Die Philosophie der Küche

von Henryk Goldberg

Jena, 13. Oktober 2016. Es ist düster, sehr, sehr düster. Bäume, dunkle Streifen im Raum, Lichtre-flexe, die, das Dunkel so recht ins Licht zu setzen, den Raum durchflirren. Kann gut sein, dies ist der Ort eines sehr, sehr unfröhlichen Sommernachtstraumes, in dem niemand nichts weiß oder kann oder darf. Es ist aber, so stellt die Frau fest, die das Dunkel nun mit einer Lampe erkundet, nur die Küche. Kann sein, dass sie deshalb den Mann, der ihr seine Liebe erklärt, Hundescheiße schenkt, mit Schleife und Geschenkpapier. Kann aber auch sein, dass Martin Crimp den Tag davor in einen Haufen getreten war.

Nichts geht mehr

Ein Name ist ein Name ist ein Name. Und wenn Martin Crimp sich diesen, mit allem Recht der Welt, nicht mit anderen Arbeiten erworben hätte, dann würde, glaube ich ganz fest, kaum jemand das spielen. Es sei denn, er kann so, wie sie das in Jena nun können, auf die deutschsprachige Erstaufführung verweisen. "Im Haus" also, da passiert – nichts. Das besagt für sich noch nichts über die Spannung auf der, die Eignung für die Bühne, aber das Nichts bleibt ein Nichts, eine angestrengte Bedeutungshuberei. Er und sie und nichts. Hinten, da ist die Welt auf der vorzüglichen Bühne von Benjamin Schönecker mit Brettern verhangen, vorne kommt sie nicht vor. Szenen einer Ehe, endlos flach, endlos – endlos, eine Endlosschleife aus Banalitäten. Jane aus dem Haus würde auch gern so tanzen wie sie, ihr Vater ist ein Arsch und er liebt sie nicht, obwohl er sie liebt und kann noch nicht einmal den Akku vom Handy händeln. Nichts geht mehr und mehr an Nichts geht auch nicht. Dreizehn unverbundene Szenen, verbunden nur durch ihre Banalität.

IMHAUS 03 560 c Joachim Dette uIm Haus: Clara Pfeiffer, Jan Hallmann © Joachim Dette

Und zwei Schauspieler. Klara Pfeiffer und Jan Hallmann haben es hier nicht leicht, ihren Beruf auszuüben, und es sieht nicht so aus, als sei ihnen Moritz Schönecker dabei eine sonderliche Hilfe gewesen. Die beiden spielen das in einem Konversationston, der so tut, als sei das ein Text, in dem tatsächlich etwas gesagt würde, es wird aber nur gesprochen. Da ist kein Untertext, da bedeuten die Worte nur, was sie bedeuten, also nichts, da sind keine Vorgänge, um die sich Text und Darsteller formieren könnten, da ist nur so ein "allgemeines" Gefühl. Klara Pfeiffer führt die Szene, das ist das Stück, sie ist die dynamische, die immer wieder testet, was Jan Hallmann alles aushält. Die beiden müssen in jeder dieser Szenen gleichsam neu anlaufen, immer wieder eine Höhe suchen, die sie nie erreichen. Ihr Regisseur verordnet ihnen viel leere Bewegung, sie rumpeln den Kühlschrank durch den Raum, sie tanzen, immer wieder Umzüge, immer wieder leere Worte. "Warum" sagt er, "können wir nicht einmal etwas sagen, das wichtig ist?" Mag sein, das ist auch eine kokette Anmerkung des Autors, es ist aber auch: eine gute Frage.

Wie Gott unterm Küchentisch

Manchmal fällt in der Küche ein Baum um, einfach so. Und dann fallen sie alle um und dann ist alles anders. Oder doch vieles.

Auf den dunklen Bäumen, an den Wänden ein Verfließen aus Licht, ein Vergehen von Zeit, wie fließende Jahresringe, wie Fließbänder, die ins Unendliche ziehen. Eine erstklassige Video-Performance von Stefan Kraus, ein Live-Sound dazu von Tim Helbig, das fügt sich zu einem apokalyptischen Gemenge von Licht und Ton. Und miteins verwandelt sich diese Banalitäten-Bude zu einem hochkonzentrierten Kunst-Raum. Wir sind "Im Tal".

Und Sophie Hutter ist dort.

Eine Frau, im braunen Mantel zunächst, eine androgyne Erscheinung. Und erzählt, berichtet, erinnert sich, wie sie hierher kam. Erinnert sich, wie Gott unterm Küchentisch saß mit seinen weiß behaarten Eiern, wie sie ihm einen Stock in seinen Altmännerarsch steckten, wie er eine Tüte über den Kopf hatte. Gott ist nicht tot, er wurde nur gefoltert. Und das Schaf, mit dem das Ich das Tal teilt, verfügt über einen ausgezeichneten Literatur- und Musikgeschmack, nur dass es eine Fuchs-Phobie hat und schließlich gegessen wird, Stück um Stück, eine Menschen-Phobie wäre der Gesundheit zuträglicher gewesen, auch wenn Ich sich redlich müht, dem Tier nicht weh zu tun. Indessen, der Mann mit dem silbernen Cowboy-Hut hat sich in den Gedanken von Ich eingenistet und das ist ein Problem.
Und was ist das Problem?

Apokalyptisches Raunen

Das weiß man nicht so genau, man weiß es noch nicht einmal ungefähr, denn all diese Sätze können dieses & jenes bedeuten, alles & nichts, Gott & die Welt. Das ist ein apokalyptisches Raunen, hinter dem ein philosophischer Kopf stecken kann oder ein gymnasialer Leistungskurs, ein Gedanke oder ein Gekicher – aber es ist doch wenigstens ein Raunen, ein Grummeln, ein Murmeln von dem sich glauben lässt, es handele sich um einen Vorgang von einiger Bedeutung. Ein Text, dessen Banalität sich mit etwas gutem Willen überhören lässt.

IMTAL 04 560 c Joachim Dette uIm Tal: Sophie Hutter © Joachim Dette

Und so hat Sophie Hutter mit ihrem monologischen Text vom Ende der Zeiten das bessere Ende des Abends. Die Schauspielerin erzählt wie zögerlich, wie suchend, wie sich suchend – und einen Partner, dem sie sich erklären kann, das wenigstens ist ein spielbarer Vorgang und eine Figur: der Versuch, sich verständlich zu machen, sich zu erklären. Sophie Hutter sucht die Erklärung durch eine gleichsame Disziplinierung der Hände, die gestisch um Verständnis werben, als zirkele sie ihre eigenen Geschichte. Es ist, als exemplifiziere sie Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, mitunter treibt sie die Figur ins Clowneske, dann wieder präsentiert sie Banalitäten mit Todesernst. Sophie Hutter vermag ihre halbe Stunde die Spannung zu halten, die Konzentration, sich und die Figur zu behaupten. Auch dieser Text ist angestrengt und verblasen, doch hier entsteht immerhin das Gefühl, einer künstlerischen Darbietung beizuwohnen, bei der sich womöglich auch noch was denken lässt. Was nicht sein muss, aber das ist immerhin, durch den Text, die Schauspielerin und das Licht-und Ton-Design so intensiv atmosphärisch, so assoziativ aufgeladen, dass das gleichsam heitere Empfinden einer Bedrohung entsteht.

Die Apokalypse, die Szenen einer Ehe. Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino, sozusagen.

 

Im Haus / Im Tal
von Martin Crimp
Inszenierung: Moritz Schönecker, Bühne und Kostüme: Benjamin Schönecker/Veronika Bleffert, Musik: Tim Helbig, Video: Stefan Kraus.
Mit: Sophie Hutter, Klara Pfeiffer, Jan Hallmann.
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

www.theaterhaus-jena.de

 

Kritikenrundschau

Ulrike Merkel schreibt auf TLZ.de (15.10.2016), dem Portal der Thüringischen Landeszeitung: Crimps Ministücke seien "rätselhaft und verklausuliert". Sie setzten auf "vage Stimmungen, ungewöhnliche Metaphern, surreale Gedankenspiele und vereinzelte nachdenkenswerte Sätze". Um "gegenseitige Vorwürfe, Eifersucht, fehlende intellektuelle Tiefe oder schlicht den Kinderwunsch" drehten sich die Auseinandersetzungen in "Im Haus". Sie verpufften jedoch oft ohne Wirkung. Viele dieser "irrealen Szenen" wirkten beliebig. In "Im Tal" spiele die "großartige, wandlungsreiche" Sophie Hutter. Die "Vorliebe für kryptisches, handlungs- und spannungsarmes Schauspiel" entscheide, "ob man diese zwei Inszenierungen mag". Wen diese Art Theater nicht interessiere, "den werden auch nicht die zum Teil überragend agierenden Schauspieler umstimmen. Und auch nicht die wirklich sehenswerte Videokunst".

 

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