Viel Lärm um nichts - Am Magdeburger Puppentheater inszeniert Moritz Sostmann Shakespeare italienisch-sommerlich als Open-Air-Spektakel
Liebe unter der Freiluftdusche
von Simone Kaempf
Magdeburg, 9. Juli 2016. Was für ein liebenswerter Macho! Sommerhemd weit offen, Dackelblick hinter dunkler Sonnenbrille, loses Mundwerk. In Partystimmung ist dieser Benedikt, mit einem Oberlippenbärtchen wie zu Zeiten Clark Gables. Auch Leonato trägt dieses Bärtchen, Don Pedro, dessen Halbbruder Don Juan. Den ganzen Männertrupp, der in Sieger- und Partylaune zusammentrifft, muss man grundsympathisch finden angesichts der Mischung aus italienischem Machotum und Verknautschheit, die Puppenbauerin Franziska Hartmann ihnen verliehen hat. Was nicht mit Niedlichkeit zu verwechseln ist. Altersfurchen, Falten, Lebensgrimm sind ihren Gesichern bei aller Kindlichkeit genauso eingeschrieben, und eben auch südliche Lässigkeit.
Wilde Natur, wuchernde Gefühle
Locker, mühelos und selbstverständlich lassen die acht Spieler*innen des Puppentheater Magdeburg einen Teil der Figuren aus "Viel Lärm um nichts" als Puppen lebendig werden, wobei der zunehmend liebesverwirrte Benedikt allen voran als Typus herausstechendes Profil gewinnt. Passend zum Ferienanfang setzt Regisseur Moritz Sostmann das südliche Ambiente des Bühnenbilds mit schwebender Leichtigkeit in Gang. Im italienischen Villengarten herrscht dicke Sommerstimmung. Es riecht nach Sonnenspray, das die Mädchengang Beatrice, Hero und Margret in schrillen Bikinis versprühen. Gekreische, als Don Pedro via Mobiltelefon das Eintreffen der Männer ankündigt. Und dann kommen sie auch schon zu Adriano Celentanos Sommerhit: lauter Hingucker mit ihren Goldketten, Hawaihemden, bunten Badeshorts.
Die Ausstattung leistet an diesem Abend ganze Arbeit, aber die große Überraschung ist das Bühnenbild: ein italienisches Refugium, das sich unter freiem Himmel im Hinterhof des Puppentheaters Magdeburg eröffnet. Links ein Gartenreich mit Labyrinthen, Brunnen, Marmorstatuen, von uneinsehbaren Gassen durchzogen, die sich für rasche, manchmal zauberhafte Auf- und Abtritte eignen. Rechts eine morbide Bauruine mit Betonmischer und gestapelten Bierkisten. Darüber ein großes Sonnensegel, unter dem sich die schönen und hässlichen mediterranen Seiten vereinen, so wie auch die edlen und die vom Neid zerfressenden Gefühle, die Gastfreundschaft wie die Intrige gegen Hero, mit dem Resultat eines komplizierten Karussells aus Verdächtigung, Belauschen, Verwechslung. Ein Ort wilder Natur und wuchernder Gefühle.
Das Spielen selbst wird Thema
Moritz Sostmann inszeniert in diesem wundersamen Hinterhofreich William Shakespeares' Komödie sprühend vor Ideen und mit frischem Blick auf die sich anbahnenden Liebeskonstellationen. Strohwände bieten an der offenen Freiluftdusche notdürftig Sichtschutz. Der sich unbeobachtet glaubende Benedikt trifft hier auf Beatrice, und wenn Hero am selben Ort Claudio entdeckt, entwickeln sich so zarte wie lebenskomische Szenen, weit entfernt von den Ironiefallen des Stücks.
So einiges kommt gelungen zusammen: Die wundersame Kulisse, die selbst das moderne Flachdachgesims des Theaters noch als Stellplatz für eine Madonnenfigur zu nutzen weiß. Die Verbindung aus Puppen- und Schauspiel, die respektlosen und gelungenen Ideen, ein Zugriff, weder psychologisch noch naturalistisch, sondern ganz aus der Handlung gewonnen. Als komödiantischer Höhepunkt verdrückt sich Benedikt zum Pinkeln hinter die Hecken, verfällt in monologische Liebesgeständnisse und schwingt schließlich den Gartenschlauch zum großen Wässern. Sostmann grundiert solch ironische Symbolik auch existenziell. Und er macht das Puppenspielen selbst zum Thema. Beatrice etwa ist als Puppe eine rotgefärbtes Girlie mit dem Mundwerk einer Giftspritze. Puppenführerin Jana Weichelt ähnelt ihr mit Spiegelsonnenbrille und wechselnden Klamotten als Typus. Hausherr Leonato führt zu Anna Wiesemeier dagegen eher ein Herr-und Knecht-Verhältnis.
Appell an die tiefer liegenden Gefühle
Der stimmungsvolle Charme der Inszenierung wird mit dem Moment der Hochzeit jäh gebrochen, jetzt ist Mauerschau angesagt. Die Mädchen ziehen ihre Kleiderstange hervor, die Handys vibrieren im Ausschnitt. Aber wie oft kann man zeitgenössisches Liebes-, Konsum- und Kommunikationsverhalten bemühen und sich nicht doch nur in einem Posing üben?
Am Ende sind auch in dieser "Viel Lärm um nichts"-Inszenierung alle Gefühle nur Theater, die Handlung wird mithilfe weiterer Popeinlagen vorangetrieben und ein bisschen schmerztherapiert. An Heros Grab singt man ihr einen letzten Song. Allein aus Don Pedros Knautschgesicht spricht Erschütterung und appelliert an die tiefer liegenden Gefühle. Beeindruckend ist auch, wie die Schauspieler*innen sie führen, mit ihnen verwachsen sind, alles Absolventen, die an der Berliner Ernst-Busch-Schule mit Schwerpunkt Puppenspiel ihr Handwerk gelernt haben.
Zum Happy End schmettert man als Rauswerferlied "Felicita", finale Doppelhochzeit für beide Paare. Die Liebesgötter irgendwo da oben Richtung Sterne meinen es ja doch gut. Das Wetter hat auch mitgespielt. Eine magische Verwandlung in ein südliches Gartenreich hat der betonierte Hinterhof erfahren. Im Vorwege hieß es, dass die Inszenierung als unterhaltsam gedachtes Hofspektakel nicht den Abendspielplan repräsentiere. Macht nichts: Die Inszenierung schöpft aus der Sommerstimmung eine ganz eigene Kraft, auch wenn am Ende doch die Luft ausgeht.
Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Regie: Moritz Sostmann, Bühne: Christian Beck, Puppen: Franziska Hartmann, Dramaturgie: Stephanie Preuß.
Mit: Claudia Luise Bose, Jana Weichelt, Anna Wiesemeier, Freda Winter, Richard Barborka, Florian Kräuter, Lennart Morgenstern, Leonhard Schubert.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.puppentheater-magdeburg.de
Sostmann inszeniere "die Verwechslungskomödie in einem geschickten Mix von Schauspiel und Puppenspiel", schreibt Kathrin Singer in der Magdeburger Volksstimme (11.7.2016). Die Klappmaulfiguren von Franziska Hartmann verfügten "über eine verblüffende realistische Mimik", die Spieler wiederum würden durch sie "zu doppelköpfigen Wesen, deren Spiel immer dann am meisten fasziniert, wenn Puppe und Spieler sich in zwei Personen aufspalten und in Dialog treten." Es gebe "deftiges Volkstheater am Rande zum Klamauk" zu sehen, allerdings griffen Sostmann und sein Ausstatter Christian Beck für die Charakterisierung der Geschlechter auch "tief in die Klischeekiste".
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(Lieber fritz, es sind natürlich PuppenspielerInnen, wobei nicht alle an diesem Abend eine Puppe führen. nachtkritik-Redaktion / Simone Kaempf)