Der Fall des weißen Mannes

von Steffen Becker

Heidelberg, 30. September 2016. Pegida-Frontmann Lutz Bachmann hat eine Fehlentscheidung getroffen. Er ist auf die Kanaren ausgewandert. Japan wäre die bessere Wahl für alle um die Volksidentität besorgten Bürger. Abgeschottet, kaum Einwanderung, ethnisch homogen. Nachteil: Das Land ist demografisch erledigt. Das Heer der Alten wird inzwischen von Pflegerobotern versorgt.

Mit Atemschlauch und Degen

Die Utopie von "Peak White - Wirr sinkt das Volk", die Autor und Regisseur Kevin Rittberger auf die Bühne des Theater Heidelberg bringt, ist gar nicht so weit weg davon. Der Höhepunkt (Peak) des weißen Mannes ist lange überschritten, die Erinnerung an die letzte nationale Aufwallung Mitte der 2010er Jahre verblasst. Die Bachmänner sind alt und dement. Ihre Pflegerin Amsell wird entlassen und ersetzt durch den Roboter Atlanta. Klingt erst mal besser, als sich den Hintern von Kulturfremden abwischen zu lassen. Die Betreuung durch ein Wesen ohne Hautfarbe, Identität und Geschlecht wirkt allerdings in mehrfacher Hinsicht wenig erbaulich auf die alten Burschenschaftler. Die ziehen sowohl Atemschläuche als auch Degen hinter sich her. Von einem Roboter, der beim Fechten nicht blutet, sind sie allerdings überfordert.

PeakWhite042 560 Annemone Taake u "Peak White", nicht zu übersehen: die Zeit der weißen HauDraufUndSchluss-Männer ist vorüber, Dominik Lindhorst-Apfelthaler und Martin Wißner  © Annemone Taake

Etwas mit Würde machen

Dieses Gefühl fällt auch das Publikum der Inszenierung an. Worum geht es eigentlich bei "Peak White"? Zur Wahl stehen: Philosophieren über künstliche Intelligenz und Entmenschlichung unserer Gesellschaft, Kommentare zu neu-rechten Bewegungen  und auch eine Theaterdebatte hat es in den Text geschafft. Bei der Übergabe von echter Pflegerin zu Roboter berichtet erstere, dass sie ursprünglich Schauspielerin war. Sie hatte aber die Nase voll vom blutleeren partizipativen Theater und wollte etwas mit Würde machen. Der Bezug wird erst zum Schluss deutlich, als Roboter Atlanta Kafkas "Verwandlung" nachspielen will (Achtung: Identität!)  und am authentischen Spiel ebenso scheitert wie zuvor am Aufbau einer emotionalen Verbindung zu seinen Schützlingen.

Sorgen ums Weiße

Andere Fäden lassen sich noch schwerer zusammenbringen. Es gibt auch ein Zwischenspiel mit Zitaten des Pöbel-Autors Akif Pirincci und ein flammendes Plädoyer gegen V-Leute des Verfassungsschutzes. Anderes wiederum ist überdeutlich: Zu deutschem Liedgut fließt ekliges Sekret die Stoffbahnen hinab. Die Protagonisten sorgen sich um die "weiße" Identität  und wälzen sich in weißer Farbe. Der Grundansatz des Stücks ist laut Programmheft, unsere Gegenwart aus der Zukunft zu betrachten  das Bühnenbild wird dominiert von einem großen Spiegel. Der wilde Strudel aus einerseits plakativen und andererseits unzusammenhängenden Elementen wirkt auf Dauer mehr anstrengend als anregend.

Auch die Rollen sind ins Groteske übersteigert. Überzeugend wirkt das noch bei Roboter Atlanta, den Andreas Uhse als Reminszenz an den Star Trek-Bot "Data" gibt  mit hoher Körperbeherrschung, die eine eckig-ungelenke Gestik auf Dauer erfordert und einer hinreißenden passiv-aggressiven Naivität im Spiel. Auch Martin Wißner überzeugt als sardonisch-bösartiger Rentner, der die Pflege-Gesellschaft durch Witze über Flüchtlings-Todesfälle erheitert  und sich dabei zu Tode lacht. Ansonsten dominiert Over-Acting. Das mag einer Groteske angemessen sein. Aber man verlässt "Peak White" trotzdem mit dem Impuls, sich jetzt erst mal ein Bier in der Burschenschaftskneipe zu gönnen.

 

Peak White - Wirr sinkt das Volk
von Kevin Rittberger
Uraufführung (parallel mit Göttingen)
Regie: Kevin Rittberger, Bühne: Marc Bausback, Kostüme: Sandra Fink, Musik: Lukas Lonski, Dramaturgie: Jürgen Popig. Mit: Sheila Eckhardt, Benedict Fellmer, Dominik Lindhorst-Apfelthaler, Andreas Uhse, Maria Magdalena Wardzinska, Martin Wißner, Lukas Lonski.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theaterheidelberg.de

 

Hier geht's zur zeitgleich von Katharina Ramser in Göttingen herausgebrachten Uraufführung des Rittberger-Textes Peak White oder Wirr sinkt das Volk.

Kritikenrundschau

Volker Oesterreich schreibt in der Rhein-Neckar-Zeitung aus Heidelberg (4.10.2016):
Rittberger lege eine "teilweise nette, teils aber auch ins surrealistische Kraut schießende Groteske" vor. Er stopfe viel in den Plot hinein, möglicherweise zuviel. Die ölige Schleimlache auf der Bühne wecke beim Kritiker Assoziationen "ans Schmierentheater". Die im Programmheft bekundete Hoffnung, dass die Tage "rechtslastiger Gesinnung" gezählt sein könnten, scheine ihm genauso konstruiert wie die "unterschiedlichen Sprachebenen", mal "fast verbloses Schlagwort-Stakkato", dann "Monolog-Girlanden". Das Ensemble stelle sich der "Kunstanstrengung" ganz "unangestrengt", aber "die Leute" hätten sich nach freundlichem Applaus "kopfschüttelnd in die Heidelberger Nacht" verdrückt.

Im Mannheimer Morgen schreibt Eckhard Britsch (4.10.2016): Rittberger "scheint" bei der Uraufführung seines Stücks "zu viel hineinzupacken, um seine ambitionierte Tour d'horizon aufzupeppen". Das überfordere nicht nur das Premierenpublikum, sondern "offenbar auch den Autor". Das Stück fokussiere den Blick aus der Zukunft zurück ins Jetzt nicht wirklich. Trotzdem sei das Spiel der Akteure "beeindruckend".

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