Staatsballett Berlin: Ensemble fordert Rücknahme der Ernennung von Sasha Waltz
Völlige Unkenntnis, tiefgreifender Mangel an Respekt
12. September 2016. Mit einer Petition protestiert das Ensemble des Berliner Staatsballetts gegen die Ernennung von Sasha Waltz und Johannes Öhman zu Co-Intendanten des Staatsballetts ab der Spielzeit 2019/20 und fordert die unverzügliche Rücknahme dieser Entscheidung und die Einsetzung einer Findungskommission.
Die Ernennung von Waltz und Öhman sei "mit der Ernennung eines Tennis-Trainers zu einem Fußball-Trainer oder eines Kunstmuseumsdirektors zu einem Chefdirigenten" zu vergleichen, heißt es unter anderem im Petitionstext. Diese Entscheidung von Michael Müller und Tim Renner zeige "die völlige Unkenntnis beider über die Traditionen und Entwicklungslinien von Tanz und insbesondere Ballett".
Inmitten des Wahlkampfes
"Besonders erwähnt werden muss", so die Erklärung des Ensembles weiter, "dass eine solche Ernennung drei Jahre im Voraus in der Ballettwelt nicht nur beispielslos ist, sondern auch die Compagnie tief verstört und beleidigt. Dass diese Ankündigung inmitten des Wahlkampfs erfolgt, lässt uns zu dem Schluss kommen, dass sie weniger künstlerisch als vielmehr politisch motiviert ist, was abermals von einem tiefgreifenden Mangel an Respekt für unsere Compagnie, unsere Tradition, unsere Kunstform und unser Publikum zeugt". Weitere Protestaktionen sollen in Vorbereitung sein.
Es ist dies der zweite Protest aus einem Ensemble heraus gegen eine Intendanz-Entscheidung aus dem Hause Müller/Renner. Im Juni hatten Teile von Ensemble und Belegschaft der Berliner Volksbühne gegen die Ernennung von Chris Dercon als Nachfolger von Intendant Frank Castorf protestiert.
(sle)
Hier geht es zum vollständigen Text des Protesteschreibens des Ensembles des Berliner Staatsballetts sowie der Petition.
Eine Presseschau zu den Protesten in Berlin gibt es hier.
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Wir werden sehen, ob Sasha Waltz, die als Managerin nicht groß Erscheinung getreten ist, auch in der Lage ist, eine so große Kompanie zu leiten, geschweige denn künstlerisch mit den Tänzern zu arbeiten. Die Angst der Tänzer ist verständlich.
Vergleichbar mit der Angst des Ensembles der Volksbühne ist sie nur annähernd. Hier handelt es sich um 82 Tänzer, dort um 12 fest angestellte Schauspieler (die Volksbühne arbeitet von allen deutschen Theatern mit dem meisten Gästen).
(Das Protestschreiben der Volksbühne war von über 150 Menschen unterschrieben, darunter nicht nur Schauspieler*innen sondern auch anderweitig an der Volksbühne Beschäftigte. Freundliche Grüsse aus der Redaktion)
Es bleibt nun mal nicht immer alles so, wie es ist. Ich finde die Entscheidung für die beiden neuen Ko-Intendanten jedenfalls nach wie vor super.
Ich frag mich, wo bei dir die Sonne so scheint, lieber Prospero. Es entscheiden also "Besitzer, Anteilseigner, Aktionäre, Wähler!" Genau in der Reihenfolge. Punkt! Umgekehrt wäre das ja Demokratie, oder wie das heißt. Und was sind eigentlich die, über die entschieden wird? Dummes Wahlvieh? Besitzen die nichts? Man muss ja nicht für die unmittelbare Mitbestimmung sein, aber ich dachte, wir waren da schon mal weiter. Aber gut, wer das Geld hat darf entscheiden, wir leben ja schließlich nicht im Sozialismus.
Im vorliegenden Fall sind "Besitzer, Anteilseigner, Aktionäre, Wähler" sozusagen identisch, weil das Berliner Staatsballett öffentlich finanziert wird. Ihren polemischen Versuch, eine Reihung zu konstruieren, lassen Sie also besser, werter Mitdiskutant. Und demokratisch legitimiert - d.h. Vertreter der obigen, steuerzahlenden Besitzerriege - ist nicht das Ensemble, sondern die von ihm angegriffenen Herren Müller und Renner. Hören Sie doch bitte auf, Egoismus und Anmaßung als urdemokratischen Willensakt zu verklären!
Dann freue ich mich auf 2019, meinetwegen auch ohne den russischen Popanz und ohne "Baryshnikowa".
Also doch Stimmvieh. Stimme abgeben und Klappe halten. Kritik an Senatsentscheidungen ist unerwünscht. Was ist denn das für eine Auffassung von Demokratie? Warum soll das Ballett, oder auch ein Schauspielensemble, nicht die Zurücknahme einer Entscheidung, die der gewählte Senat Kraft seines Amtes, oder was auch immer in dazu legitimiert, fordern, oder sie zumindest in Zweifel ziehen dürfen. Diese Art von Protesten mit der Bemerkung Sonnenstich, oder Egoismus zu quittieren, ist nicht nur flapsig, sondern auch sehr eitel und zynisch. Jeder hat das Recht Politikerentscheidungen anzuzweifeln und dagegen zu protestieren. Ihr Verständnis von Demokratie als nach oben delegierte Entscheidungsvollmacht, ohne jegliche Möglichkeit der Einflussnahme, erinnert an die Türkei oder Russland. Aber da sollen die ja jetzt auch hingehen. Nach Moskau, nach Moskau! Da herrschen noch ganz andere Sitten.
Zum Glück sind ja diesen Sonntag Wahlen (@3, @5, @6, @10)! Die Wähler/inn/en können ja entscheiden, inwieweit sich der T.Renner mit Ruhm bekleckert hat.
(Werter Derkann, auch andere Medien haben diese Protestenergien kurzgeschlossen, darunter der Tagesspiegel und Spiegel-Online:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/protest-gegen-entscheidung-des-buergermeisters-berliner-staatsballett-lehnt-ko-intendantin-sasha-waltz-ab/14534008.html
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sasha-waltz-staatsballett-proteste-gegen-designierte-intendantin-a-1111959.html
Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Liebe Baryshnikowa. Große Namen haben nichts mit der „Freien Szene“ zu tun. Auch ist Sasha Waltz schon längs nicht mehr nur der freien Szene zuzuordnen. Der Staatsopernballett-Job ist vielleicht ein Versuch des Senats, die freie Szene ein wenig zu befriedigen. An Sasha Waltz hatte man etwas gut zu machen. Außerdem sind ihr internationaler Ruf sowie die Reputation in der freien Szene nach wie vor gut. Nur nützt die Berufung von Sasha Waltz weder der freien Szene etwas, noch wird es das Ensemble des Staatsopernballetts, das nun um seine klassische Ausrichtung fürchtet, zufrieden stellen.
Was die Freie Szene von der angeblichen finanziellen Besserstellung durch Tim Renner hält, die von Rüdiger Schaper in seiner Bilanz der Berliner Kulturpolitik im Tagesspiegel noch konstatiert wurde, kann man in der taz nachlesen. Nichts ist erledigt, ist das Fazit: http://www.taz.de/!5335634/
Man kann sich laufend auch auf Facebook informieren: Koalition der Freien Szene (Independent Scene Coalition) https://www.facebook.com/groups/312221555510047/
Die Berufung von Sasha Waltz ist nach Chris Dercon ein weiterer großer Besetzungscoup der Berliner Kulturpolitik. Nicht zu vergessen Paul Spieß, den neuen Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Auch er ist ein international renommierter Museumsmann, der Berlin in Sachen moderner Ausstellungsevents nach vorn bringen soll. Man möchte dem Bund in nichts nachstehen, der ja bereits Neil MacGregor als Gründungsintendanten für das Humboldt-Forum berufen hat.
Michael Müller, der den Kultursenatorenjob ja nur von Klaus Wowereit geerbt hatte, und sich auf dem Parkett zunächst wohl nicht so recht heimisch fühlte, hat den Wert von Kultur für Berlin und auch für das eigene Image erkannt. Tim Renner ist ihm da ein guter Berater. Es lässt sich neuerdings mit Kulturpolitik sogar Wahlkampf betreiben, nicht nur auf Empfängen der Berliner Wirtschaft. Die Berufung von Sasha Waltz ist so ein kluger Schachzug zum passenden Moment. Und wie es die taz in ihrem Artikel ganz richtig bemerkt: „Das alles muss nicht nur schlecht sein, demonstriert aber den Bedeutungswandel spezifischer Berliner Kulturpolitik hin zu einem Stadtmarketing-trächtigen, repräsentativen Akzent, hin zu ,Weltoffenheit und Internationalität‘, wie Müller selbst sagt.“ Die heimische freie Szene ist da nur ein schickes Accessoire, das man sich gelegentlich anheften kann. Da bekommt die magische Formel, die Müller letztens auf der Eröffnung der Pop-Kultur in Neukölln kreierte, von einem Berlin als „Stadt der Freiheit“ gleich eine ganz neue Bedeutung. Mal davon abgesehen, das sich der Regierende da auch ganz gut in einer Brandt-Kennedy-Pose gefällt. Was das an wirklich Neuem für Berlin bringt, kann man an Städten wie London schon sehen, wo Clubs geschlossen werden und die Mieten für Künstler in der Innenstadt nicht mehr bezahlbar sind. Freiheit muss man sich in Zukunft vor allem leisten können.
Das nur mal so am Rande zur Berliner Kulturpolitik, ohne die Berufung Waltz fachlich bewerten zu wollen.
Allerdings würde ich Herrn Öhmann zutrauen, auch ohne Mitwirkung von Frau Waltz das Staatsballett zu leiten!
1. Respektlos ist es, die Entscheidung über die Nachfolge im Wahlkampf zu verkünden - meines Wissens ohne größere vorherige Diskussion. So gehört sich das einfach nicht. Für solche Prozesse gibt es bessere, fairere Wege, als dass ein möglicherweise scheidender Regierungschef sich schlicht durchsetzt.
2. Mit der Berufung von zwei eher unterschiedlichen Personen versucht man wohl, es allen Recht zu machen. Das scheint die Lehre zu sein, die man aus dem Volkstheater-Debakel gezogen hat: Wir nehmen einfach einen klassischen Intendanten UND eine moderne Tanztheatervertreterin. Solches Postenvergeben hat in der Politik ja schon immer unbegrenzt funktioniert. Kriegen die beiden dann eigentlich auch ein halbiertes Gehalt?
3. Die Online-Petition scheint sich ja als neue Protestform zu etablieren. Das irritiert mich: Das ist doch irgendwie unkreativ, zu bequem und zu schnell vom Tisch zu wischen. Aber es ist ja auch ein trauriges Zeichen, wenn die Entscheidungsträger offenbar nicht in der Lage sind, das Ensemble so einzubinden, dass es sich respektiert fühlt. Da hat man offenbar bei Renners daheim überhaupt nichts aus dem Volksbühnen-Theater gelernt. Hätte man nicht, vor dem Gang an die Öffentlichkeit, mit dem Ensemble sprechen können, sich beraten lassen können? Oder hat es solche Gespräche gegeben?
Wo ist er denn jetzt, der Unterschied zwischen der Causa Volksbühne und der Causa Staatsballett? Und – ich bin gespannt, wie die Reaktionen auf den Morgenpost-Artikel über das BE ausfallen werden.
Eine weitere Frage, die über die Einzelfälle hinausgeht: Sind (künstlerische) Kollektive wirklich per se konservativ und sträuben sich gegen (ästhetische) Veränderung?
Unabhängig davon scheint es so, als ob das Intendantensystem immer mehr in Misskredit gerät, und historisch abgelöst werden soll, was im Rückschluss keinesfalls heißen kann, dass nunmehr Ensembleentscheidungen immer zugleich demokratischer seien, denn, wie gesagt, beruht ja die Zusammensetzung eines Ensmbles wiederum auf einer Intendantenentscheidung, die allgemein als undemokratisch kritisiert wird. Eine solche Entscheidung kann als von seiner Ursache her gar nicht demokratischer sein, schließt sie doch soviele Optionen im Vorfeld aus. Ein Ensemble besteht eben nicht aus legitimierten Wahlmännern und Frauen und ist somit nicht demokratisch legitimiert für die Mehrheit Entscheidungen zu fällen.
In diesem speziellen Fall aber hilft es, sich an einer ganz einfachen Wahrheit zu orientieren, auch ohne dass schon ein gerechteres System installiert wurde: Niemand muss vor der Künstlerin Sasha Waltz gerettet werden. Kein Tänzer, kein Zuschauer und auch kein Kommentator. Von Sasha Waltz geht, und vor allem in dieser Doppelkonstellation, keine Gefahr aus vor der irgendein Mensch geschützt oder gerettet werden müsste. Eine solches Ansinnen ist im Kern kunstfeindlich und verachtungswürdig.