Presseschau vom 15. September 2016 – Die Süddeutsche Zeitung über die Protestursachen in der Berliner Kulturpolitik
Der BER-Fluch
Der BER-Fluch
15. September 2016. Der Kulturetat wächst, die Freie Szene kriegt 50 Prozent mehr Geld, auch in der Museumslandschaft läuft vieles richtig, zählt Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung auf und fragt dann: Warum die ganze Unruhe, zum Beispiel um Volksbühne und Staatsballett? Zum Beispiel, weil lange nicht diskutiert worden ist, welche Rolle die Kulturpolitik "in dieser zerklüfteten Landschaft voller Kiezinteressen" spielen sollte.
Tim Renner scheine vor allem den Erneuerungsdruck, das Veränderungstempo erhöhen und neue Verbindungen herstellen zu wollen. "Das war wahrscheinlich, wenn es denn überhaupt eines gab, das Kalkül hinter der Auswahl der neuen Intendanten für die Volksbühne und das Staatsballett. Die Entscheidungen durch Argumente zu legitimieren, die unmittelbar Betroffenen einzubeziehen oder ihnen wenigstens das Gefühl zu geben, sie hätten teil an der gewünschten Entwicklung, ist kaum versucht worden. Vielmehr schien es, als sollte die bessere Zukunft wie ein Geschenk der Obrigkeit herabschweben."
Das erinnere an sozialdemokratischen Paternalismus. "Seit der Niederlage für obrigkeitliche Beglückungsprojekte auf dem Tempelhofer Feld kann man wissen, dass eine große Zahl der Berliner einen anderen Regierungsstil wünscht. Er ist, auch in der Kulturpolitik, nicht in Sicht."
Bisky bringt die Skepsis gegenüber der Berliner (Kultur-)Politik auf den griffigen Slogan des BER-Fluchs: "Die politische Kultur der Stadt wird noch lange darunter leiden, dass nach dem Desaster und der Skandalkaskade beim Flughafenneubau die Regierung nicht abgewählt wurde. Statt neu anzufangen, wurde die Fertigkeit vervollkommnet, mit dem, was nicht hinzunehmen ist, weiterzuleben, solange es geht." Diese Liste ist lang: Staatsopernbaustelle, Lageso-Chaos, das Bürgeramtswirrwarr. "Als Bauarbeiten für Wohnhäuser eines der wichtigsten Baudenkmäler der Stadt, Schinkels Friedrichswerdersche Kirche, grausam beschädigten, reagierte der Senat mit Schadensabwicklungsroutine. So sät man dauerhaftes Misstrauen."
(geka)
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