Presseschau vom 6. Oktober 2016 – Die Medien berichten vom Volksbühnenbewegungs-Gründungsversuch in Berlin

Studentenvollversammlung

Studentenvollversammlung

6. Oktober 2016. Als "Gründungsveranstaltung der Volksbühnenbewegung" war angekündigt, was vorgestern nach "Die letzten Tage der Sozialdemokratie" mit Jürgen Kuttner und Guillaume Paoli im Roten Salon der Berliner Volksbühne stattfinden sollte. Paoli hatte zuvor ein Manifest veröffentlicht, einen Aufruf zur Gründung einer neuen Volksbühnenbewegung. Entsprechend kamen die Medienvertreter gelaufen. In den Berichten zeichnet sich jedoch bald ab: Eine neue Bewegung findet – hier zumindest – nicht statt.

Die Kolleg*innen fassen sich kurz: "Wow, was für eine Pleite: Man kommt, um die Revolution zu erleben. Und dann reden alle nur über die Sozialdemokratie!", schreibt Patrick Wildermann im Tagesspiegel. Nachdem er die SPD-Diskussion zusammenfasst, sammelt er sich: "Was war noch mal das Thema? Ach ja, die neue Volksbühnenbewegung. Die gibt es noch nicht. Vielleicht bleibt sie auch eine Idee. Viele Skeptiker, Witzbolde und Klugschwätzer melden sich in so einer Art Diskussion noch zu Wort, bis alle Bier trinken gehen. Ziemlich sozialdemokratisch, dieser Abend."

"Ratlosigkeit herrschte auf dem Podium und im Zuschauerraum des Roten Salons über die Frage, wozu man sich nun eigentlich versammelt hatte", fasst Ulrich Seidler den Abend in der Berliner Zeitung zusammen. Nach der Lehrstunde über die Verfehlungen der Sozialdemokratie wurden lediglich "die bekannten Abwehrargumente heruntergebetet".  In Sachen "wahrer Volksbühne" solle man im übrigen nicht auf Taten hoffen und es vor allem "nicht so wörtlich nehmen, so Jürgen Kuttner, niemand glaube, dass sich die Massen hinter der Fahne von Paoli versammeln würden. Aber ein bisschen Quatsch und Remmidemmi machen, dazu könne er nur raten."

"Böse bleiben. Banden bilden", ein bisschen Quatsch machen – davon berichtet auch Mark Siemons in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch davon, dass das Publikum von dieser Haltung "etwas enttäuscht" gewesen sei. "Ihr wollt nur Quatsch machen und nicht politisch aktiv werden?", fragte Siemons zufolge ein Diskussionsteilnehmer nach. "Ja wollt ihr denn einen Verein gründen, willst du Schriftführer werden?", blaffte Kuttner demnach zurück. "Selbst der Rädelsführer Paoli meinte, für eine Gründung sei es vielleicht noch zu früh; inmitten der rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen in Berlin sei noch gar nicht hundertprozentig klar, ob der von Renner installierte neue Intendant Chris Dercon wirklich komme. Eine Frau, die Unterschriften gegen den geplanten Intendantenwechsel sammelt, bekannte, sie sei nun etwas irritiert. Da war es auch schon Zeit, die Versammlung in die Kantine zu verlegen." Sogar wenn es um ihr eigenes Schicksal geht, bestehe die Volksbühne offenkundig darauf, ihren Trotz immer auch gegen sich selbst zu wenden, so Siemons; anders sei dieses Theater auch im Protest nicht zu haben.

"Die meisten im Publikum trinken Wein“, beobachtet Detlef Kuhlbrodt in der tageszeitung. "Meine Nebenleute trinken Teebeuteltee und unterhalten sich über Trapezturnen. Eine Frau stellt eine Tafel auf die Bühne, auf der steht 'Volksbühnenstruktur erhalten'. Kuttner und Paoli sitzen an einem Tisch. Beide tragen schwarze Hemden. Die Äpfel der Laptops sind nicht abgeklebt. Ein bisschen fühlt man sich wie auf einer Studentenvollversammlung." Wer so viele nebensächlichen Details aufzählt, teilt indirekt mit, dass nichts Wesentliches passiert ist. Und tatsächlich: eine neue Volksbühnenbewegung? "So wörtlich hatte man das wohl doch nicht gemeint."

(geka)

Kommentare  
Versuch Volksbühnen-Bewegung: Lieblingszitat
Besonders gefällt mir der Absatz von Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung: "An dieser Stelle, eine Stunde war immerhin schon fast um, hatte das Podium mal kurz den Faden verloren. Dabei lag doch die Überleitung von den besorgten Bürgern zum Thema Volksbühne auf der Hand: Nur ein bisschen selbstironisches Reflexionsvermögen wäre nötig gewesen, um bei der durchaus nachvollziehbaren Furcht vor dem Neuen zu landen, das der belgische Museumsmann Chris Dercon wohl bringen wird, wenn er ab nächster Saison die Volksbühne leitet, und bei der etwas peinlichen Beharrungsrolle, in der man sich als Freund der Castorf-Volksbühne wiederfindet."
Kommentar schreiben