Ihr hört uns ab, doch hören tut ihr nichts

von Valeria Heintges

Zürich, 25. September 2016. Eine runde Bühne, fünf Bürostühle mit Rollen, ein paar altmodische Telefone, eine Bar im Einbauschrank und zwei große Gemälde, eines in Quadrate zerschnitten – mehr braucht Simeon Meier nicht, um die Schweizer Erstaufführung von Wajdi Mouawads "Himmel" am Theater Neumarkt in Szene zu setzen. Doch so einfach und übersichtlich die Bühne, so kompliziert und verschlungen der Inhalt des Stücks, mit dem der aus dem Libanon geflohene kanadische Schriftsteller Mouawad seine Tetralogie "Das Blut der Versprechen" abschließt. Das Werk ist ein Theaterkrimi, ein Stück also, das seine Spannung auch aus der Entschlüsselung diverser Indizien bezieht, die auf der Bühne diskutiert und verhandelt werden.

Geheime am geheimen Ort

Es wäre gemein, würde man alles in einer Theaterkritik aufdröseln. Gefahrlos aber lässt sich sagen, dass sich an einem auch ihnen unbekannten Ort fünf Geheimdienstmitarbeiter versammelt haben, um Anschlagspläne zu vereiteln. Dafür hören sie Verbindungen ab und versuchen, gefährliche Beiträge aus dem Stimmengewirr zu filtern und zu entschlüsseln. Wer plant den Anschlag? Die üblichen Anarchisten, Fundamentalisten, Islamisten? Jemand anders? Wo ist der Anschlag geplant, wann soll er stattfinden? Acht Monate sind sie kaum weitergekommen, streiten sich, welcher Spur sie folgen sollen – und gerade als Valéry Masson die Antwort gefunden zu haben scheint, nimmt der sich das Leben. Als Ersatz reist Clemens Szymanowski an, Massons Studien-Kollege, von diesem empfohlen, von den übrigen misstrauisch beäugt. Mithilfe einer begnadeten Dolmetscherin wird es ihm gelingen, den Computer des Toten zu knacken – und einer großen Gruppe von Terroristen auf die Spur zu kommen.

Himmel2 560 Judith Schlosser uSpartanisch eingerichtet im Theater Neumarkt: Himmel von Wajdi Mouawad. Vorne mit Brille: Miro Maurer als Clemens Szymanowski, hinten von links: Maximilian Kraus als Vincent Chef-Chef, Hanna Eichel als Dolorosa Haché, Simon Brusis als Charlie Eliot.  © Judith Schlosser

Ein Kampf der Kinder

Mit Flugblättern lässt Regisseurin Simone Blattner zu Beginn ihrer Inszenierung am Theater Neumarkt die Zuschauer berieseln. "Ihr hört uns ab, doch hören tut ihr nichts", heisst es auf den Zetteln, die die fünf Akteure erst flüsternd, dann immer lauter vortragen. "Wer befiehlt, dass das Blut vergossen wird? Die Väter. Wer hat es vergossen? Die Söhne." Um diesen Generationenkonflikt, die allzu oft mühsame Suche nach der komplizierten Wahrheit und die zerstörerische Kraft der Kunst herum baut Mouawad sein Werk, lässt die wütenden Kinder gegen die gescheiterten Eltern ankämpfen. Auch die Wissenschaftler tragen ihren Teil dazu bei: Einer ist Vater, mitten im Scheidungskrieg, eine Mutter tötete ihre Kinder, ein anderer Vater schickt seinen Sohn – unwissentlich – in den Tod.

Genaue Charaktere, zurückhaltend in Szene gesetzt

Ein brutales Werk hat Mouawad geschrieben, brutal in seiner sprachlichen Deutlichkeit und der Drastik der Gedanken. Wohltuend daher die Zurückhaltung der Zürcher Inszenierung, die auch schauspielerisch mit einfachen Mitteln – beiseite sprechen, um die Bühne kreiseln – dem Text beizukommen sucht. Sprachlich gelingt das nicht immer, dafür wird zu oft genuschelt oder – nicht minder schwer verständlich – geschrien.

Der Spannung tut das kaum Abbruch, zu gut ist der Text geschrieben, zu kräftig in seinen Aussagen. Und zu genau sind die Charaktere – auch in den Kostümen von Sabin Fleck – angelegt: Der Computernerd Szymanowski mit grosser Brille, Hemd und Jeans, den Miro Maurer als trockenen, aber für die Freundschaft brennenden Tüftler gibt. Martin Butzkes Chef ist unsicher und unauffällig, näher beim Schreien als seiner Autorität gut täte. Maximilian Kraus ist der fiese Hipster in zu kurzen Hosen, der pragmatische Lösungen predigt und den Chef absägt, als der zu zögerlich wird. Hanna Eichel gibt die sensible Liebende, die weder vor gewaltsamen Taten noch vor gewaltigen Worten zurückschreckt. Und schliesslich Simon Brusis als Charlie Eliot, der die Trauer über den Streit mit dem Sohn in Alkohol ertränkt und den Weihnachtsbaum umarmt, weil der Sohn ihm fehlt. Er rennt blind ins Unglück und muss sich doch zum Vorwurf machen, die Kraft und die Wut der Jugend sträflich unterschätzt zu haben. Eine kraftvolle, kluge Inszenierung eines kraftvoll-klugen Stücks.

P.S. Ich habe die am Tag der Premiere anberaumte Volksabstimmung in der Schweiz nicht erwähnt – das Volk stimmt einer Verschärfung und Ausweitung der Abhörtätigkeiten zu – , weil es Mouawad darum nicht geht, auch wenn seine Protagonisten solche abhörenden Geheimdienstmitarbeiter sind.

 

Himmel
von Wajdi Mouawad, aus dem Frankokanadischen von Uli Menke
Schweizer Erstaufführung
Regie: Simone Blattner, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Sabin Fleck, Musik: Christopher Brandt, Dramaturgie: Inga Schonlau.
Mit: Simon Brusis, Martin Butzke, Hanna Eichel, Maximilian Kraus, Miro Maurer.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.theaterneumarkt.ch

 

Kritikenrundschau

Nach Ansicht von Alexandra Kedves vom Tages-Anzeiger (27.9.2016) hätte das Theater Neumarkt auf diese Mouawad-Erstaufführung besser verzichtet. Zwar täten Regie und Ensemble an diesem Abend viel, "um das Maximum herauszuholen“. Doch die Story sei "unterirdisch abstrus und dabei – und das ist das eigentliche Verbrechen – gesellschaftskritisch überorchestriert, symbolisch überfrachtet und langfädig verschwurbelt, sodass die anderthalb Stunden sich anfühlen wie die gespielten fünf, sechs Tage".

 

Kommentare  
Himmel, Zürich: Link
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