Bad Decisions - René Pollesch bastelt im Karamasow-Bühnenbild und mittels reichlich Gras einen mäandernde Film-Sprech-Performance
"Ich kann gar nichts"
von Sascha Ehlert
Berlin, 29. September 2016. Der übliche Smalltalk beim Einlass. Die "wichtigste" Frage: Reagiert René Pollesch auf die irrlichternden Manöver des Tim R.? Schnitt. Pop-Kultur. Die Kamera zoomt auf das Frakturschrift-Logo des unter der Ägide des vom Music Board Berlin (und Tim Renner) ins Leben gerufenen Musikfestivals für die Popavantgarde. Benjamin Pahlke, blonder Pastor mit Berliner Schnauze und roten Augen, faltet den Papp-Flyer und nutzt ihn als Mische-Pappe. Das Grüne und das Braune werden miteinander vermengt, in hauchdünnes Papier gewickelt, angezündet und rumgereicht.
Endlich wird wieder gekifft, endlich wieder Pollesch. Das Film-Premieren-Publikum begeistert sich. Mehr Kommentar zur kulturpolitischen Lage? Fehlanzeige. Der Rest dieses Abends ist purer Pollesch, gebannt auf Leinwand. Die Bühne bleibt leer, Schauspielerinnen und Schauspieler sitzen mit im Publikum und schauen sich selbst zu. Ansonsten gilt wieder mal: Never change a winning team.
Trinken, rauchen, quatschen
Der 95-Minuten-Film "Bad Decisions" ist zumindest eine halbe Fortsetzung von I love you but I've chosen Entramatisierung, das ja mit einem Film-Trailer endete. Gedreht wurde die Leinwandproduktion während die Theaterwelt Ferien machte, im Bühnenbild der Brüder Karamasow. Nun tigert also ein adrettes Männer-Trio (Trystan Pütter, Franz Beil, Samuel Schneider) durch Bert Neumanns Bühnenbild und raucht und raucht. Die Rauchschwaden vernebeln freilich den Plot. Was hängen bleibt? Fantastisch verkiffte Laberflashs.
Schwarz-Weiß gemusterte Hemden unter sportlichen Jackets, die Gesichter der alter Hollywood-Helden. Die eitlen drei, also Pütter, Beil und Schneider, haben wenig mehr als sich selbst im Sinn. Sie versichern sich gegenseitig ihrer (natürlich ausschließlich heterosexuellen) innigen Freundschaft, alles Äußere wird galant wegignoriert. Wir brauchen nur uns, die Gang, die Jungs. Martha von Mechow und Inga Busch müssen zunächst an der Seitenlinie stehen. Erst als die Herren der Schöpfung bemerken, dass sie selbst nichts mehr als patriarchal agierende, weiße Hetero-Männer sind (und darin ziemlich schlecht), werden die Labereien der drei aufgebrochen.
Kunst der Beleidigung
Selbstverliebt sind sie sehr – trotzdem schaut man die Kerle gern an, auch weil der Regisseur einen dazu zwingt: Dann und wann zoomt die Kamera nämlich brutal nah an die Gesichter, zeigt den unschuldig drein blickenden Schönling Samuel, den sich selbst perfekt ins Rebel Without a Cause-Licht setzenden Trystan und den stotternden Pointen-Travolta Franz und provoziert Lacher im Publikum. Drei schlaue, liebenswerte Trottel im Closeup.
Inhaltlich knüpft René Pollesch an diesem Abend direkt an seine letzte Inszenierung an der Volksbühne an. Erneut kommt das Ensemble darauf zu sprechen, dass man in Burkina Faso ja das kunstvolle Beleidigen als heilsamen Volkssport begreift. Gut für's Seelenheil, aber nicht so sehr für die kuschelige Dreisamkeit der drei echten Kerle, so entpuppt sich diese Praxis im weiteren Verlauf des Fims. Auch deshalb, weil Martha von Mechow trockener und besser beleidigen kann als die drei Männer: "Ihr Pussys! (…) Du Ficker!" Irgendwann zerstreiten sich die schmucken Herren, und Franz Beil zieht allein von dannen und findet: die Kirche.
Ökonomisierte melancholische Leben
Beil ist ohnehin der Spieler des Abends, weil er die meisten wahren Sätze sagt. Zum Beispiel: "Ich hab versucht besonders ökonomisch zu sein und das ging total nach hinten los." Man kennt das. Man spart sich den Gang zum Mülleimer auf, um Zeit "zu sparen", und am Ende modert das Gemüse in der Küche. Oder: Man hat zwar fünf Staubsaugerbeutel zuhause, steht aber trotzdem im Hof vor der Mülltonne und leert den bereits benutzten aus, um "zu sparen".
Selbst ein belesener, linker Künstlertyp kann sich der Allgegenwart der Ökonomie eben nicht entziehen. Trauer. Wie an den meisten der jüngeren besten Pollesch-Abende scheint die Melancholie darüber der Hauptmotor von "Bad Decisions". Allein die Verpackung glitzert ulkiger als bei Abenden à la Keiner findet sich schön. Was wiederum gut zu der Menge an Gras passt, die während der knapp 95 Minuten auf der Leinwand geraucht wird.
Pop-kulturelles Jetzt
Diese Liebe für Grünzeug wiederum ergänzt perfekt das pop-kulturelle Jetzt, in dem viele aktuelle Helden der Jugend die Selbstverschwendung per Drogenkonsum propagieren und zelebrieren. Es ist also alles wie immer zuletzt: Wer Pollesch immer noch liebt, verlässt beseelt und in der Gewissheit einen gegenwärtigen und (am wichtigsten!) schönen Abend gesehen zu haben das Große Haus (zumeist) Richtung Kantine, und wer sich satt gesehen satt, der bleibt satt. Im Klartext: René Pollesch bleibt das Maß der (Berliner) Dinge.
Bad Decisions
ein Film von René Pollesch
Buch & Regie: René Pollesch, Kamera: Ute Schall, Mathias Klütz, Set-Design: Bert Neumann, Kostüme: Nina von Mechow, Schnitt: Ute Schall, Licht: Hannes Francke, Frank, Novak, Georg Heinrich, Ton: Hans-Georg Teubert, Georg Wedel, William Minke, Gabriel Anschütz, Mischung: Jochen Jezussek, Kameraassistenz: Cemile Sahin.
Mit: Trystan Pütter , Samuel Schneider, Franz Beil, Inga Busch, Martha von Mechow, Benjamin Pahlke, Kathrin Angerer, Volker Spengler.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten
www.volksbuehne-berlin.de
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