Wir werden nicht neutral bleiben!

von Matthias Brenner

Halle, 1. Juni 2016. Nach den Landtagswahlen, am 16. März, erreichte uns eine E-Mail des Geschäftsführers der Historischen Kulturanlagen Bad Lauchstädt, in der er uns mitteilte, dass er keinerlei politische Kundgebung oder Manifestationen weder für noch gegen die aktuelle Politik, politische Gruppierungen oder Parteien dulden werde. "Das Goethe-Theater Bad Lauchstädt steht strikt unter dem von Richard Wagner geprägten Motto 'Hier gilt’s der Kunst'."

Er wies uns in dem Schreiben weiter darauf hin, dass er das "Hausrecht" ausübe und zu "strikter Neutralität" verpflichtet sei. Weiterhin führte er aus: "Mit Rücksicht auf die individuell naturgemäß unterschiedlichen politischen Überzeugungen und religiösen Gefühle der Besucher, die ich persönlich nicht kenne und die mich im Einzelnen auch nicht interessieren, bestehe ich darauf, dass außer im Rahmen der Kunstausübung Ansprachen oder schriftliche Äußerungen (beispielsweise in den Programmheften) oder auf Handzetteln zu politischen Themen während der Gastspiele in Bad Lauchstädt zu unterbleiben haben."

Ich muss mich empören dürfen

Es geht mir nicht darum, das Hausrecht des Absenders zu missachten bzw. sich mit dieser rigide ausgedrückten Weisung auseinanderzusetzen. Es geht mir darum, dass es vorauseilende politische Neutralität in Kunsteinrichtungen, welche selbst Kunst produzieren, nicht geben kann und vor allem auch nicht eingefordert werden darf.

Wenn der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider jüngst auf einer Pegida-Demonstration in Dresden den rechtskräftig wegen Volksverhetzung verurteilten Herrn Lutz Bachmann zum Bundesverdienstkreuz vorschlägt, dann ist das eine klare Absage an die Demokratie. Tillschneider ist Abgeordneter unseres Parlaments und ich muss mich darüber empören dürfen. Wir dürfen nicht übersehen, dass wir uns bei verschärfter Polemik sowohl auf der Straße, den sozialen Medien, in den Parlamenten und auch auf dem politischen Parkett und durch die Stimmung des Aufeinandergehetztwerdens uns schon lange nicht mehr in der Nachkriegs-, sondern in einer Vorkriegszeit befinden.

Das würde Krieg bedeuten

"Fremd bin ich eingezogen" – diese erste Zeile aus der Winterreise von Franz Schubert treibt uns in den letzten Wochen um, lässt bangen und über die Zukunft fabulieren, denn die Gegenwart hat uns fest im Griff. "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus", vollendet der Dichter die Zeile. Es geht schon lange nicht mehr um die Frage, ob wir schutzsuchende Menschen in unsere Gesellschaft integrieren oder nicht, denn dies beantwortet sich von selbst. Diese Menschen sind bereits in unserem Land, und wenn andere jetzt noch vor den Toren Europas ferngehalten werden, so sind sie doch in unserem Leben. Wir können sie nicht verdrängen, wir können sie nicht einfach loswerden, ohne ihnen Gewalt anzutun. Das würde den sicheren Krieg bedeuten.

Wir, das neue theater und Thalia Theater, werden uns gegen dieses Denken einsetzen, das auch in den parlamentarischen Alltag Einzug gehalten hat. Auch wir begreifen uns als Schutzsuchende. Wir werden uns positionieren, weil wir diese Zeit als Chance verstehen, Visionen des Miteinanders in einer globalisierten Welt zu entwerfen – in tragischen wie komischen Zusammenhängen.

Wir werden nicht neutral bleiben!

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