Das Seufzen des Lokalmatadoren

von Sarah Heppekausen

Bochum, 3. Juni 2016. Es ist ein Heimspiel. Frank Goosen lebt in Bochum, schreibt über seine Heimatstadt und das, was da dazugehört, das Ruhrgebiet. Romy Schmidt ist Intendantin am Bochumer Prinzregenttheater und inszeniert einen Goosen-Roman, die Adaption seines 2012 erschienen Buchs "Sommerfest". Mehr Pott-Feeling geht nicht. Mehr humorige Selbstbetrachtung auch nicht.

Romy Schmidts erste Spielzeit am Prinzregenttheater

Romy Schmidt hat im vergangenen Jahr die Leitung der freien Bühne übernommen. Sie liegt auf einem ehemaligen Zechengelände, Nachbarn im ausgerufenen Kreativquartier Prinz Regent sind zum Beispiel das Zentrum für urbane Kunst mit dem Tanzensemble "Renegade" und das Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität. Student*innen des Instituts komponierten bereits die Bühnenmusik für einige der Inszenierungen am Prinzregenttheater. Schmidt arbeitet gezielt mit lokalen Künstlern zusammen, in Zeiten der Internationalisierung legt sie ihren Schwerpunkt auf regionale Verbindung. Ihre Goosen-Uraufführung spiegelt das Interesse auch dramaturgisch, es ist im wahrsten Sinne ein Heimatabend.

Als "quirlig", "unorthodox" und "wagemutig" werden Romy Schmidt, ihre Regie- und Leitungsarbeit in den regionalen Medien bezeichnet. Ein erfolgreicher Generationenwechsel also am kleinen, freien Theater nach 20 Jahren. Anders als mit ihrer Eröffnungsinszenierung "Peer Gynt" – den Ibsen-Klassiker inszenierte sie mit drei Schauspielern und einem DJ – geht Schmidt diesmal allerdings kein besonderes Risiko ein. Goosen ist in Bochum ein Selbstläufer. Auch am Theater Oberhausen wurde die Uraufführung seines Romans "So viel Zeit" zum Dauerhit. Mit "Raketenmänner" schrieb Goosen daraufhin sein erstes Theaterstück für die Oberhausener.

Sommerfest3 560 Sandra Schuck xWen's juckt: Nermina Kukic, Jost Grix und Thomas Kemper versprühen Pott-Feeling © Sandra Schuck 

Die Bühnenfassung von "Sommerfest" hat Dramaturg Frank Weiß übernommen. Den 300-Seiten-Roman über den Heimkehrer Stefan, der aus München nach Bochum anreist, um das Zechenhaus seiner verstorbenen Eltern zu verkaufen, hat er für einen 90-Minüter zusammengerafft. Einen Erzähler hat er als Figur eingefügt. Der ist mal Stefans Gewissen, mal dessen Dialogpartner, mal Kopfgeburt, mal Kumpel.

Das übrige Personal sind Ruhrgebietsgestalten, dem Leben abgeschaut. Omma Luise, die im Seniorenzentrum residiert. Frank, Familienvater und Hobby-Fußballtrainer. Tante Änne, die in ihrer Bude neben Klümpchen neuerdings auch Kaffee per Knopfdruck im Angebot hat. Die Sandkasten- und Jugendliebe Stefans: Charlie. Pott-Assi Toto. Ein Aufgebot an liebevoll gezeichneten Floskeldreschern – sympathisch in ihrer Ehrlichkeit, unfassbar nervig in ihrer Klischeeerfüllung.

Omma aufm Fensterstützkissen

Im Prinzregenttheater werden sie alle von nur zwei Schauspielern dargestellt. Thomas Kemper und Nermina Kukic ziehen sich Bluse oder Jogginghose, Brille oder Jeansweste über und verstellen ihre Stimme. Lacher im Publikum sind da garantiert. Zwischen Partylichterkette und Wäschespinne, Plastikstühlen und Bonanzarad mit Fuchsschwanz kalauern sich die Darsteller von Rolle zu Rolle. Ihr Charme verliert sich immer wieder in der Überzeichnung. Allein Jost Grix übernimmt nur eine Rolle. Er spielt Stefan als verwirrt-verwundbare Seele, schwankend, ob die Rückkehr in die Vergangenheit ein Albtraum oder doch eine Zukunftschance bedeutet.

Aber auch ihm bleibt kaum Zeit für Wehmut auf der Bühne, die Sandra Schuck mit einem Modellhaus ausgestattet hat, das von Szene zu Szene eilig per Hand gedreht wird. Die Anklänge von Melancholie im Roman, das Goosen'sche Seufzen in der Sprache fällt weg an diesem Abend. Die Regie konzentriert sich ganz auf die (Situations-)Komik. Und auf den Kitsch, die ja beide auch reichlich vorhanden sind in der lebensprallen Literatur des Lokalmatadoren Frank Goosen. Für eine tiefergehende Figurenentwicklung entsteht dabei kein Raum. Für die Dankbarkeit und Liebe, die Stefan seiner Omma gerne häufiger zeigen würde. Oder für die undefinierte Unzufriedenheit eines eigentlich erfolgreichen Stadtparkviertelbewohners.

Trotzdem, das "Sommerfest" ist eine sichere Bank fürs Prinzregenttheater. Spielfreudig und unterhaltsam machen sich die Schauspieler ans Werk der Wiedererkennung. Wer nicht sich selbst sieht, entdeckt auf jeden Fall den anderen, den joggingbehosten Trinkhallensteher, die Omma auf dem Fensterstützkissen, die Stadtparkschnepfe, die Radiofußballmoderation oder auch bloß die Autobahnschilder der A40, die im Video abgefahren werden.

 

Sommerfest
von Frank Goosen
Bühnenfassung von Frank Weiß
Uraufführung
Regie: Romy Schmidt; Bühne, Kostüme und Video: Sandra Schuck; Dramaturgie: Frank Weiß.
Mit: Jost Grix, Thomas Kemper, Nermina Kukic.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.prinzregenttheater.de

 

Kritikenrundschau

"Schade, es scheint, als habe die Regisseurin keinen echten Zugang gefunden zu Goosens wehmütig-komischer Heimatsuche", schreibt Jürgen Boebers-Süßmann in Der Westen (5.6.2016). Über lange 90 Minuten werde zwar der Roman launig illustriert, "aber die Wunderkerzen sprühen nicht". So trete der Abend bald auf der Stelle, "und das Publikum sieht ihm dabei zu".

Einen "starken Anfang des Stücks" hat Max Florian Kühlem gesehen, wenn Hauptfigur Stefan "auf dem Boden einer Holzhütte schlafend zu grollendem Donner und zuckenden Lichtblitzen von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht wird". Aber: "Ganz so mutig geht die Inszenierung nicht weiter", so Kühlem in den Ruhrnachrichten (4.6.2016). In gemäßigtem Tempo bebildere sie einige Stationen des Romans, nehme sich viel Zeit für skurrile Dialoge im Ruhrpott-Dialekt und die Zeichnung von Lokalkolorit. Lobend hebt der Rezensent aber das "wie zuletzt immer starkes Prinzregent-Ensemble" hervor.

Von einer "sympathischen Heimatgeschichte" spricht Martin Burkert in der Sendung "Scala" vom WDR (6.6.2016). Romy Schmidts Theaterfassung des Romans zeichnet aus Sicht des Kritikers "Sinn für handfeste Komik" und "warmherzige Memschlichkeit" aus.

 

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