Kitschverputzte Komödienfassade

von Regine Müller

Oberhausen, 25. April 2008. Glanzvolle Zeiten sah dieses Etablissement wohl nie: schäbige Raststätten-Toiletten auf dem Gang, im Foyer eine karge Bar, rote Sitzmöbel minderer Qualität, eine morsche Jukebox und ein schmales Fenster mit Blick auf ein Bergpanorama. Letzteres verhalf der Absteige immerhin zum einladenden Namen. Inzwischen beherbergt das "Hotel zur schönen Aussicht" nur mehr Gestalten, denen es an Perspektiven, an veritablen Aussichten doch eher mangelt.

Verkrachte Existenzen, Streuner und Krisenüberwinterer sind die letzten Menschen in diesem Hotel, das auf der Bühne des Oberhausener Theaters nahezu abbruchreif scheint. Das Personal muss sich bereits verkrümelt haben, denn es türmen sich Berge dreckiger Bettwäsche im Flur und vom Staub stumpf gewordene Gläser verraten, dass die letzte Party hier schon sehr lange her ist.

Angegilbte Morbidezza

"Alles verstaubt und verwahrlost" verlangt ja auch Ödon von Horvaths Bühnenanweisung, doch Ausstatterin Carolin Mittler übertreibt es mit der Verwahrlosung derart, dass statt angegilbter Morbidezza bloß dröge Baustellenatmosphäre herrscht. Horvaths bitterböse Komödie – "Alle meine Stücke sind Tragödien" gab der Autor einst mahnend zu Protokoll – aber lebt davon, dass sich für ihr holzschnittartig umrissenes Typen-Personal alles auch noch zum Guten wenden könnte, wenn, ja wenn der "liebe Gott" noch helfen würde: Wenn einem die Schulden abgenommen würden, wenn dubiose Machenschaften vergessen würden oder wenn die große Liebe doch noch käme.

Horvaths Menschen im Hotel sind noch nicht ganz unten, sondern sie leben im Dazwischen von Hoffnung und niederstem Instinkt. Der im Stück so oft beschworene liebe Gott meint in Wahrheit natürlich nur das liebe Geld, das in Horvaths ernüchterter Welt zum einzigen Motor zwischenmenschlicher Gefühle wird und das Geschlechterverhältnis vergiftet. Und da (fast) alle pleite sind geht es im Hotel zur schönen Aussicht entsprechend lieblos zu: Hotelbesitzer Strasser (Torsten Bauer) hat nichts mehr im Griff, beschläft aber dennoch pflichtschuldigst den einzigen verbliebenen Gast, die mannstolle, abgehalferte Freifrau Ada von Stetten (Anna Polke), die auch das restliche Macho-Personal sexuell verschleißt.

Schwangere Lichtgestalt

Kellner Max (Neven Nöthig) ist im Hotel hängen geblieben, der Strizzi Karl (Jeff Zach) versteckt sich vor krimineller Vergangenheit, der Sektvertreter Müller (Martin Müller) will eigentlich nur eine offen stehende Rechnung begleichen lassen, während Emanuel (Hartmut Stanke) bei seiner Schwester Ada dringende Spielschulden zu erbetteln trachtet. In dieses Szenario platzt Lichtgestalt Christine herein, die sich ein Jahr zuvor in das Hotel verirrt hatte und sich damals von Hotelbesitzer Strasser schwängern ließ. Nun eröffnet sie die frohe Botschaft ihrer Mutterschaft, woraufhin die versammelte Männerschar sich gegen sie verbündet und sie zur Hure abstempelt.

Regisseur Beat Fäh muss Horvaths Bemerkung, alle seine Stücke seien Tragödien gründlich überlesen haben, denn in Oberhausen kracht und dröhnt ganz ungeniert das Boulevard. Die Herren tragen alberne Perücken, stolpern über Tisch und Bänke und würden in einer Daily Soap propere Figuren abgeben. Männerverschleißerin Ada taugt gerade noch zur Karikatur, kann aber, rothaarig und wild kreischend weder Tragik und echte Komik entwickeln.

Keine Komödie

Letzteres gelingt noch am ehesten Hartmut Stanke als Emanuel von Stetten, dessen schüttere Existenz immerhin zu ahnen ist. Brav und solide arbeitet der Regisseur sich ansonsten am Text entlang, ignoriert die menschlichen Abgründe systematisch und baut stattdessen eifrig dröhnende Slapsticks und plumpe Stolperfallen ein.

Das ist eine Weile mäßig witzig, verbraucht sich aber rasch. Da Fäh sich vor weiterer Analyse drückt und vor der Tragödie hinter der mit säuerlichem Kitsch verputzten Komödienfassade eilig davonläuft, werden die zwei pausenlosen Stunden dann doch arg lang. Denn diese Komödie taugt eben nicht zur Komödie. 

 

Zur schönen Aussicht
von Ödön von Horvath
Regie: Beat Fäh, Bühne: Carolin Mittler, Kostüme: Marion Hauer, Musik: Carl Ludwig Hübsch. Mit: Neven Nöthig, Jeff Zach, Martin Müller, Torsten Bauer, Hartmut Stanke, Anna Polke, Susanne Burkhard.

www.theater-oberhausen.de


Mehr lesen, zum Beispiel wie Christiane Pohle das Stück vor drei Wochen an den Münchner Kammerspielen inszenierte, können Sie hier.

 

Kritikenrundschau

Monika Idems freut sich in der Neuen Rhein Zeitung (27.4.) über die hervorragenden Schauspieler, mit denen Beat Fäh in Oberhausen aus Horváths "Zur schönen Aussicht" einen "kurzweiligen Theaterabend" gemacht habe. Das komplette Ensemble schillere mit "perfektem Boulevard-Timing" bei Auf- und Abtritten, sei "gaga genug für die Dada-Schlenker im Text" und habe "die Tiefe für die von Horváth angelegten und von Fäh ausgeloteten Abgründe". Anna Polke changiere als Ada "zwischen unzurechnungsfähig und berechnend", keiner schlurfe schöner" denn Neven Nöthig als Max, "grandios desinteressiert" und "wie ein Schluck Wasser in der Kurve" hänge Jeff Zachs Karl herum, Susanne Burkhards Christine sei "schmerzhaft unschuldig" und Hartmut Stankes Edmund "fies verschlagen", Martin Müller hingegen "einfach schön stumpf". Als Strasser glänze Torsten Bauer, der den Opportunisten "mal witzig bauernschlau, mal ekelig abgezockt" gebe. Komponist Carl Ludwig Hübsch liefert überdies zu Horváths "Gefühlsachterbahn" einen "Gänsehaut-Soundtrack".

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