Presseschau vom 20. September 2016 – Die Süddeutsche Zeitung interviewt Bühnenvereinschef Rolf Bolwin

Kunst und Handwerk

Kunst und Handwerk

20. September 2016. "Wenn ich die Entscheidung richtig verstehe, sollen mit der großen Ballettgruppe verschiedene Produktionsstränge realisiert werden, klassische ebenso wie moderne. Das ist eine nachvollziehbare Entscheidung", sagt Bühnenvereinschef Rolf Bolwin im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zur Debatte um die Benennung von Sasha Waltz als künstlerische Leiterin des Berliner Staatsballetts.

Ensemble nicht mitentscheidungsbefugt

Auch auf die Frage zur zweiten Berliner Debatte um die Übergabe der Volksbühne von Castorf an Dercon schweift er ins Allgemeine: "Man wird sehen, ob es weiterhin solche Persönlichkeiten gibt, die ein Haus künstlerisch extrem zu prägen vermögen, oder ob andere in den Fokus rücken, die im Spielplan eine Vielfalt an ästhetischen Handschriften zulassen." Wichtig sei, ob es am jeweiligen Haus funktioniere.

Von der in beiden Debatten laut gewordenen Forderung, dass ein Ensemble an der Intendantenwahl beteiligt wird, hält Bolwin nicht viel: "Zunächst muss entschieden werden, welche künstlerische Handschrift das Theater haben soll, und danach, mit welchen Künstlern sich das verwirklichen lässt. An der Intendantenwahl wären damit auch Künstler beteiligt, die mit dem neuen Intendanten zum Teil gar nicht mehr arbeiten."

Shenja Lacher: ganz normaler Vorgang

Desweiteren konfrontiert SZ-Interviewer Michael Stallknecht Bolwin mit der Generalabrechnung des Schauspielers Shenja Lacher mit dem Stadttheatersystem per FAZ-Interview im August; Bolwin sagt dazu, Lacher habe aus seinen subjektiven Eindrücken eine völlig berechtigte Konsequenz gezogen. "Das geschieht ja in anderen Firmen auch, viele Menschen verlassen ihren Arbeitsplatz, weil sie mit dem Betriebsklima unzufrieden sind." Nur bei der Kunst mache man das zum Politikum.

So wie das Ensemble-Netzwerk oder Art but Fair? – Zum organisierten Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen in Form solcher Künstlerzusammenschlüsse sagt Bolwin: "Wenn den öffentlichen Theatern Gelder gekürzt werden, wie in vielen Fällen in den letzten Jahren, dann geht das automatisch zulasten der Künstler." Der Bühnenverein habe immer davor gewarnt, dass die Künstler irgendwann artikulieren werden, so gehe es nicht mehr weiter. Das zeige sich nun in Organisationen wie Ensemble-Netzwerk. "Sollten sich Verhältnisse entwickelt haben, die tatsächlich nicht mehr tragbar sind, dann ist der Widerspruch hilfreich, weil er auch der Politik zeigt, was die Konsequenz ihrer Kürzungen ist."

"Der Bühnenverein strebt die Beschäftigung in Jahresverträgen an"

Er würde sich nur wünschen, er würde sich "etwas realitätsnäher artikulieren". Der Bühnenverein könne keine Regelungen aushandeln, "die die Häuser, die wir vertreten, nicht bezahlen können". Außerdem sei die Frage nach der Mindestgage für Schauspieler mit einer projektbezogenen Beschäftigung "komplexer, als manche dieser Organisationen es sieht". Und bei den festangestellten Künstlern werde "oft" mehr gezahlt als die tarifliche Mindestgage von 1765 Euro im Monat. "Die Durchschnittsgage von Schauspielern und Tänzern liegt bei 2500 Euro im Monat, bei Opernsängern sogar etwas höher." In einem normalen Handwerksbetrieb verdienten viele auch nicht mehr.

Man habe vielerorts das Ensemble abgebaut und setze dafür mehr auf projektbezogene Beschäftigungen. Die Vermischung des Ensemble- und Repertoiregedankens mit dem "in anderen Ländern üblichen Projektdenken" sei "nicht in unserem Sinne, der Bühnenverein strebt die Beschäftigung in Jahresverträgen an." Wenn stärker projektbezogen gearbeitet werde, müsse letztlich wie in Frankreich der Staat über eine soziale Absicherung der Künstler nachdenken.

(sd)

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