Die Puppe spricht

von Lukas Pohlmann

Chemnitz, 2. November 2016. Frau Zschäpe ist ja nicht so fürs Reden. Jedenfalls, seitdem die Uwes nicht mehr sind und die ganze Welt sich Antworten von ihr erhofft. Muss sie ja auch nicht. Vor Gericht muss ja nichts gesagt werden, was zur Selbstbelastung beitragen könnte. Also wird Schweigen Programm. Und Beate zur Projektionsfläche. So sehr Projektionsfläche wie etwa die rohe, schwarze Rückwand der kleinen Bühne im Chemnitzer Theater-Ostflügel. Da flackern im Einlass zur Uraufführung von "Beate Uwe Uwe Selfie Klick" die pressebekannten Fotos aus dem privaten Trio-Glück des NSU.

Denn die fünf Gestalten, die sich vom Europalettenstapel vor der Zuschauertribüne erheben, behaupten, sich ihr kleines, sandiges Utopia geschaffen zu haben: den "Kulturhauptstrand Europa". Und wie es sich für eine ordentliche Landnahme gehört, muss sich das kleine Grüppchen zunächst mal seiner selbst vergewissern, bald darauf das Wir-Gefühl beschwören, um dann doch auf das Selbstbewusstsein des Einzelnen zu verweisen. Da ist dann fix mal aus dem Selfie-Klick ein Diskurs-Stück geworden.

Entartete Urlaubs-Fantasie

Da gibt ein Wort das andere, nach mancher Formulierung sucht man, auch mal im Kollektiv und die eine oder andere vermeintliche Gewissheit – wie, dass man doch wieder ein wenig stolz sein dürfe – entschlüpft den sogenannten Alltagsmenschen chorisch. Von da aus holpert der Weg in die NSU-Reflexion zwar etwas. Aber die Realität bricht eben auch manchmal in den Urlaub ein – und sich ihr dann zu stellen, fällt auch nicht immer leicht.

So sitzen die beiden Damen des Ensembles, Magda Decker und Gerlinde Tschersich, mit aus Zeitungsschnipseln geschaffenen, großäugigen Handpuppen da und rezitieren Journalistenergüsse und Zeugenzitate zum NSU-Prozess in München. Währenddessen erwecken die drei Herren, Michel Diercks, Tobias Eisenkrämer und Felix Schiller, die lebensgroße Puppenbeate zum Bühnenleben und lassen sie im Plexiglasverschlag ein sekthaltiges Tänzchen wagen.

Beate 560 DieterWuschanski uPuppen tanzen mit Dir in "Beate Uwe Uwe Selfie Klick" ©  Dieter Wuschanski

Die Puppe ist schon ein toller Kniff von Laura Linnenbaum. Wär käme denn auf die Idee, schon jetzt, noch während des Prozesses, eine Beate Zschäpe-Bühnenfigur "in real" zu verkörpern? Im Fernsehen schon längst geschehen. Wie eine weitere großartige Szene schmerzlich erinnert: Schiller und Eisenkrämer beschreiben mikrofonbewährt und effekthaschend den Biopic-Stil von Fernsehbildern, die statt einem Opfer ein Gesicht zu geben, der Täterin Zschäpe folgen. Auf den Hinweis, wie schmal und gefährlich der Grad zur Ikonisierung ist, können sie nach der Nummer getrost verzichten.
Soweit, so großartig.

Im Plexiglas-Sicherheits-Kasten

Die Konstruktion von "Beate Uwe Uwe Selfie Klick" ist kompliziert. Darauf verweisen schon Vorankündigung und Programmheft: Für das derzeit in Chemnitz stattfindende Festival "Unentdeckte Nachbarn", das sich mit überraschend vielen (Gastspiel-)Inszenierungen und reichhaltigem Rahmenprogramm dem NSU-Komplex widmet, waren Autorin Gerhild Steinbuch und Regisseurin Laura Linnenbaum aufgefordert, ein Stück zu entwickeln.

Entstanden ist eine Fassung aus Texten von Steinbuch und aus dokumentarischem Material. Was zur Uraufführung kommt, ist eine groteske Collage-Mixtur, ein mit Puppenspiel angereicherter Diskurspop-Denkraum. Jeden Sprung zwischen Prozessprotokoll und Utopia-Poesie der Autorin Steinbuch nachvollziehen zu wollen, würde den Anreiz zerstören, den der Abend schafft. Es ist ein wenig, als würde man Archäologen dabei zusehen, wie sie gleich unter ihren Fußabdrücken nach Zeugnissen der noch gar nicht vergangenen Geschichte suchen. Natürlich finden sie dauernd etwas.

Beate 560a DieterWuschanski uDiskurspop-Denkraum im Bühnenbild von Valentin Baumeister © Dieter Wuschanski

Man kommt nicht umhin, auch über Schuld oder gleichgestellte Täterschaft von Männern und Frauen nachzudenken: was für ein Gedanken-Kick, wenn sich Decker in der Behauptung verstrickt, große Taten würden von großen Männern, kleine Taten von Männern begangen. Es ist auch sinnfällig, in einer NSU-Versuchsanordnung den Verfassungsschutz auftreten zu lassen. Genau so, wie diesen als übergroßen Pappmaché-Kopf einem der Spieler aufzusetzen und ihn sich mit geschredderten Akten die Ohren zuhalten zu lassen.

Linke Rhetorik rechts vereinnahmt

So wahnwitzig es ist, dass jahrelang eine Neonazi-Terrorzelle in Deutschland morden konnte und kurz darauf unter dem Deckmantel der Selbstermächtigung in Sachsen Tausende völkische Parolen skandierend durch die Straßen ziehen, so nötig ist es, sich diesem Ausmaß künstlerisch zu stellen. Dabei werden Anreize geschaffen, nicht denk- und reflexionsfaul zu werden. Auch wenn nicht jeder Rückschluss von linker Rhetorik auf rechte Vereinnahmung und nicht jeder dramaturgische Übergang vom Gerichtsprozess an den Strand aufgeht.

Kurz vor Schluss bindet fast unbemerkt im Hintergrund ein wunderschön absurdes Bild den Abend: die schmale Puppenbeate und der riesenkopfige Verfassungsschutz wiegen sich tanzend. Hätte die Regisseurin das ausgestellt und großartig kommentiert, hätte das banal bis billig wirken können. Aber Laura Linnenbaum hat ein Händchen für hintergründigen Effekt.

Beate Uwe Uwe Selfie Klick
Textfassung von Laura Linnenbaum mit Texten von Gerhild Steinbuch und dokumentarischem Material
Uraufführung
Regie: Laura Linnenbaum, Ausstattung: Valentin Baumeister, Puppen & Objekte: Angela Baumgart, Video: Sophie Linnenbaum, Dramaturgie: René Schmidt.
Mit: Magda Decker, Gerlinde Tschersich, Michel Diercks, Tobias Eisenkrämer, Felix Schiller.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-chemnitz.de

 

Kritikenrundschau

Ute Grundmann vom Mannheimer Morgen (4.11.2016) schreibt, der Abend biete in 90 Minuten keine fertigen Antworten, sondern suche nach dem "Warum im Außerhalb", zeige mögliche Strukturen und Unterstützer auf und ziehe die Parallele bis hin zu den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln. "Ob das Thema NSU, der zeitweise in Chemnitz lebte und seine Raubüberfälle vor allem in Südwestsachsen verübte, mit dem Tod von Böhnhardt und Mundlos und der Inhaftierung Zschäpes erledigt ist, beantwortet die Aufführung eindeutig mit Nein."

Tim Hofmann von der Freien Presse (4.11.2016) schreibt: "Auf der Bühne wird nicht versucht, mit Theaterkunst zu erklären, was die Justiz und Polizei noch nicht herausgefunden habe. Das Chaos, das in der Erkenntnislage herrscht, wird bis an die Schmerzgrenze zugelassen." Vor allem die Puppenszenen würden immer wieder packende, eindringliche Bilder erzeugen.

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