Der gute Mensch vom Schiffbauerdamm

von Dirk Pilz

20. September 2016. Diesmal zu Claus Peymann. Der Mann ist Künstler und Intendant, Jahrzehnte schon, und immer Garant für Streit und Stress. Peymann? Kunst? Dem Gros der theaterkritischen Kolleginnen und Kollegen gelten seine Inszenierungen inzwischen als so wenig diskussionswürdig, dass sie im Kopf bereits abgehakt sind, noch bevor Peymann mit den Proben begonnen hat. Er hat oft beklagt, vornehmlich die Berliner Presse begegne ihm mit Hass. Die Wahrheit ist, sie begegnet ihm mit Häme und Herablassung. Das ist peinlich, man schämt sich für die eigene Zunft. Mir fallen auch wenige Peymann-Inszenierungen der vergangenen zehn Jahre ein, die ich zu loben gewusst hätte, ja. Aber man hüte sich vor abschließenden Urteilen. Was heute als verstaubt gilt, wird morgen schon hochgejubelt. Die Kunst hat keine naturgegebenen Kriterien für Gelungenheit, ihre Geschichte keinen Begriff von Fortschritt.

Unmoralisches Handeln

Das vorweg, man muss es betonen, um falsche Vermutung zu unterbinden, ich schriebe hier aus Abscheu vor der Peymann-Kunst. Ich schreibe über den Intendanten. Als Intendant hat er vergangene Woche die Presse in sein Berliner Ensemble gebeten. Aufschlussreich bereits seine Einleitung: Früher, als Chef am Burgtheater, anfangs auch noch in Berlin, habe er alle drei, vier Monate zur Pressekonferenz geladen. Aber er habe das bald gelassen: "Es waren keinerlei Wirkungen zu erkennen." Die Presse hat Peymann nicht nach dem Mund geschrieben, also redet er nicht mit ihr: interessantes Verständnis von Presse in demokratischen Verhältnissen. Die Herren Putin, Erdogan, Orban werden ihn bestens verstehen.

kolumne 2p pilzDanach verkündete Peymann die Pläne für die kommende Saison, bekanntlich seine letzte als BE-Vorsteher. Im Sommer folgt nach 18 Peymann-Jahren in Berlin Oliver Reese ihm nach. Es ist für Peymann natürlich alles toll, was er an seinem Haus veranstaltet, viel toller als alles, was die anderen machen. Aber das machen gemeinhin die Intendanten dieser deutschen, neidgeplagten, missgestimmten Theaterwelt immer so: sich loben, die anderen herabsetzen. Es macht nur keiner so gut wie Peymann.

Derlei Gebaren muss man sich leisten können, finanziell wie moralisch. Peymann glaubt, er könne es sich hervorragend leisten. Das muss man wissen, um seine Tiraden wider die Berliner Kulturpolitik und Oliver Reese zu begreifen. Die Politik, sagt Peymann, gehe schmuck- und würdelos mit den Künstlern um, Reese respektlos mit den jetzigen Mitarbeitern am BE. Das Haus werde "leergeputzt", das Ensemble "vernichtet", das Theater "ausgelöscht wie der Palast der Republik". Von den gut 80 Angestellten im künstlerischen Bereich müssten 65 bis 70 gehen, darunter 35 Schauspieler. Der Senat nennt zwar andere Zahlen, aber das ist nicht der Punkt. Auch nicht, dass Peymann selbst damals gut 30 Schauspieler entließ, als er 1986 das Burgtheater übernahm.

Der Punkt ist, dass er, Peymann, der Politik und Reese unmoralisches Handeln vorwirft.

Humanes Theater?

Peymann fordert von der Kulturpolitik, dass sie "Reese zur Besinnung" rufe, und er fordert vom Senat einen Sozialplan für die künftig Beschäftigungslosen zu finanzieren; von gut einer Million Euro ist die Rede. Vor allem die älteren Schauspieler müssten künftig sonst von Hartz IV leben. "Ich vertrete ein humanes Theater, in dem die Alten nicht aussortiert werden", so Peymann.

Das muss man erklären, um die Perfidie solcher Sätze zu erkennen. Das BE ist eine GmbH, Peymann der alleinige Gesellschafter. Das Haus gehört nicht zum Bühnenverein, es verzichtet, auf Peymanns ausdrücklichen Wunsch, auf tarifrechtlichen Schutz, vor allem für jene, die länger als 15 Jahre am Haus sind. Seit Jahren hat er seinen Schauspielern lediglich Jahresverträge gegeben, immer für eine Saison. Er brüstet sich damit, die Schauspieler stets im Oktober bereits über eine Verlängerung oder Nicht-Verlängerung des Vertrags informiert zu haben. Aber er hat das getan, um maximal flexibel zu sein: Passte ihm jemand nicht, war er ihn schnell wieder los. Man habe als Intendant auch eine soziale Verantwortung, nicht nur eine künstlerische, hält Peymann Reese entgegen. Schöne Worte. Peymann selbst hat sich nicht daran gehalten.

Er preist die GmbH-Struktur ja als "verlockende Konstruktion", als "gut ausgedacht". Das war sie: für ihn. Das Haus konnte so Gewinne erwirtschaften und sich große, teure Produktionen leisten, von Robert Wilson zum Beispiel. Die Kosten trugen die Angestellten: Sie bezahlten durch maximale Unsicherheit.

Der Betriebsrat, sagt Peymann, habe nie "ultimativ" gefordert, dass diese Konstruktion geändert werde. Und er habe immer im "moralischen Glauben" gehandelt, dass sich niemand "als Sau" verhalte, so wie es nun geschehe.

Avantgarde der Theaterunternehmenskultur

Die "Sau" in diesem Stall ist allerdings Peymann. Nicht nur, dass – wie die Senatskanzlei zurecht betont – Reese lediglich die auslaufenden Verträge nicht verlängert, was Peymann zwar zynisch findet, aber nicht zynischer ist, als seine Praxis der Jahresverträge. Nicht nur auch, dass er selbst seine künstlerischen Mitarbeiter in jene Situation gebracht hat, die er nun beklagt. Er verhält sich wie das Management der Commerzbank und Deutschen Bank in der Finanzkrise: Erst nutzte es die Gegebenheiten des Finanzsystems maximal aus, als es zerbrach, rief es nach dem Staat und nach der Moral – und stellte sich dumm.

Peymann reklamiert jetzt den Anspruch auf Naivität für sich: Er habe immer an die Moral geglaubt. Naiv war Peymann jedoch noch nie, immer schon berechnend. Es folgen die entscheidenden Sätze dieser denkwürdigen Pressekonferenz: "Warum sollen wir nicht naiv und im guten Glauben sein? Das postulieren wir doch auf der Bühne." Im Theater, fügt er hinzu, gebe es eine Verbindung zwischen dem eigenen und eingeforderten Handeln.

Das ist die Lebenslüge dieses Theaters: Es gibt diese Verbindung nicht. "Ich glaube noch an die 'Erziehung des Menschengeschlechts' durch Kunst. Ich bleibe ein Weltverbesserer, das macht mich heute zu einer anachronistischen Figur", gab er vor drei Jahren in einem Interview an. Er ist keine anachronistische Figur, er ist die Avantgarde in einer Theaterunternehmenskultur, in der immer nur die anderen schuld sind und mit Moral das eigene unmoralische Verhalten entschuldigt wird, um alles auf andere abzuwälzen. Das Schlagwort dafür heißt Neoliberalismus, der Lieblingsgegner der Theater – weil es ein so enger Verwandter ist.

Nach ihm, sagt Peymann, kämen "die Schlitzis", die aalglatten, morallosen Theaterbewirtschafter. Er hat wirklich "Schlitzis" gesagt und nicht sich selbst gemeint.

Sorry, das ist diesmal etwas länger geworden. Aber es musste sein. Noch ist die Hoffnung nicht getilgt, dass sich an diesen Verhältnissen etwas ändert, ehe die Verhältnisse die Theater wegwischen.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

 

Zuletzt entdeckte Dirk Pilz an dieser Stelle Verfallssymptome beim Deutschen Bühnenverein.

Mehr zu Claus Peymanns Pressekonferenz? Hier das gesammelte Presseecho.

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