Perücke

von Teresa Präauer

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13. September 2016. Eine neue Saison beginnt am Theater. Und bis Ihre Kolumnistin sich in diesem Herbst wieder unters Theaterpublikum mischen wird, versteckt unter einer aschblonden Pagenschnittperücke, zehrt sie noch von der Erinnerung an das dramatische Ereignis ihres Sommers.

kolumne 2p praeauerWinfried Conradi als Toni Erdmann: Rolle in der Rolle

Die Leserinnen und Leser von nachtkritik.de werden kaum verzeihen, dass es sich hierbei nicht um ein Theaterstück, sondern um einen Kinofilm gehandelt hat, noch dazu einen, der oft genug besprochen und gelobt worden ist. Dennoch, und verdammt: "Toni Erdmann" ist das schönste, witzigste, herrlichste Ding, das sie in letzter Zeit gesehen hat, ja, zweimal sogar. Und bald wird sie es sich ein drittes Mal ansehen, denn sie liebt diesen Humor. Und sie hat natürlich, wie zu erwarten, geweint, als die Tochter mit dem Vater im rumänischen Haushalt so schön Whitney Houstons Schreckgesang gesungen hat. Und am Ende war sie ganz high, als dann noch, zur Versöhnung, The Cure im Abspann gelaufen ist. Und vieles fiele ihr noch ein, was zwischen Kommata zu setzen wäre, um weiter aufzuzählen, wieso man sich diesen Film unbedingt ansehen müsse.

Peter Simonischek, Burgschauspieler und Seriendarsteller, bedient sich in Maren Ades Film eines recht einfachen theatralen Stilmittels indezenter optischer Verfremdung, nämlich einer schlecht sitzenden schwarzen Kunsthaarperücke und einem Extrapaar an groß geratenen Zähnen, um in die Rolle der Rolle zu finden. Um von Simonischek zu Winfried Conradi, dem Vater von Ines, die in Bukarest als Unternehmensberaterin arbeitet, zu werden, der sich wiederum als schalkhafter Coach Toni Erdmann verkleidet, um im Berufsleben seiner Tochter, großartig gespielt von Sandra Hüller, Unruhe zu stiften.

Doppelt gemoppelter Slapstick

Am Ende gibt es eine Umarmung zwischen den beiden: Ines, gerade eben noch splitterfasernackt gewesen, läuft ihrem Vater hinterher, der da schon die nächste Verwandlung vollzogen hat und im langzotteligen Ganzkörperkostüm der bulgarischen Kukeri durch die Gegend stolpert. Das Filmplakat zeigt einen, derart herangezoomt beinah abstrakt wirkenden, Ausschnitt dieser Umarmung: die hellen Haare der Tochter, hochgesteckt, inmitten von dichtem, schwarzem Fell, wie einer Mähne aus Pferdehaar. Übrigens, der Fotograf Charles Fréger hat, unabhängig von diesem aktuellen Film und seinem Plakat, die Wilden Männer der verschiedenen europäischen Karnevalstraditionen fotografiert, erschienen ist sein Bildband auf deutsch beim Kehrer Verlag 2012.

Es hat mich beinah amüsiert, als ich irgendwo im Internet bei den sogenannten User-Kommentaren zum Film gelesen habe, Toni Erdmann hätte sich besser verkleiden sollen, um als Figur glaubhafter zu wirken. Dabei schafft genau diese schlecht sitzende Perücke et al. in meiner Wahrnehmung etwas, das mich im Theater, in der Literatur, in der bildenden Kunst unglaublich fasziniert: diesen vagen, riskanten Moment, in dem der Slapstick als Zitat verwendet und zweimal gedreht, doppelt gemoppelt wird. Wo im Zitat und als Zitat eine Geste, eine Verkleidung, ein Satz authentisch wird oder berührend oder echt oder wahr: The Greatest Love of All.

Teresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine zu Theater, Kunst, Literatur, Mode und Pop. Ihre Bücher erscheinen im Wallstein Verlag, als Taschenbücher bei S. Fischer, und wurden vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Künstlerroman "Johnny und Jean", nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015. In ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" denkt sie über die Einzelteile nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.

 

Zuletzt dachte Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" Anfang Juni übers Vergehen der Zeit nach.

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