Wahnsinnswerk Hamlet?

von Sascha Ehlert

24. Oktober 2016. Acht Millionen Menschen schauen zur besten Sendezeit im Fernsehen ein Theaterstück und in derselben Woche gibt es zur Primetime auch noch eine einstündige Lobrede auf Shakespeares "Hamlet", wird über den Dramatiker Heiner Müller, die Regisseure Peter Zadek und Nicolas Stemann gesprochen, und zwar von Größen des Theaterfachs wie Angela Winkler, Ersan Mondtag und Herbert Fritsch. Wie konnte das passieren?

Montag, 20:15, ARD: "Terror" von Ferdinand von Schirach wird als Fernsehfilm mit hochkarätiger Besetzung gezeigt, ein konzentriertes, konservatives Kammerspiel mit ideal-typischen Figuren und puristischer Form. Samstag, 20:15, 3sat: Herbert Fritsch erscheint, ungefähr bei Minute dreißig, auf dem Monitor und sagt: "Diese ganzen sogenannten Genies, die werden getötet, wenn man einen Hermann um sie herum macht." Goldene Zeiten für's Theater?

Langweilige Kontextualisierung

Wie man's nimmt. Einerseits kann man es natürlich nur gut finden, wenn auf 3sat zu bester Sendezeit große Schauspieler*innen und spannende aktuelle Theatermacher zu Wort kommen und an das künstlerische Potenzial der großen Regietheater-Berserker des 20. Jahrhunderts erinnert wird. Andererseits ist da das gebührenfinanzierte Fernsehen.

Schon "Terror" konnte man problematisch finden, aufgrund seines Inhalts, aber vor allem aufgrund der ARD-typisch langweiligen Kontextualisierung des brisanten Stoffes. Da saßen dann nach einer okayen Inszenierung des Stückes mit minimalen Mitteln (und guten Schauspielern) die gleichen Visagen wie immer bei "Hart aber Fair", und nach einer Stunde hatte man eine Stunde seiner Zeit verloren an vorhersehbares Blabla, langweiliges Theater.

Wahnsinnswerke Fritsch 560 ScreenshotHuch, ich bin ja im Fernsehen: Theatermacher Herbert Fritsch.  Bild: Screenshot

Ähnliches lässt sich auch über die erste Episode "Wahnsinnswerke" sagen. Zwar bietet die Untersuchung der Frage, was "Hamlet" den Menschen heute noch zu sagen hat, durchaus sehr verschiedene Positionen: Ersan Mondtag unterstreicht das Rücksichtslose, Ich-Bezogene an Hamlet und vergleicht den dänischen Prinz mit Recep Tayyip Erdogan. Außerdem werden mit der "Hamletmaschine"-Ophelia und mit Angela Winkler, die bei Peter Zadek einen weiblichen Hamlet spielte, das emanzipatorische Potenzial des Stoffes angerissen und der Disney-Stoff "Der König der Löwen", dessen Figuren-Konstellation offensichtlich von "Hamlet" inspiriert ist, erwähnt, und zwar von einer interkulturellen Literaturprofessorin.

Was ist das für 1 komische Frage?

Das könnte also alles ganz interessant sein. Ist es aber nur so mittel, weil "Wahnsinnswerke" durch eine biedere Form (schnarchige Off-Erzählerin, langweilige Schnitte, dramaturgische Langeweile) und alberne Versuche, das Ganze an die Pop-Gegenwart anzudocken, wirkt wie einer dieser Lehrfilme, die man in der Schule immer in Vertretungsstunden sehen musste. Bestes Beispiel: Die Sendung vertraut dem Theater offenbar nicht genug, um direkt mit Lars Eidingers Hamlet zu beginnen. Anstatt dessen begleitet man die HipHop-Band Moop Mama (die leider meines Wissens kein Jugendlicher cool findet) durch die Görlitzer Altstadt. Die meisten Mitglieder kennen das Stück nur von Wikipedia, immerhin der Rapper hat's gelesen und performt dann auf der Straße "Hamlet" im "Jugendsprech": "Sein oder Nichtsein, das ist 1 komische Frage." Lame.

Wahnsinnswerke Hamlet 560 Screenshot "Hamlet spricht so unverständlich wie Haftbefehl", sagt Keno Langbehn, Ja. Bild: Screenshot

Als Gradmesser dafür, ob das Theater auch 2016 noch für den Rest der Gesellschaft relevant ist, taugt "Wahnsinnswerke" überhaupt nicht. "Terror" schon eher, auch wenn der Text an sich mehr Telenovela als HBO-Drama ist. Letztlich zeigt sich an der vergangenen Woche aber vor allem, dass die Theaterwelt nicht neidvoll auf das (deutsche) Fernsehen zu schauen braucht. Wer über Einfalls- und Harmlosigkeit des Subventionstheaters klagt, dem sei gesagt: Um das gebührenfinanzierte Fernsehen steht es schlimmer.

 

Wahnsinnswerke: Hamlet
Ein Film von Lisa-Maria Schnell
Erstausstrahlung: 22.10.2016, 3sat

www.zdf.de/ZDFmediathek