gemeindebezirk.

Hinab in die Unterwelt

Angekündigt ist die Reise durch die Nebenstraßen rund um die Porzellangasse als "postapokalyptischer Spaziergang": Gemeinsam haben Regisseur Tomas Schweigen und der in letzter Zeit vielbeachtete österreichische Autor Thomas Köck ein kopfhörerunterstütztes Stationentheater geschaffen, das sich nicht nur der Prämissen zahlreicher Science-Fiction-Filme bedient, sondern ebenso vom Wienerischen Phänomen der sogenannten "Strotter" inspirieren ließ. "Strotter", das waren am Anfang des vergangenen Jahrhunderts aus der Gesellschaft Ausgestoßene, die in den gefluteten Kanälen der Wiener Unterwelt den vorbeitreibenden Müll durchfischten nach Gegenständen, die sich zu Geld machen ließen.

THX 1138 wühlt nicht im Müll. Sie führt uns gemeinsam in der kleinen Gruppe vorbei an Fenstern: Ein Wiener Ecklokal, in dem schöne Menschen ausgelassen schäkern, trinken und rauchen, ein cleanes, schickes Einrichtungsgeschäft mit Designermöbeln, ein einladendes Freizeitzentrum, in dem Menschen vor strategischen Brettspielen über ihren nächsten Zug grübeln. Die Kommentare der künstlichen Intelligenz erzeugen in ihrer distanzierten Nüchternheit zeitgleich Lachen wie Schaudern – Ausgehen, Wohnen, Studieren, das sind für das unbeteiligte Auge des Computers nichts anderes als Strategien des sozialen Aufstiegs und gesellschaftlichen Funktionierens.

Strotter1 560 SusanneEinzenberger uStrotter bei der Arbeit © Susanne Einzenberger

Die Fensterschreiben, durch die wir neugierig auf die Nichtsahnenden glotzen, verwandeln sich unter den Kommentaren der Stimme im Ohr zu Käfiggittern, von denen wir nicht wissen, auf welcher ihrer Seite wir uns befinden. Wie die "User" hinter den Scheiben folgen auch wir, scheinbar freiwillig, den uns nahegelegten Mustern – im konkreten Fall dem vorgegebenen Weg. Dafür lassen wir auch den bekümmert dreinschauenden Max (Jesse Inman) stehen, der uns gleich zu Beginn auf Englisch darum bittet, noch ein wenig auf seine Freundin zu warten. Doch Max ist nicht der einzige, der sich durch Zwischenkommentare und Fragen der Stimme im Kopf widersetzt.

Ich bin ganz sicher schon mal hier gewesen

Schon an der ersten Straßenecke mischen sich Störsignale in den Audio-Feed, tauchen plötzlich verschwörerisch blickende Figuren mit langen Mänteln, Zahnlücken und "I hate THX"-Protestplakaten auf: Eine moderne Version des Strotters, die uns schon bald bald den Weg abschneidet und in einen Hauseingang drängt, in dem wir auf Max' Freundin treffen, weg von der Empfangsreichweite von THX. In der Folge werden wir in Hinterhöfen stehen, Strotter dabei beobachten, wie sie auf dem nassen Straßenboden im Kanal wühlen und schließlich Max und seiner Freundin durch eine weitere Scheibe dabei zusehen und -hören, wie sie, inmitten echter Gäste, langsam darauf kommen, dass hier etwas nicht stimmt. Max ist sich sicher, hier schon einmal gewesen zu sein, uns alle schon einmal gesehen zu haben, er weiß nur nicht, wo.

Strotter 560 SusanneEinzenberger u Nach der Apocalypse gibt es die Zivilsation im Sonderangebot © Susanne Einzenberger

Fehlt nur noch Neo aus Matrix

Eine leise Ahnung: Wieso das zunehmende Gerede von einer früheren Welt? Von der Apokalypse? "Schneit es heute oder ascht es längst schon wieder" heißt es einmal – sind wir vielleicht nur …? Also verlassen wir, eine ausgedruckte Karte in der Hand, die von THX erlaubten Pfade und betreten unter dem Lärm von Sirenen und Helikoptern eine ausgeräumte Bar, in der uns die Strotter mit Bier willkommen heißen. In den Auslagen: Zahlreiche Alltagsgegenstände aus den vergangenen Jahrzehnten, Telefone, Spielzeug, alles drapiert wie Wurstwaren.

Der Verdacht bestätigt sich im vernebelten Keller: Wir blicken auf ca. 15 vermummte, an Schläuche angebundene reglose Körper, die am Boden liegen, angeschlossen an eine Maschine. Wir befinden uns in einer Computersimulation, deren Speicher langsam dem Zerfall anheimfällt, weshalb sie sich immer wieder aufs Neue rebooten und mit den übriggebliebenen Erinnerungen eine immer schmalere, vergangene Welt rekonstruieren muss: "Sich selbst" von außen zu sehen, angeschlossen an eine Maschine inmitten von Kabeln und unter Masken – das ist ein starker Augenblick in einer erfrischend unkonventionellen Inszenierung, die einen außerirdischen Blick auf die reale Welt wirft und damit die Wirklichkeit selbst zur Inszenierung macht, sie vielleicht gar nur als solche enttarnt, mit den Mitteln des Theaters zur Kenntlichkeit entstellt.

 

Strotter. Ein postapokalyptischer Spaziergang
von Thomas Köck & Tomas Schweigen
Text: Thomas Köck, Regie: Tomas Schweigen, Bühne: Stefan Weber, Kostüme: Anne Buffetrille, Sounddesign: Jacob Suske & Dominik Mayr, Dramaturgie & Produktionsleitung: Anna Laner
Mit: Jesse Inman, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff, Sebastian Schindegger. Stimme THX 1138: Sophia Löffler.
Ca. 75 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.at

 

Kritikenrundschau

Viele Fragen tue der Abend auf, so Michael Wurmitzer im Standard (11.4.2016), "ob der zuweilen abgedrehten, stark körperlichen Inszenierung", in der das Publikum als Mitmacher stecke. Der Abend entwerfe düstere, aber gar nicht so abwegige Aussichten. "Derer mag es zwar schon einige geben, aber noch keine war so nah an Wien dran."

Viele Fragen tut der Abend zudem ob der zuweilen abgedrehten, stark körperlichen Inszenierung auf, in der das Publikum als Mitmacher steckt. Etwa jene, welche Rolle man lieber einnehmen sollte: Die des brav rezipierenden und der Computerstimme folgenden Publikums oder doch die – gelobte – des Anweisungsverweigerers. Untergangskinder möchte man das Wind und Wetter trotzende Ensemble aus Jesse Inman, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger nennen. Es entwirft düstere, aber gar nicht so abwegige Aussichten. Derer mag es zwar schon einige geben, aber noch keine war so nah an Wien dran. - derstandard.at/2000034565304/Strotter-Schauplaetze-des-Untergangs

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