Diskursives Insel-Hopping

von Wolfgang Behrens und Christian Rakow

19. Oktober 2016. Zum zweiten Mal brach Kulturstaatsministerin Monika Grütters vergangene Woche zu einer "Theaterreise" auf – diesmal fuhr der Bus mit Grütters und Journalist*innen durch die "Neuen Bundesländer" und machte halt in Chemnitz, Halle, Jena und Senftenberg.

Wolfgang Behrens war mit von der Partie und erzählt Christian Rakow im Podcast von Reiseeindrücken – der Ministerin, und seinen eigenen. Zum Beispiel geht es darum, wie wichtig es für das "Identifikationspotential" des Theaters ist, dass seine Schauspieler*innen in der gleichen Stadt wohnen. Alles andere als irrelevant in Zeiten der Fusionslust... Und Wolfgang Behrens sagt außerdem, wo er die besten Schauspieler gesehen hat. Hier der Podcast und sein Transkript:

Gr TheaterrPC 560 jnmMonika Grütters in Senftenberg © jnm

 

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Transkript des Podcasts:

Alle Jahre wieder gibt es eine kleine Theaterreise der Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Vor eineinhalb Jahren ging’s durch Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Jetzt durch den Osten Deutschlands. Wie muss ich mir diese Reisen vorstellen?

Man steigt gemeinsam in einen in einen durchaus komfortablen Reisebus, sogar mit W-LAN, was für uns Journalisten fast das Wichtigste ist. In dem Bus sitzen Frau Grütters mit ihrem Team und ein paar Pressevertreter. An den Zielpunkten trifft man Theaterleute aus den Regionen und diskutiert mit ihnen, abends schaut man gemeinsam Vorstellungen an. Einen politischen Ertrag gibt es auch: Bei der letzten Reise – bei der ich noch nicht dabei war – wurde zum Beispiel die Idee des Theaterpreises des Bundes geschmiedet, der mittlerweile auch schon einmal an insgesamt zwölf Theater vergeben worden ist.

Die Reise ging nach Chemnitz, Halle, Jena und Senftenberg …

Ja, in vier der fünf neuen Bundesländer. Monika Grütters wollte sich da vor Ort ein Bild von der Theaterlandschaft machen und überprüfen, inwieweit sie an den Fördermitteln, die dem Bund für die Theater zur Verfügung stehen, nachjustieren kann. Der Bund darf Kultur ja nur begrenzt fördern, da Kultur nach der Verfassung Ländersache ist. [Der Bund darf daher nie institutionell fördern, sondern nur projektweise – und er setzt auch da eine sogenannte Komplementärfinanzierung voraus, also eine Gegenfinanzierung der Länder und Kommunen.] Was bedeutet, dass die Länder und Kommunen zusätzlich in die Pflicht genommen werden, wenn der Bund Geld gibt. Da können Kommunalpolitiker schon mal ins Schwitzen kommen, wenn sie noch Geld drauf packen sollen. Vom Bund gefördert zu werden, wird aber vor Ort als ein enormes Symbol wahrgenommen – das haben wir mehrfach gehört.

Du hast bereits den Theaterpreis des Bundes erwähnt. Der wurde bisher einmal aufgelegt. Wird es da weitergehen?

Ja, der Theaterpreis ist eine dieser besagten Fördermaßnahmen, eine ziemlich wichtige, weil sie mit großer Wahrnehmung verbunden ist. Frau Grütters hat die jetzige Theaterreise mit dem festen Vorsatz angetreten, den Preis zu verstetigen: Er soll nun alle zwei Jahre vergeben werden. Bei der zweiten Auflage des Preises sollen Theater bedacht werden, die in ihren Regionen eine starke gesellschaftliche und politische Funktion behaupten.

Die Neueinstellung des Preises ist also ein konkretes Ergebnis der Reise?

Ja. Die Ministerin war sehr beeindruckt von den Erzählungen von manchen Theaterleitern, deren Theater in ihren Städten oft tatsächlich so etwas wie diskursive Inseln der Aufklärung bilden. Das sind Städte, in denen es schon einmal passieren kann, dass man die Fahne der Aufklärung hochhält oder aufhängt und diese dann über Nacht buchstäblich abgerissen wird. Steffen Mensching aus Rudolstadt oder auch Bernhard Stengele vom Theater in Gera und Altenburg haben da Einschlägiges erzählt. Stengele zum Beispiel glaubt, dass in seinem Bürgerchor, den er aufgebaut hat, 30 von 50 Leuten tendenziell AfD-nah sein könnten. Da aber das Theater mit dem Chor ein gutes Angebot hat, das auch so etwas wie Gemeinschaft bietet, gehen sie erstmal hin und lassen so zumindest mit sich reden. Das ist eine der Geschichten, die Frau Grütters gut gefallen haben.

Man hört das eigentlich regelmäßig von Theaterleuten, dass die Häuser eine hohe Akzeptanz in der Stadt genießen. Das gehört quasi zum Selbstmarketing. Ließen sich diese Behauptungen für Euch überprüfen?

Das ist schwer zu überprüfen. Die Auslastung klingt immer ganz ordentlich, aber auch nicht überragend. Wenn man den Erzählungen der Theaterleiter glauben darf, dann spielt eine wichtige Rolle, dass die Leute sich mit ihrem Ensemble identifizieren können. Dass die Schauspieler vor Ort wohnen, zum Bäcker gehen und für das einstehen, was sie auf der Bühne tun. Die Idee der Verbundtheater, die sich gegenseitig bespielen, funktioniert deswegen offenbar nicht. In der Stadt Brandenburg zum Beispiel wurde das Schauspielensemble komplett abgewickelt, und man hoffte, die Hütte mit Gastspielen aus Potsdam voll zu kriegen. Die Brandenburger wollten die Potsdamer Schauspieler aber gar nicht sehen. Jetzt hat mit Katja Lebelt eine neue Theaterleiterin angefangen, die langsam wieder lokale Identität aufbauen möchte. Mal sehen, was daraus wird.

Etwas anderes war auch sehr interessant: In Jena hat einer der Leiter des von einem Kollektiv geführten Theaterhauses, Marcel Klett, erzählt, dass sie ihren ästhetisch avancierten Kurs nur deshalb auch mit Rückhalt in der Stadt halten können, weil ein eher auf Repräsentation ausgerichtetes, traditionelles Publikum in die Nachbarstädte nach Weimar oder Rudolstadt ausweichen kann. Das heißt, eine gewisse Dichte der Theater ist auch in der Provinz, wenn ich das Wort mal verwenden darf, wichtig, um eine ästhetische Bandbreite zu ermöglichen. Ein Leuchtturm-Theater pro Land reicht da nicht. Das war für mich eines der wichtigsten Ergebnisse der Reise: dass sich das Bild einer Theaterlandschaft plötzlich ganz anders – sozusagen reicher – zusammenfügt.

Ihr habt auf der Reise ja auch Theateraufführungen gesehen: Wie war da der künstlerische Eindruck?

Mit Hauptstadtmaßstäben gemessen war das jetzt nicht immer die Offenbarung (was allerdings in Berlin auch nicht immer der Fall ist). In Senftenberg allerdings – in einem wirklich kleinen Theater in einer kleinen Stadt also – haben sie ein exzellentes Schauspielensemble. Und sie spielen dort Stoffe, für die sich die Leute wirklich interessieren.

Was sind das für Stoffe?

"Bornholmer Straße" zum Beispiel, nach dem Film von Christian Schwochow, oder "Birkenbiegen" von Oliver Bukowski, Stücke in denen es stark um das Thema Ost und West geht. Das fand ich schon bemerkenswert. Wie auch das Abschluss-Vorsprechen der Leipziger Schauspiel-Studenten in Halle. Das war schon toll, übrigens auch, weil enorm viele junge Leute gekommen waren, um das zu sehen. Wenn ich ein Intendant wäre, hätte ich zwei von den Studenten vom Fleck weg engagiert. Nachwuchssorgen muss man sich insofern wohl nicht machen.

 

 

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