Der Kampf der Wirklichkeiten

von Henryk Goldberg

Eisenach, 9. April 2016. Die Frau kommt zögernd nach vorn, wie tastend. Sie geht langsam vorbei an der Gartenlaube und an dem Gartenzwerg, und sie ist eigentlich keine Frau, und weiß ist sie auch nicht. Nicht der weiße Neger Wumbaba, nur ein "schwarzer Neger aus Somalia", diplomierter Hochschulpirat. Das ist alles nur Oberfläche, das mit dem Schwarzen und dem Weißen, wenigstens im Theater. Und das mit der Finsternis und dem Grauen auch, wenigstens im Buch und im Kino. Und darüber hat Wolfram Lotz ein merkwürdiges, intelligentes und witziges Stück geschrieben. Ein Stück, das immer mal wieder vom Elend dieser Welt hier und da erzählt – Somalia, Afghanistan, Jugoslawien – aber vor allem erzählt es davon, wie man davon erzählt.

Wolfram Lotz macht sich vergnüglich und ernsthaft in einem her über Joseph Conrad und Francis Ford Coppola, vor allem über Conrad natürlich, der ist das Original. Diese Erzählung vom Kongo, in der die Nebel gellend schreien und die Finsternis lastend schweigt, diese Mystifizierung von Natur und Dunkel, dieses Projizieren von Menschenwerk und Menschenempfindung in dichtem Dschungel und auf dunklem Fluss. Diese strukturelle Parodie ist der eigentliche Witz des Stückes, was den vollkommenen Genuss nun aber an die Kenntnis des Buches bindet. Schließlich, sogar Conrads übel riechendes Flusspferdfleisch kehrt bei Lotz wieder, in seine, des Flusspferdes, Därme gepresst.

Nicht zuviel Ironie

Wir sind nun aber, mit dieser Inszenierung, in Meiningen und Eisenach. Selbst wenn das "Glossar der Finsternis" im Programmheft (Patrick Seibert), das "Blauhelmsoldaten, die" und "Islamischer Staat, der" umstandslos, darin dem Text sehr nahe, vereint mit "Markise, die" und "Kaktusfeigenöl, das", eine sozusagen strukturelle Ironie ist: Das sind vielleicht Orte, auf deren Bühnen, für deren Publikum die ironische Reflexion bedeutender Bücher und Filme nur sehr bedingt ein spannender Vorgang ist.

Finsternis 560 Sebastian Stolzfilmwild uAdelheid! © Sebastian Stolz/filmwild

Carla Witte spielt den Piraten in der großen Eröffnungsnummer ganz ernsthaft, ganz betroffen. Visuell sekundiert vom deutschen Gartenlaubenidyll erzählt sie seine Geschichte sehr eindrucksvoll. Gleichsam aus dem Stand, ohne Anlauf gewinnt sie das Publikum für eine ernsthafte Geschichte, sie kann die Tragödie des leeren Meeres und des sich anal prostituierenden Freundes bruchlos verbinden mit dem Hochschulstudium der Piraterie, mit Stipendien vom Islamistischen Studienwerk und der Begabtenförderung berufliche Bildung Ostafrika. Und als sie die heiteren Beweise ihres ernsthaften Schicksals vorzeigt, da kommt eine Frau in Uniform und ballert sie weg.

Geradeheraus erzählt

Christoph Todt hat, in der gartenlaubigen Bühne von Elise Sophie Richter, mit seiner Inszenierung wohl das Richtige getan für Meiningen und Eisenach. Er hat weniger vom Erzählen erzählt, er hat weniger Ironie versucht als eine Geschichte, weniger Kunst- als Wirklichkeitsbezug, auch mit seinen mitunter etwas sehr geradeaus erzählten Videos. Und vielleicht ist der Erzähler eben darum eine Figur, die weniger erzählt als handelt. Christine Zart, der Hauptfeldwebel, wird ihren Auftritt vom Anfang – zack! und Schuss! Und weg den Neger! – deshalb irgendwie nie mehr los. Dass die Figur von einer Frau gespielt wird, ist beinahe folgenlos, die Darstellerin verkürzt die Distanz von Geschlecht und Figur.

Finsternis1 560 Sebastian Stolzfilmwild u© Sebastian Stolz/filmwild

Später, wenn der italienische Uno-Offizier (Matthias Herold) seine absurde Geschichte erzählt hat, wie er als Fünfjähriger seine gleichaltrige Freundin nicht vögeln durfte und erkannte, dass ihm die Scheißdrogen die Kindheit versauen, dann reagiert Christine Zart – ganz ernsthaft. Der Witz ist ja auch vom Text in genau der Ernsthaftigkeit angelegt. An anderen Stellen funktioniert die Sprichwörtlichkeit weniger gut. Ob es mehr der Regie oder der Schauspielerin anzuschreiben ist, Christine Zart kommt als Erzählerin nie eine Handbreit über oder unter ihren Text, sie erzählt nie mehr, als sie sagt.

Schlagergesang und Arithmetik

Da hat Patric Seibert, der Dramaturg als Unteroffizier, den besseren Auftritt, er kommt aus dem grünen Dixi-Klo mit dem weißen Herzchen und zieht sich erst einmal die Hose hoch, das gibt der Figur den Ton: ein sanft-naiver Tor, der dennoch zu einer merkwürdigen, sturen Ernsthaftigkeit findet. Im Partnerspiel mit Christine Zart behaupten beide die Spannung und tragen den Abend. Der Reverend in kurzen Hosen, wiederum Matthias Herold, hält sich eine Gruppe von Autisten als zwangsentmuslimisierte Eingeborene, später geben die Herren vom "Liederkranz Rohr 1921" die "Adelheid" zum Besten, die mit dem Gartenzwerg. Dem priesterlich gewandeten Oberstleutnant (noch einmal Matthias Herold) haben sie dessen makaber-verzweifelte Arithmetik an die Zellenwände geschrieben, es wird sie dennoch nicht jeder verstehen.

Die ehrenwerte, seriöse Inszenierung eines Theaters, das die "sicheren Nummern", die es braucht und bietet, flankiert mit Risiken wie diesen. Es war die Eisenacher Premiere einer Produktion aus Meiningen – das Südthüringische Staatstheater bespielt das Schauspiel des Landestheaters Eisenach mit, ein Intendant leitet beide Häuser – und sie war spärlich besucht, eine weitere Vorstellung im April ist nicht geplant. Auch das ist eine Aussage über die Wirklichkeit des Theaters.

Die lächerliche Finsternis
von Wolfram Lotz
Regie und Video: Christoph Todt, Bühne und Kostüme: Elise Sophia Richter, Dramaturgie: Patric Seibert.
Mit: Carla Witte, Christine Zart, Matthias Herold, Patric Seibert, Liederkranz Rohr 1921.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.theater-eisenach.de

 

Kritikenrundschau

Die Produktion sei "leider nur gut gemeint", findet Frank Quilitsch in der Thüringischen Landeszeitung (11.4.2016) über die Premiere in Eisenach. "Die lächerliche Finsternis" sei kein Stück, "nur Stückwerk". Von der Stille vor dem Schuss aus der Roman- und Filmvorlage spüre man hier nichts, man höre: "ambitioniertes Geschrei".

"Muss man gesehen haben", befand hingegen Susann Winkel im Freien Wort (2.11.2015) nach der Meininger Premiere der Inszenierung. Todt setze "ein Ausrufezeichen", auch durch die Besetzungsentscheidungen. Und durch die Szene mit den Eingeborenen, die vom Liederkranz Rohr 1921 gespielt werden.

 

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