Kinder, werdet erwachsen!

von Georg Kasch

München, 24. April 2008. Schnee liegt in den Bergen, die Sonne scheint, Sekt schäumt. Babsi, Jeani und Max sind ausgelassen, lachen, die Stimmung könnte kaum besser sein. Ist auch alles nur eine Vision, eine Utopie, auf den Hintergrund projiziert. In Wirklichkeit haben drei Mittdreißiger gerade eine Nacht lang festgestellt, dass sie sich gegenseitig nichts mehr zu sagen haben – und sich selbst so recht auch nicht.

Ewald Palmetshofers Stück "wohnen. unter glas", das nach der Uraufführung in Graz auf der Kleinen Bühne des Münchner Volkstheaters seine deutsche Erstaufführung erlebte, lässt sich auf einen simplen Plot reduzieren. Zwei Frauen und ein irgendwie impotenter Mann lebten in jüngeren Jahren gemeinsam in einer WG, hätten miteinander auch mehr haben können, aber die Versuche scheiterten. Jetzt treffen sie sich wieder, schlagen sich Banalitäten und große Wahrheiten um die Ohren, vor allem um die eigenen. Und müssen erkennen, dass ihre Leben Bluffs sind, an die sie selbst kaum glauben.

Stottern in der Wirtsstube 

Das hätte ein hübsches kleines Boulevarddrama über die großen Fragen des Lebens Mitte Dreißig werden können. Aber Palmetshofer wollte mehr. Das Stück scheitert jedoch an dieser Ambitioniertheit. Die parataktische Schreibe mit ihren repetitiven Stummelsätzen, die sich zuweilen in schwiemelige Bedeutungshuberein ergießen, nervt und verrät darüber die Figuren.

Warum sollte man sich für drei stotternde Pappnasen interessieren, die plötzlich entdecken, dass sie ein Problem mit sich und der Welt haben? Weil Frank Abt und seine Darsteller Menschen auf die Bühne stellen, die ihre Texte mit solcher Überzeugung sprechen, dass man fast versucht ist, den Schmarrn zu glauben. Weil sie mit vielen kleinen Gesten und minimalen Textergänzungen trotz aller Verzicktheit und Larmoyanz liebenswerte Typen schaffen, ganze Charaktere, deren Probleme berühren.

Das Unbehagen zwischen den einstigen Mitbewohnern lässt sich in Anne Ehrlichs erdrückend biederer Wirtsstube, von Anfang an mit Händen greifen, eine Raum, der die Figuren Lügen straft mit ihrer wiederholten Behauptung, wie schön es in diesem Hotel sei.

Als wäre alles in Ordnung

Hier ordnet Barbara Romaners perfektionistische Jeani Sektgläser und zieht den Lippenstift nach. Als Babsi auftaucht, stammelt sie zuckersüß ihre Sätzchen, weil ihr zur Rivalin nichts Rechtes einfallen will. Vom Autor ziemlich dumpfbackig angelegt, verleiht Stefanie Schadeweg Babsi sympathische Bauernschläue und weiche Körperlichkeit, die mit Jeanis versnobter Bissigkeit und ihrem gurrenden Sexappeal durchaus mithalten können. Als sie nicht schlafen kann, stößt sie Jeani zunächst mit dem Fuß, um dann zu fragen: "Na, auch noch wach?"

Friedrich Mückes Max hingegen, für beide ein großes Rätsel und eine ebensolche Herausforderung, kann gar nicht genug über seine Mittelmäßigkeit staunen. Das hat streckenweise Witz, auch deshalb, weil Abt die langen Monologe aufbricht und Mücke die Texte ans Publikum adressieren lässt, der sich schon mal auf einen Scheindialog mit einer Zuschauerin einlässt. Und siehe da: Max’ Relevanzproblem gewinnt an Bedeutung, weil Mücke einen mit klarem Blick und aggressivem Ton anspricht.

Der Gedanke "Junge, werd erwachsen" freilich will nie ganz weichen. Auch untereinander agieren die Schauspieler bei ihren zahlreichen Innenschauen weiter, als wäre alles in Ordnung. So bleibt es dem Betrachter überlassen, ob er das milde Lächeln der Anderen angesichts eines Wutausbruchs als Nichtwahrnehmung, boshafte Ignoranz oder Idyllenversuch lesen will.

Zur Erholung zaubert Abt mit leichter Hand Wohlfühlmomente, ein kurzes Kuscheln, ein gemeinsamer Karaokesong, ein silbriger Gitarrensound, die konsequent in der streitend-schweigenden Realität versanden. Nur selten stottert die Geschichte, obwohl der Text gar zu abstrus und wenig nachvollziehbar ist. Dafür, dass Abt und das Volkstheater-Team dennoch das Beste aus "wohnen. unter glas" herausgeholt haben, sollte sich der Autor artig bedanken.

wohnen. unter glas (DEA)
von Ewald Palmetshofer
Regie: Frank Abt, Bühne und Kostüme: Anne Ehrlich.
Mit: Friedrich Mücke, Barbara Romaner, Stephanie Schadeweg.

www.muenchner-volkstheater.de

 

Ewald Palmetshofer ist mit seinem Stück hamlet ist tot. keine schwerkraft zu den diesjährigen Mülheimer Theatertagen eingeladen. Ab 1. Mai werden wir auf unserer Online-Festivalzeitung www.nachtkritik-stuecke08.de ausführlich über das Festival, die geladenen Autoren und Stücke berichten.

 

Kritikenrundschau 

Meistens gehe es gut auf, "wenn junge Regisseure junge Dramatiker mit jungen Schauspielern vor jungem Publikum realistisch in Szene setzen", "so eins zu eins", meint Teresa Grenzmann im Münchner Merkur (28.4.2008). Das gelinge auch in der deutschen Erstaufführung von Ewald Palmetshofers wohnen. unter glas durch Frank Abt am Münchner Volkstheater. Abt überführe des Autors "intellektuellen Schnipselwortschatz in die unmittelbar berührende Realität dreier Dreißigjähriger", die von den Schauspielern "dicht und differenziert" gespielt würden. Allerdings verlöre der Text "durch die direkte, emotionale Aufbereitung des Regisseurs an Eigenart und abstrakter Zugkraft". Die Story allein sei "zu flach, um mit ihr theatrale Gipfel zu stürmen".

"Oje", denkt Christine Dössel zuerst in der Süddeutschen Zeitung (25.4.2008), ob die rustikale Bauernstube der Bühnenbildnerin Anne Ehrlich das richtige Setting für Ewald Palmetshofers "postdramatische Spielereien im diskurstheoretischen René-Pollesch-Ton" ist? Doch die Erleichterung folgt auf dem Fuße, denn vor allem durch die drei "gänzenden jungen Schauspieler" funktioniert Frank Abts Inszenierung aus ihrer Sicht ziemlich gut. Barbara Romaner, Friedrich Mücke, Stephanie Schadeweg machen sich, wie Dössel findet, "Palmetshofers sehr speziellen Sprachsound so mund- und typgerecht zu eigen", dass "das manchmal Gespreizte eine schöne Natürlichkeit, Lebendigkeit und, ja auch: Menschlichkeit bekommt". Auch dass Abt "diesen manchmal schon auch verschwurbelten Text kürzt, psychologisiert und in einem - vorsichtig gebrochenen - Realismus erdet", kurz: "als flotten Dreier mit viel Gefühl" inszenieren würde, bekomme der Sache gut, "auch wenn er die ökonomisch-politische Dimension ausspart".

Rolf May von der tz (26./27.4.2008) entdeckt überraschenderweise Palmetshofers Text selbst als "raffinierten Mix aus psychologischem Realismus, sprachlicher Unbeholfenheit und immer wieder in Monologen ausuferndem Lebensgefühl". May findet das Alpenland-Hotelambiente "treffend spießig" und die Inszenierung, der ebenso "trefflichen Unterstützung" durch die Schauspieler sicher, "punktgenau" sowie "erfreulich uneitel". Insgesamt das "einfühlsame Porträt einer Generation nach Marx und Coca-Cola, die aus der Pubertät direkt in die Frühvergreisung schlittert, mehr lächerlich als tragisch".

"Ein kleines, feines Juwel", freut sich Gabriella Lorenz in der Abendzeitung (26./27.4.2008) über Frank Abts Inszenierung, in der die sich Wiedertreffenden keine Umarmung mehr schaffen, sondern nur "mit ausgebreiteten Armen (...) immer wieder: 'Wahnsinn. So lange.' " stammeln. Der Regisseur beweise "Fingerspitzengefühl für Ruhe und Komik, für Pausen und großes Gefühl, das aus Palmentshofers Satzbrocken herausbricht" und von den Schauspielern – sei es nun Verlegenheit, Hoffnung oder Enttäuschung – "hervorragend" gezeigt werde.

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