Im Glanz des Feuilletons

von Janis El-Bira

20. Oktober 2016. Diese Kaiserzeit ist endgültig vorbei. Nachdem der letzte deutsche, also der Fußballkaiser, sich selbst demontiert hat, nehmen nun auch die Kurfürsten des Feuilletons nach und nach ihren Hut. Unter ihnen hegte der im Vorjahr pensionierte Gerhard Stadelmaier nicht nur kraft seines Amtes als Theater-Großkritiker der FAZ naturgemäß allerhöchste Thronansprüche. Vielmehr haftete schon seinem ganzen Kunstverständnis seit jeher eine absolut kaiserliche "Geht's raus und spielt's Theater"-Klarheit an.

Cover Umbruch StadelmaierDenn Stadelmaier zu lesen verlangte die Bereitschaft, die letztinstanzliche Wahrheit über Wohl und Wehe einer Inszenierung als bittere Hostie in kniefälliger Mundkommunion in Empfang nehmen zu wollen. Seine Richtersprüche waren mit Gift unterzeichnet und keiner konnte dieses Gift mit so verführerischer Grantelwürze anrühren wie er.

Mit "Umbruch" legt Stadelmaier nun seinen ersten Roman vor. Das Buch folgt auf den Essayband Regisseurstheater vom Beginn diesen Jahres und wärmt mit anderen Mitteln dasselbe Lieblingsgericht der Stadelmaier'schen Gourmetküche neu auf: Die Verfallsgeschichte. Gegenstand des Niedergangs ist diesmal nicht zuvorderst das Theater, sondern die Zeitung, jenes "Zaubermedium", in dessen güldener Ära, so Stadelmaier, die Artikel "nie mit den Zeilen, immer zwischen den Zeilen zu lesen waren." Protagonist, sofern man davon sprechen will, ist ein "junger Mann", dessen Name zwar nichts zur Sache tut, der wohl aber nicht zufällig just dort seiner Arbeit als Kritiker nachgeht, wo Stadelmaier selbst gerne saß: Parkett, Reihe 6, Mitte.

Aufstieg in bessere Gesellschaft

"Umbruch" erzählt vom Emporklettern dieses jungen Mannes aus kleinbürgerlich-katholischem Milieu auf der Himmelsleiter der Feuilletonredaktionen. Von der Lokal-, zur Landes- und bis hin zur Staatszeitung, wie Stadelmaier nur zum Schein anonymisiert. Doch was als Bildungsroman anhebt und somit doch mindestens Figurenentwicklung in Aussicht stellt, glänzt zu weiten Teilen vor allem als Anekdotenschau aus der "gewaltigen Lesezeit", die noch "nach Druckerschwärze roch, ölig erregend die Nerven kitzelnd".

Stadelmaier erzählt, wie sein junger Mann sich erste Meriten in der Lokalpresse verdient, indem er den ortsansässigen Kirchenchor für seinen "undurchsichtigen, fetten Klang" bei Brahms-Motetten tadelt. Davon, wie er erstmals auf die "paradiesische Feuilletongesellschaft" stößt, jene "Turmbewohner" der Landeszeitung, in deren Mitte der Literaturchef zigarrenrauchend die Manuskripte auf den Schenkeln seines "weichmassigen Körpers" ablegt. Er schwärmt von den Stuttgarter Gesellschaften Effi Biedrzynskis (der "Goethe-Biene") und von ihrem Mann, dem Theaterkritiker Richard Biedrzynski, der unter erheblichem Rotweineinfluss seine Artikel laut zum offenen Fenster hinausgerufen habe. Und natürlich begegnet der Jungkritiker den größten und "seelenkennerischsten" Vertretern des Theaters: Stein, Bondy, Strauß.

Zwischen den Zeilen

Man muss das alles tatsächlich "zwischen den Zeilen lesen" und entlang von Beschreibungen enträtseln, denn Stadelmaier nennt mit merklicher Lust keinerlei Namen – auch und besonders gerne nicht den des knallfroschwerfenden Stuttgarter Schauspieldirektors mit dem Zahnersatz-Skandal. Zwischendurch werden auch die Umbrüche des Titels noch zu ebensolchen: Die RAF rauscht blutig durchs Bild und zwei alte Redaktionshasen berichten, wie sie den Sputnik-Schock weiland bierselig verpennten.

Von alledem unbeleckt bleiben indes die Mohikaner des Feuilletons: "Hier gilt's der Kunst", heißt es, und die sei schließlich ewig. Das Schwinden der eigenen Bedeutung und die Verfrachtung der Redaktion in eine ehemalige Metallwarenfabrik erträgt man hier klassisch defätistisch. "Paradiese dauern nicht", schreibt Stadelmaier, und, ganz ironiefrei: "Es kommt nichts Besseres nach."

Unverdaulich beschaulich

Irgendwann müssen den Kritiker Stadelmaier diese Menschen, Institutionen und Ereignisse tatsächlich berührt, zu Liebe und Hass angestachelt haben. Seine Texte geben davon rege Auskunft. Doch als Schriftsteller will er ihnen nicht einmal mehr Namen geben, sondern faltet noch das Unverdaulichste zu beschaulich-anonymen Anekdoten wie die Enden eines seidenen Einstecktuchs. Das hat natürlich Methode, Stadelmaier sucht den Weg von der Autobiographie zur Autofiktion und eigenständigen Literatur. Im Ergebnis entstehen dabei aber keine belebten Figuren, sondern Vignetten, vom Autor trophäenhaft ans eigene Revers geheftet auf einer Wanderung, die ausgenommen gelegentlicher Plateaus immer nur bergab zu führen scheint.

Vielleicht sollte man diesem gar nicht unlustigen, natürlich brillant stilisierten Stück aus der Sparte Vermischtes nicht mehr überziehen, als es beansprucht. Aber noch durch derlei verspätete Strandlektüre weht bei Stadelmaier der kühle Wind eines feuilletonistischen Detachements, das alle Nähe so fürchtet wie die Großmutter des jungen Mannes die Sünde.

Umbruch
von Gerhard Stadelmaier
Paul Zsolnay Verlag, 224 Seiten, € 22,00

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