#Twitterschau VII: Theater in den sozialen Medien
Twitter ist keine Hamletmaschine
von @regenbericht
25. April 2016. Shakespeare war tot. Und zwar schon 400 Jahre lang. "Höchste Zeit, dass auch nachtkritik.de sich mit ihm beschäftigt", befand die Chefredakteurin.
"Shakespeare, großartig!", rief die Geschäftsführerin. "Duellkämpfe, Giftmorde, Hass und Liebe! Das schafft Herzchen!"
"Aber ich muss nicht schon wieder so einen traurigen Nachruf schreiben, oder?", fragte die Niedersachsen-Beauftragte, die so zart besaitet war wie man im Raum Braunschweig nur zart besaitet sein kann.
"Wir machen was zu Shakespeares Einfluss auf die Gegenwartsdramatiker."
"Sehr gut, die sind alle auf Twitter und retweeten uns dann."
"Aber was ist mit meinem Heiner Müller-Essay?“, fragte der Heiner Müller-Experte.
"Wieso denn jetzt Heiner Müller?"
"Heiner Müller ist nicht auf Twitter." Die Geschäftsführerin schüttelte den Kopf.
"Tot ist er aber schon", googelte der Jungredakteur. "Aber erst 21 Jahre."
"Tut mir leid, aber 21 Jahre totsein und nicht mal einen Twitter-Account zu haben, sind kein Gründe für einen Essay."
"Aber mein Essay ist schon seit fünf Jahren geplant."
"Ah ja, wovon handelt der noch mal?“, fragte die Chefredakteurin.
"Von der Ohnmacht des Schreibenden als Protagonist des antagonistischen Dramas im Konflikt zum menschenvergessenden Strukturalismus."
"Schaffst du das in 3000 Zeichen?", spöttelte der Opern-Kritiker.
"Tut mir leid. Vielleicht zu seinem fünfzigsten Todestag." Die Chefredakteurin reichte dem Heiner Müller-Experten tröstend einen Soft-Cake.
Geknickt loggte er sich kurz darauf in das Netz ein, um das Werk Shakespeares in der Arbeit der Jungdramatiker aufzuspüren. Aber wo sollte er mit seiner Suche beginnen? Etwa bei den Tweets der Jungdramatikerin Sophia Hembeck, diesem Erguss an Befindlichkeiten eines spätkapitalistischen Früchtchens?
Meine Alibi-Banane guckt schon vorwurfsvoll. Sie weiß nicht, dass die Chancen mein Frühstück zu werden grad um ein Snickers gesunken sind.
— Sophia Hembeck (@sophiahembeck) 13. April 2016
Mit viel gutem Willen ließ sich zumindest vermuten, dass der Hamlet einen gewissen Einfluss auf die Hembeck gehabt haben mochte.
Immer wenn es neblig ist, denke ich, dass ich vielleicht schon tot bin und als Geist noch rumexistiere oder irgendsoein anderer Horrorfilm.
— Sophia Hembeck (@sophiahembeck) 13. April 2016
Während der gerade mit Preisen überhäufte Stefan Hornbach offenbar überhaupt keine Ambitionen hat, dem unerreichten Werk Shakespeares nachzueifern.
Ich hab letzte Nacht von einem Tweet mit über 140 Zeichen geträumt, erinnere aber weder Inhalt noch Urheber. Das war's schon. Reicht doch!
— Stefan Hornbach (@stfnhrnbch) 23. Januar 2016
Auch der kurzatmige Thomas Köck schreckt vor einem Werk zurück, das 140 Zeichen übersteigt.
Ich war den ganzen Tag in Paris spazieren und hab nur überlegt, was ich am Abend dann über den Trottoir twittere.
— Thomas Köck (@toterpraktikant) 2. November 2015
Wenigstens Konstantin Küspert hat anscheinend irgendwas verstanden, vermutete der Heiner Müller-Experte, auch wenn er seinen jüngsten Text etwas unterkomplex fand:
You don't hate Mondays. You hate capitalism.
— konstantin küspert (@_herr_k_) 18. April 2016
René Pollesch wiederum hat nur Spott für seine Kollegen übrig und
"Boulevarddramatiker feiern Shakespeare"
— René Pollesch (@renepollesch) 23. April 2016
Endlich wieder googeln ohne Shakespeare
— René Pollesch (@renepollesch) 24. April 2016
sieht wie immer fern. Ja, glaubt der denn, die großen Dramen des Lebens würden im Privatfernsehen repräsentiert?
Oliver Geissen hat Silikonkissen in den Tränensäcken #DSDS
— René Pollesch (@renepollesch) 24. April 2016
Der Pfarrer der Sandra verheiratet, hat was von Olli Schulz #DSDS
— René Pollesch (@renepollesch) 24. April 2016
Sie machen es sich zu einfach, die Dramatiker. Heiner Müller hat aus Hamlet noch eine Maschine gemacht. Er hat sich an Shakespeare abgearbeitet und ihn schließlich einfach weggesschrieben. Sollten die Jungdramatiker denn überhaupt keine Gegenwehr mehr kennen?
Nach ihm haben's alle schwer. Willy the Great an seinem 400. Todestag. Long live the King! pic.twitter.com/CC0UuFZiMu
— nachtkritik.de (@nachtkritik) 23. April 2016
Der Endgegner. https://t.co/73NFS9s18F
— Sophia Hembeck (@sophiahembeck) 23. April 2016@sophiahembeck @nachtkritik sich mit ihm zu messen heißt verlieren, der ist kein Endgegner sondern der Abspann. Mit Musik.
— konstantin küspert (@_herr_k_) 23. April 2016
Alles sinnlos. Die Autoren gaben auf. Der Heiner Müller-Experte schlug seinen Computer zu. Die Kollegen waren längst gegangen. Er war allein mit seinen Sorgen um die Gegenwartsdramatik. In die Stille flüsterte er leise sein Lieblingszitat.
Weitere Folgen der #Twitterschau:
#Twitterschau VI: Der ganz große Coup / Sibylle Berg im Interview
Sibylle Berg promotet im Interview mit nachtkritik.de ihr erstes Gedicht. Es kommt zu einem folgenschweren Eklat.
#Twitterschau V: Ab heute wird zurückgeklickt!
Die Geschäftsführerin droht, den Betriebsausflug zur Harry Potter-Premiere zu streichen, wenn nachtkritik.de nicht mehr Klicks und Herzchen in den sozialen Netzwerken einfährt.
#Twitterschau IV: Wer tot ist, geht auf die Nerven
Tot gesagte twittern länger. Ein Ausflug in den Club der toten Dramatiker.
#Twitterschau III: Keine Liebe! Nirgends
An Ostern stromert der Jungredakteur auf der Suche nach wahrer Liebe durchs Netz und findet doch nur Zynismus und Aktfotografien von René Pollesch' Betthäschen.
#Twitterschau II: Twitter ist so traurig
Am Ende einer harten Woche möchte der Redakteur nur noch eins: mit Sibylle Berg in den Urlaub fahren.
#Twitterschau I: Pollesch guckt bei Bohlen ab
Die Berliner Schaubühne präsentiert stolz ihren Blutvorrat, Konstantin Küspert zeigt seine Wunden und René Pollesch sucht Inspiration bei RTL.
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