Furcht vor dem Ausverkauf

20. Juni 2016. Die Mitarbeiter der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz sorgen sich um die Zukunft des Hauses. In einem offenen Brief, der an Berliner Politiker, Fraktionsvorsitzende und die Staatsministerin gerichtet ist, beklagen sie, dass die am 28. April mit der zukünftigen Theaterleitung abgehaltene Vollversammlung darauf schließen lässt, dass es an der Volksbühne "keine neuen Formen und künstlerischen Herausforderungen geben wird". Eine konzeptionelle Linie der künstlerisch-strukturellen Weiterentwicklung unseres Theaters sei in den Ausführungen Chris Dercons und seiner Programmdirektorin Marietta Piekenbrock nicht zu erkennen, heißt es.

Es werden "uns Tanz, Musiktheater, Medienkunst, digitale Kunst und Film, die ohnehin fester Spielplanbestandteil sind, als Novität vorgesetzt" und es werden Gemeinplätze wie "die Bühnensprache dieses Hauses soll polyglotter werden" bemüht.

In der Banalität der Verkündungen fürchte man den Ausverkauf. "Dieser Intendantenwechsel ist keine freundliche Übernahme. Er ist eine irreversible Zäsur", heißt es in dem Brief, der ausdrücklich die Berliner Kulturpolitik kritisiert: "Im Namen einer vermeintlichen Internationalisierung und Vielfalt arbeitet sie intensiv an der Zerstörung von Originalität und Eigensinn."

Das Schreiben ist mit insgesamt 180 Namen gezeichnet, darunter Mitarbeiter der Gewerke, aber auch viele Regisseure und Schauspieler, die teils fest oder als Gäste am Haus arbeiten, darunter Christoph Marthaler oder Herbert Fritsch, Martin Wuttke, Kathrin Angerer, Birgit Minichmayr oder Sophie Rois. 

 

Update: Am 21. Juni solidarisiert sich BE-Intendant Claus Peymann indirekt mit dem Brief, indem er selber einen Offenen Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller schreibt. Darin heißt es unter anderem: "Einigen Sie sich mit dem Museumsdirektor Dercon (der sicher nicht glücklich ist, gegen alle und alles seine Arbeit in Berlin zu beginnen) und zahlen Sie ihn aus. Das kostet erheblich weniger als seine unsinnigen Pläne (...) Dann könnten Sie 'unsterblich' sein und würden nicht als Killer der Volksbühne in die Geschichte eingehen. Noch eine kleine Bitte: Verhindern Sie, dass Ihr Schickimicki-Staatssekretär sich weiterhin von Matthias Lilienthal beraten lässt, der ja bekanntlich der eigentliche Erfinder von dieser unheiligen Personalie ist." (Der komplette Brief hier als pdf zum Nachlesen)

Matthias Lilienthal reagiert am Nachmittag in einer Pressemitteilung der Münchner Kammerspiele folgendermaßen auf Peymann: "Mit Verwunderung habe ich Ihrem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, entnommen, dass ich für die Entscheidung, Chris Dercon zum Nachfolger von Frank Castorf an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu ernennen, beratend verantwortlich sein soll. Ich möchte hiermit klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass dem nicht so ist und bitte Sie daher von weiteren Unterstellungen dieser Art abzusehen."

(volksbuehne.de / sik / BE / sd)

 

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