System zum Verlieben

von Christian Huberts

Berlin, 7. Juli 2016. Der Titel der Open-World-Simulation von Prinzip Gonzo spielt fraglos auf "Monopoly" an. Nur eben verdreht. "Monypolo". Kein harmloses Familienvergnügen an einem verregneten Sonntagabend, denkt man, sondern bitterer Ernst. Oder zumindest ein zynisches und unfaires Spiel. Etwas, das "Monopoly" auch hätte sein sollen, zumindest wenn es nach der Erfinderin Elizabeth Magie gegangen wäre. Im Jahre 1904 als "The Landlord's Game" patentiert, hatte Magie eine dezidiert negative Spielerfahrung im Sinn, die den Kindern frühzeitig allen Spaß an egoistischer Geschäftemacherei rauben sollte. Zumindest die Idee, bis das populäre Grundprinzip geklaut, von Firma zu Firma weitergereicht und für den Massenmarkt auf Hochglanz poliert wurde. Das Endprodukt – Monopoly – ist ein Spielsystem, das man ohne Widerstand lieben kann.

Aufstieg und schneller Fall der TurboKäre-Dynastie

Das abstrakte Spielbrett des Vorbilds ist in "Monypolo" einer großen Markthalle gewichen. Die Spielenden werden mit weißen Hemden und Krawatten uniformiert, erhalten einen neuen Namen und erlangen Skills wie Charisma, Logistik oder Teamfähigkeit. Zu Teams von vier bis sechs Personen, schließen sie sich zu Firmen in einer von sieben Branchen zusammen. Etwa zum windigen Pharma-Unternehmen "TurboKäre", das bereits wenig später von Mitarbeitern sabotiert wird, unglücklich mit dem Nahrungsmittelproduzenten "Kraut & Rüben" fusioniert und schließlich vom erfolgreicheren Konglomerat "P.G.W." geschluckt wird. Halb so wild, wie sich zeigen soll.

Monypolo1 560 Cam Matheson uTechnologie oder lieber Rüstungsindustrie? Geschäftsfelder in "Monypolo" © Cam Matheson

Wie man aber in "Monypolo" genau erfolgreich ist? Schwer zu sagen. Mit kleinen Aufgaben – mit denen man sich ein wenig zum Affen macht – werden Unternehmenswerte wie Kapital und Nachhaltigkeit produziert sowie Mitarbeiter weitergebildet. Lobbyismus hilft darüber hinaus bei der Senkung von Steuern. Regelmäßig bimmelt die Glocke zur Zwischenbilanz. Die schwächste Firma fliegt. Arbeitslose und ihre Skills werden von der Konkurrenz hungrig abgefischt. Manchmal verschwinden auch Menschen in dunklen Hinterzimmern und planen... irgendwas. Und am Ende wirkt sich das alles auf den Marktwert von "TurboKäre" & Co. aus... irgendwie.

Viel Sand im Sandkasten

Ein häufiges Problem von Simulationen ist das sogenannte "simulation fever": Ist die Simulation zu ungenau und unvollständig, wird ihrer Botschaft nicht geglaubt. Ist sie zu überladen mit Variablen, verliert sich ihre Aussagekraft im Überfluss der Details. Das Fieber sinkt nur bei einem Gleichgewicht von Vereinfachung und Komplexität. Bei "Monypolo" schlägt das Thermometer jedoch gefährlich aus. Die Detailfülle, die Ausstattung, der technische Aufwand, die Masse der Performer ist beeindruckend und wird der Simulation genau damit zum Verhängnis. Selbst wenn die Zusammenhänge des Spiels mit etwas Abstand eigentlich gut nachvollziehbar wären, herrscht im individuellen Eifer der Gefechtssimulation überforderte Gleichgültigkeit.

Monypolo3 560 Cam Matheson uJung-Gründerinnen lächeln Dich an in "Monypolo" © Cam Matheson

Wie bei Open-World-Games am Computer ist die Weltkarte übersät mit Points of Interest und das Quest-Register rappelvoll mit potentiellen Handlungsmöglichkeiten. Das entspannte Abhängen an der Bar "Zum dreckigen Sparschwein" bietet sich da als unkomplizierte Alternative an – ohne dafür Sanktionen befürchten zu müssen. Warum also nicht? Für Reflexion bleibt sowieso kaum Zeit. Die Konsequenzen des eigenen Wirkens verschwimmen hinter den hektischen, okkulten Bewegungen des Marktes. Vom bösen Kapitalismus ist wenig zu spüren. Es dominiert der gutmütige Kapitalismus. Niemand ist arm oder auch nur von Armut bedroht. Man kann seine Firma immer wieder an die Wand fahren, weil es nirgendwo Opfer gibt. Und wo das System nie in seinen Auswirkungen am eigenen Leib spürbar wird, muss man es auch nicht befragen. Hauptsache man hat Spaß.

Simulation mit Fieber

"Monypolo" ist also mehr "Monopoly" als "The Landlord's Game". Hochglanz statt forcierte Frustration. Im Untertitel heißt es "Liebe dein System" und auch das System dieses Spiels lässt sich ganz widerstandsfrei lieben. Es gibt kaum ernste Regelkonflikte und keine kritische Rhetorik, die sich aus dem Zusammenspiel der Simulationsvariablen entwickelt. Erfolg haben ist geil und verlieren gar nicht so schlimm. Nicht mal das Gefängnis droht. Jeder geht über Los! Das spiele ich gerne wieder – an einem verregneten Sonntag mit der Familie oder beim Betriebsausflug zur Verbesserung der Teamfähigkeit. Nur um den Kapitalismus zu befragen, spiele ich es wohl nicht noch einmal.

Monypolo – Liebe dein System!
Das Spiel zur Serie
Von Prinzip Gonzo (Alida Breitag, David Czesienski, Robert Hartmann, Holle Münster, Tim Tonndorf), Thea Hoffmann-Axthelm und Markus Schubert
Idee, Konzept und Realisation: Thea Hoffmann-Axthelm, Markus Schubert und Prinzip Gonzo, Ausstattung: Thea Hoffmann-Axthelm, Software: Markus Schubert und Christoph Wanja (toto.io, Nebelflucht GmbH), Assistenz: Hanna Scherwinski, Christian Stolz, Gestaltung: Hirn Faust Auge.
Mit: Roland Bonjour, Alida Breitag, David Czesienski, Nora Decker, Josephine Fabian, Emilia de Fries, Wolf Gerlach, Robert Hartmann, Maximilian Held, Thea Hoffmann-Axthelm, Jan Jaroszek, Simon Mantei, Holle Münster, Elena Nyffeler, Hannah von Peinen, Katharina Schenk, Markus Schubert, Robert Speidel, Christian Stolz, Tim Tonndorf, Anna von Haebler, Maria Walser, Matthias Zeeb.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.ballhausost.de
www.prinzip-gonzo.de

 

chrislogoChristian Huberts Jahrgang 1982, studierte "Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis" an der Universität Hildesheim. Er ist freiberuflicher Redakteur für das Games-Bookazine WASD,  schreibt über die Partizipation an virtuellen Welten und die Kultur von Computerspielen.

 

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