Der Wille zur Form

von Esther Boldt

Frankfurt, 4. November 2016. Da hängt er nun, der feige Tor, im blutbesudelten Nachthemd. Hängt im schwarz gähnenden Bühnenrund, verstoßen und erhaben zugleich, und redet, nein, jammert, heult und krampft um sein Leben. Denn er, Prinz Friedrich von Homburg, will nicht sterben. Will lieber Glück und Liebe entsagen, als sich dem Richterspruch des Kriegsgerichts zu ergeben. Und doch wird es ihn brechen, das Gesetz, und ihn zu einem besseren Krieger und vermutlich öderen Zeitgenossen machen.

Im Nachthemd des impulsiven Eigenbrötlers

Friedrich von Homburg hatte sich dem Befehl widersetzt, als er sich und seine Reiterei ins Schlachtgetümmel von Fehrbellin stürzte – und die Schweden in die Flucht schlug. Als er stolz in Berlin einzieht, erwartet ihn kein Heldenruhm, sondern das Todesurteil durch seinen Ziehvater, den Kurfürsten von Brandenburg. Im Großen Haus des Schauspiel Frankfurt hat Michael Thalheimer Heinrich von Kleists letztes Drama inszeniert, und dafür Felix Rech in das – zunächst sorgsam glattgebügelte – Nachthemd des impulsiven Eigenbrötlers gesteckt. Stier starrt er anfangs in den Saal, presst ein Wort aus den Tiefen seines Leibes hervor, wieder und wieder: "Sieg! Sieg! Sieg!" – ganz, als könnte er's herbeirufen.

prinzvonhomburg3 560 Birgit Hupfeld uIm Gerank des Kriegsgerichts: Felix Rech als Prinz von Homburg (Mitte) mit Yohanna Schwertfeger und Corinna Kirchhoff © Birgit Hupfeld

Ein weltfremder, selbstverliebter Zappler ist dieser Prinz, der ein schlaksiges Tänzchen wagt, bevor er eigenmächtig in die Schlacht zieht. Wie anders ist dieser große, blondgelockte, halbnackte Prinz, der sich im Schlachtgedonner das Gemächt reibt, als jener, der hier vor Jahren umging: 2007 inszenierte Armin Petras Kleists Stück als dunkle Spukstory von Krieg und Wahn im Bühnen-Dauerregen. Damals, in der kleingeschriebenen Ära des schauspielfrankfurt unter Elisabeth Schweeger, spielte Robert Kuchenbuch den Prinzen – ein Proll mit Glatze, Springerstiefeln und Lederjacke, der sich breitbeinig an seiner Bierflasche festhielt.

Ein Regisseur für die Kleist'schen Sprachschönheiten

Nun aber Thalheimer, der hier in schöner Regelmäßigkeit inszeniert. Bei ihm wähnte man die Kleist'schen Sprachschönheiten im Vorfeld bestens aufgehoben, ist er doch ein Regisseur, der zwar gern Klassiker von jedwedem Beiwerk befreit, ja skelettiert, der aber auch sehr genau ihrer Sprache lauscht. Doch was erzählt uns der "Prinz Friedrich von Homburg", diese Geschichte einer Unterwerfung, in der die Staatsmacht einem Eigensinnigen mit brutalen Erziehungsmaßnahmen die Flausen austreibt, über unsere Gegenwart? Thalheimer übergeht diese Frage elegant, indem er sich formbewusst auf sein Handwerk verlässt und seine Inszenierung in einen Theatergottesdienst verwandelt.

prinzvonhomburg2 560 Birgit Hupfeld uEine Odyssee im Weltraum der Effekte: Felix Rech und Corinna Kirchhoff © Birgit Hupfeld

Sakral mutet hier alles an: Die hohe Leere des Raumes, aus dessen dunkler Tiefe die Schauspieler*innen auftreten, nach vorn, ins Schlaglicht der Vorderbühne. Die Musik von Bert Wrede, die die himmlischen Chöre aus "2001 – Odyssee im Weltraum" zitiert – oder dumpf dröhnenden Kanonendonner. Es ist, als würde hier eine bereits bekannte Liturgie vollzogen, als zitiere der Regisseur sich selbst. In den Tänzchen des Prinzenträumers etwa klingen die entgleitenden Körper früherer Thalheimer-Inszenierungen an, wo Textaneignung oft körperliche Widerstände hervorrief und es schien, als zerkauten, verzehrten, verlebten die Schauspieler das Gesagte. In den blutbesudelten Kostümen, die nichts erklärt – außer vielleicht der Verweis auf seine Antiken-Inszenierungen, in denen das Theaterblut gern und reichlich fließt. Oder in der effektbewussten Getragenheit des Schauspiels, im ewigen Frontalsprechen ins Publikum.

Im Irrgarten der Selbstverweise

Im Irrgarten der Selbstverweise zerfällt und zerfranst das Ensemble sichtlich. Felix Rechs Prinz bleibt, bei aller behaupteten Körperlichkeit, reichlich blass. Wolfgang Michael als Kurfürst von Brandenburg presst und schmatzt seine Sätze mit vorgeschobenem Kinn so gleichbleibend temperiert heraus, als habe das alles nichts mit ihm zu tun. Und Corinna Kirchhoffs Kurfürstin ist ganz gebeugte Kreatur, die schwarz behandschuhten Hände flehend vorgestreckt – auch wenn unbegreiflich bleibt, was sie so niederdrückte. Welch großes Glück dagegen ist Yohanna Schwertfeger als Prinzessin Natalie von Oranien, die tatsächlich mit der Sprache ringt und als einzige die gewaltige Fallhöhe des Dramas spürbar macht. Retten kann sie den Abend leider nicht, an dem die versammelten Stilmittel lediglich auf sich selbst zeigen. Denn auch die Theatermesse verlangt, dass man ihr folgt – und nicht zu viele Fragen stellt.

 

Prinz Friedrich von Homburg 
von Heinrich von Kleist
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Licht: Johan Delaere, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Wolfgang Michael, Corinna Kirchhoff, Yohanna Schwertfeger, Michael Benthin, Felix Rech, Martin Rentzsch, Stefan Konarske, Alex Friedland.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

Jürgen Berger von Spiegel-online (5.11.2016) schreibt, wie bei ihm üblich habe Michael Thalheimer den Text skelettiert und auf relevante Schlüsselszenen reduziert. Es gebe zwar intensive Auseinandersetzungen mit Kleists Sprache an diesem Abend. Mehr davon hätten jedoch dafür gesorgt, "dass das Publikum sich nicht nur an die großartigen Bilder halten muss, um überwältigt zu werden". Berger lobt Hautdarsteller Rech, der im ersten Drittel agiere, "als entfalte die Wucht der Kleistschen Sprache ein Eigenleben im Körper des Schauspielers". Das sei faszinierend und eine jener szenischen Setzungen, mit denen Thalheimer immer wieder überrasche.

Es gebe "mal wieder starke, von klugen Überlegungen getragene Bilder, wie fast immer in den Dramenkompressor-Inszenierungen von Michael Thalheimer", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (7.11.2016). Mit dem "Homburg" aber mache "der formbewusste Regisseur allzu kurzen Prozess beziehungsweise er bekommt dieses merkwürdige 'vaterländische' Drama, in dem Kleist die bittere Logik des Kriegsführens gegen das Gefühl ausspielt, nicht wirklich zu fassen." Kleists Sprache werde "die Verführungskraft und Schönheit ausgetrieben, vielleicht sogar bewusst – denn dass dieses Drama ein Albtraum-Setting ist, in dem ein ungestümer, enthusiastischer Mensch gebrochen wird, daran lässt Thalheimers Nachtmahr keinen Zweifel."

Simon Strauss lässt seine Kritik in der Frankfurter Allgemeinen (7.11.2016) mit dem furiosen Absatz beginnen: "Dies ist ein Abend nur für ein Bild. Für eine Haltung. Für einen großen Augenblick. Alles andere ist nichts, bleibt unbewegt, stumpf und absichtslos. Aber dieses eine Bild vom Prinzen, wie er allein im Dunkel hängt, oben an kalten Draht gekettet und unter ihm die gähnend leere Gruft, wie er da zappelt, schreit und um sein Leben fleht, das Bild bleibt haften. Brennt sich ein. In seiner echten Düsternis ist das ein Lichtblick an einem Abend voll falscher Dunkelheit." Die Inszenierung liefere sonst nichts "als ein Stillleben. Da sind ein paar gute Motive für den Hausfotografen dabei, aber auf den Zuschauer wirkt das nicht."

Marcus Hladek ist in der Frankfurter Neuen Presse (7.11.2016) von ebenjenem Moment, den auch Simon Strauss anführt, beeindruckt: " Welch ein Bild! Auf einmal ist der todbedrohte Träumer isoliert und aufgehoben wie der Pharao in der Pyramidengruft, wird der Raum zur Metapher des Ich in Homburgs 'Lage, seit sie so seltsam sich verändert hat'. Im Kühlturm-Gewölbe ist er, der da mit widerhallender Stimme abzuckt, verwandelt wie ein Käfer. (…) Die Schwebe von Traum und Wirklichkeit im Stück ist beim Wort genommen und steigert sich ins Bild des Prinzen, der zwischen Tod und Leben im Nichts hängt."

Es gebe in Thalheimers Inszenierung Augenblicke, die "in einer kondensierten, auch durchaus aus ihrem Zusammenhang genommenen Reinform" an uns heran träten und "die verzwirbelte, komplizierte, armselige, großartige Menschlichkeit" feierten, schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (7.11.2016). Was allerdings nicht "in jeder Szene gelänge". Das Ende sei dann "zwiespältig und ein wenig flau. Vielleicht wäre etwas mehr Stellungnahme und etwas weniger Stellung dafür gut gewesen. Vielleicht erwartet man an einem so entschlossenen Abend mehr Entschiedenheit im Umgang mit dem Kleist-Ende."

Shirin Sojitrawalla schreibt in der tageszeitung (9.11.2016), Michael Thalheimer habe den Text in bewährter Manier "verknappt, verschlankt, vernüchtert". In Gestalt und Gestus komme die Inszenierung zwar Thalheimer-standesgemäß daher, erringe aber nicht die Größe seiner großen Frankfurter Inszenierungen: 'Antigone', 'Medea', 'Penthesilea'. "Diesmal wirkt vieles plump."

Peter Kümmel mokiert sich in der Zeit (10.11.2016) über den modischen Hinweis "nach Kleist" ebenso wie über dessen Luftflug: Homburgs Charakterlage zu übersetzen, indem man ihn "über alle anderen hinauskatapultiert (als wäre er ein Staatsraumfahrer), und ihn dann im leeren Raum schweben zu lassen (als wäre er eine bloße Staatsmarionette), ist, was ihren Schauwert betrifft, plausibel". Der herrische Regieeinfall schlage aber aufs ganze Drama zurück: "Alles wird unter Homburgs baumelndem Leib zu leerem Raum." Seltsam spannungslos sei das alles. "Wo kein Aufschub ist, kann keine wirksame Entladung stattfinden. Gebrüllt wird dennoch reichlich."

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