"Eine mutige und inspirierte Wahl"

1. Juli 2016. Chris Dercon, designierter Intendant der Berliner Volksbühne von 2017 an, erhält im Streit um seine Berufung Unterstützung aus der internationalen Kunst- und Museumsszene. Nachdem Volksbühnen-Mitarbeiter mit einem Offenen Brief gegen Dercon Stellung bezogen und für Furore gesorgt hatten, melden sich nun Okwui Enwezor, Nachfolger Dercons als Leiter des Münchner Hauses der Kunst, und sein Chefkurator Ulrich Wilmes ebenfalls mit einem Offenen Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller zu Wort. Das in englischer Sprache verfasste Schreiben (hier Frank-Patrick Steckels Übersetzung ins Deutsche) ist von weiteren bedeutenden Persönlichkeiten der Kunstszene unterzeichnet, darunter die Architekten David Chipperfield, Rem Koolhaas und Jacques Herzog, die Museumsdirektoren Bernd Scherer und Hans Ulrich Obrist, die künstlerische Leiterin der Kulturstiftung des Bunde Hortensia Völckers sowie mit Anne Teresa de Keersmaeker und Alexander Kluge zwei der Künstler, die mit dem künftigen Volksbühnen-Team von Dercon in Verbindung gebracht werden.

Okwui Enwezor 280 Andreas Gebert Haus der KunstOkwui Enwezor
© Andreas Gebert/Haus der Kunst München
Die Unterzeichner wenden sich insbesondere gegen die Formulierung aus dem Mitarbeiter-Brief, Dercon werde eine "global verbreitete Konsenskultur mit einheitlichen Darstellungs- und Verkaufsmustern" an die Volksbühne bringen. Diese Behauptung sei lächerlich, der "verächtliche Tonfall und die Vorverurteilung eines kulturellen Programms, das noch gar nicht realisiert" sei, zeige, dass "eine andere Agenda am Werk" sei. Der Mitarbeiter-Brief gehe nicht "um Jobs und um Verteidigung und Erhalt des Volksbühnen-Erbes; er geht auch nicht um Kunst und die unerschrockene Beschäftigung mit Ideen". Der Volksbühnen-Brief gehe einzig "um Macht" und stelle den "Missbrauch des Privilegs des öffentlichen Dienstverhältnisses" dar, "um die Vision eines Einzelnen zu zerschlagen". Die Unterzeichner hätten "alle objektiven Standards einer ernsthaften Debatte vernachlässigt".

Okwui Enwezor und seine Mit-Unterzeichner halten dagegen, dass Dercon, "aufgrund seiner Leistungen in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht nur auf hervorragende Weise geeignet ist, die Volksbühne zu leiten; er ist zudem eine mutige und inspirierte Wahl".

(wb)

 

Der Offene Brief von Okwui Enwezor und seinen Mit-Unterzeichnern im Original-Wortlaut

Der Brief in einer deutschen Übersetzung von Frank-Patrick Steckel

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