Still gestanden, Trübsal geblasen!

von Leopold Lippert

Wien, 13. April 2016. Rollator, Senioren-Elektroroller, Rollstühle: Für die titelgebenden Figuren in Miroslava Svolikovas "die hockenden" hat Regisseurin Alia Luque bei der Uraufführung im Burgtheater-Vestibül ein übereindeutiges Bild gefunden. Diese Hockenden hocken, weil sie nicht mehr (oder noch nicht) gehen können. Und wenn sie es doch einmal versuchen, dann stürzen sie. So einfach ist das. Dabei ist Svolikovas Stück, das im vergangenen Jahr den Retzhofer Dramapreis gewonnen hat, eher nicht so einfach: "die hockenden" ist ein abstraktes und formal äußerst selbstreferenzielles Textgebilde, das sich von einer Wiederholung zur nächsten windet, lautmalerische Kaskaden produziert, und mit schöner Regelmäßigkeit eine strategische "(pause)" setzt. Wenn gerade keine "(pause)" ist, philosophieren die Hockenden über Stillstand, Lethargie, und Hoffnungslosigkeit.

An einem nicht näher benannten (Un-)Ort, der sich wahlweise in einer Mulde befindet oder aber selbst von allerlei Mulden, Pfützen, Ritzen durchzogen ist, sinnieren sie über die Langeweile des Immergleichen. Hier herrscht solide verwaltete Ausweglosigkeit: "Auf drei Kneipen kommt eine Bushaltestelle" in dieser Einöde—allerdings fährt der Bus nur im Kreis, nie aus dem Ort hinaus. Sehnsüchtig warten die Hockenden darauf, dass endlich etwas passiert, irgendeine Art von Erlösung. Doch wenn am Ende die Kneipe brennen wird, ist auch das nicht wirklich von Belang: "Im Grunde gibt es auch kaum etwas zu den Bränden zu sagen", heißt es dann.

Österreich: das Fettauge auf der Provinzsuppe

Alia Luques Inszenierung bemüht sich redlich, der Abstraktion mit fahlem, augenschmerzendem Gelblicht und nur minimal variierten Bewegungsabläufen ihrer Schauspieler gerecht zu werden. Gleichzeitig will die Regisseurin aber auf einen konkreteren, provinzösterreichischen Referenzsumpf verweisen. Am rechten Bühnenrand sind deswegen einige National-"Held*innen" in grotesker Puppenform platziert: Sissi, Niki und Conchita thronen stolz über dem Tableau, etwas kleiner geraten sind im Vordergrund Arnie, Adolf und der Meinl-Mohr. Im Programmheft behauptet Andrea Maria Dusl dazu, Österreich sei das "Fettauge in der europäischen Provinzsuppe", und Stefanie Sargnagel berichtet allerlei Zünftiges vom FPÖ-Oktoberfest.

hockende2 560 GeorgSoulek uMit Gelbstich: Tino Hillebrand, Laurence Rupp, Marcus Kiepe © Georg Soulek

Auch die vier Charaktere stammen aus diesem fahlgelben, fettäugigen Alpenland. Branko Samarovski ist so etwas wie eine gealterte Provinzconchita: mit Blumenkranz in den Haaren und buntem Dirndlkleid sitzt er bärtig auf seinem schicken Elektroroller und fährt langsam vor und zurück, vor und zurück, jeden einzelnen Pieps seines penetrant fiependen Rückwärtsgangs auskostend. Tino Hillebrand und Laurence Rupp leihen, ihre Körper hinter Rollstühlen versteckt, zwei Kinderpuppen ihre Gesichter: Hillebrand mit Goldhaube und Dirndl, Rupp mit Filzhut und Lederhose, beide mit großen Slapstick-Augen und Slapstick-Mündern.

Überlebendiges Puppenspiel und Rollator-Klamauk

Und Marcus Kiepe schließlich ist "Er": lange Zeit spricht er nicht, dann erzählt er mit tiefer Stimme von Schnäpsen und Pfützen und Prophezeiungen. Er sieht aus wie ein gealterter Hitlerjunge mit adrettem Haarschnitt, der noch schneidig sein will, obwohl er schon auf seine Gehhilfe angewiesen ist (und damit allerlei Klamauk anstellt). Auch wenn er nach jedem Sturz martialisch schreit: Als charismatischer "Prophet" funktioniert er längst nicht mehr. Nur die Kinder begehren ihn noch, bewundernd tatschen sie mit ihren kleinen Puppenfingern auf seine Hose, reiben ihre bestrumpften Puppenbeine an seinen Waden.

Das alles funktioniert erstaunlich gut. Das Kaskadenhafte von Svolikovas Sprache spiegelt sich in den reduzierten, wiederholenden Choreographien der Inszenierung, die die Figuren in ihren Bewegungsradien stark einschränkt. Gleichzeitig reibt sich diese strenge Form auf reizvolle Weise an der Üppigkeit der Dirndlsymbolik und dem unheimlichen, überlebendigen Puppenspiel. Schade bloß, dass die Inszenierung sich dabei zu sehr auf ungebrochenen Rollator-Klamauk verlässt, als hätten die Ableismus-Diskussionen der letzten Jahre über den Umgang mit (körperlicher) Behinderung auf dem Theater nie stattgefunden.

die hockenden
von Miroslava Svolikova
Uraufführung
Regie: Alia Luque, Bühne: Christoph Rufer, Kostüme: Ellen Hofmann, Licht: Ivan Manojlovic, Dramaturgie: Hans Mrak.
Mit: Tino Hillebrand, Marcus Kiepe, Laurence Rupp, Branko Samarovski.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Barbara Petsch schreibt in Die Presse (14.4.2016): "Die Radikalisierung der Gesellschaft beginnt im Dorf, scheint das Stück zu signalisieren, da, wo rechte Politiker den Stammtisch zum 'gesunden Volksempfinden' – wie es die Nationalsozialisten genannt haben – animieren. Aber solche Erscheinungen gibt es auch in der Großstadt." Das Drama habe poetische Passagen, sei aber "insgesamt nicht wirklich originell". Die Schauspieler seien mit ansteckender Lust bei der Sache, auch von der Regisseurin Alia Luque und dem Bühnenbildner Christoph Rufer "hoffen wir bald mehr zu sehen".

Margarete Affenzeller vom Standard (14.4.2016) findet: "Das Stück generiert anstelle einer Handlung oder Entwicklung vielmehr eine Stimmung." In einer Textpartitur, die gekonnt mit Wiederholungen arbeite, werde ein unheimlicher Zustand greifbar, "ein Stillstand, in dem sich (…) die Figuren in fröhlicher Gefangenschaft zeigen". Das Stück sei samt seiner präzisen, schmucklosen Sprache ein Geschenk an die Regie, Alia Luque habe es inspiriert angenommen. Das Zusammenspiel von Puppenkörper und überengagierter Kindchenmimik der Schauspielerköpfe bringe "die sorglose Hoffnung, ja Unbedarftheit" der beschriebenen Welt erschütternd komisch zum Ausdruck.

"Aus den deprimierenden fünf Viertelstunden wollte man flüchten", schreibt Hans Haider für die Wiener Zeitung (14.4.2016), aber ergänzt: "böten nicht die Kindsköpfe in den Rollstühlen ein hinreißendes Mienentheater." Ansonsten sah Haider Thomas Bernhard-Reminiszenzen: "Rollstuhl und Krüppel sind altes Thomas-Bernhard-Drameninventar. An den Dichter erinnern auch die sich wiederholenden Behauptungssätze." Auch an Ernst Jandl, Elfriede Jelinek und Peter Handke fühlt der Kritiker sich erinnert und befindet, die "Wortkunst" Svolikovas klinge "Second-Hand" und ihr Text sei einer "zum vergessen. (..) Auch mit seinen Schwächen manifestiert er das Unbehagen junger Kreativer im Land." 

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