Western und Investment

von Alexander Jürgs

Frankfurt, 11. November 2016. Es passt einfach alles, es ist alles da. Das dunkle Holz, der Dielenboden, die Schwingtüren. Die Cowboy-Hüte, die Pistolenhalfter, die altmodischen Westen und die wallenden Röcke, diese wunderbaren Kostüme mit Wildwest-Patina eben. Die Männer scheren sich keinen Deut darum, ob ihr Rotz im Spucknapf landet. Der Geruch der Zigarren, die sie rauchen, sucht sich seinen Weg in den Zuschauerraum. Und die Whiskyflaschen stehen fein aufgereiht im Regal.

Gier nach Geld und Gold

Es gibt einen Sheriff, es gibt den Minenbesitzer Baxter und seinen Untergebenen, einen ehemaligen Kopfgeldjäger. Es gibt Marisol, die Herrscherin über Saloon, Alkohol und Prostitution. Und es gibt einen geheimnisvollen Fremden, der nach El Plata, in diese Einöde in der Steppe, gekommen ist: Nomoney ist sein Name. In dem Stück, das "Der kalte Hauch des Geldes" heißt, wird ohrenbetäubend laut und übertrieben häufig geschossen. Ein Barde, der Indiepop-Musiker Bernhard Karakoulakis, der das Pseudonym Boo Hoo verwendet, spielt Folk und Americana.

DerKalteHauch 2 560 Birgit Hupfeld uNoch ist die Westernwelt in Ordnung. Doch das Nest La Plata soll zum Finanzplatz werden.
© Birgit Hupfeld

Natürlich waren es Gier nach Gold und Sehnsucht nach Freiheit, die die Männer hier in den Westen gebracht haben. Und natürlich sind die Minen mittlerweile leergeräumt, darum gibt es Stress, darum gibt es Gewalt. In dem Western, den der Autor und Regisseur Alexander Eisenach, Jahrgang 1984, in den Kammerspielen des Frankfurter Schauspiels auf die Bühne bringt, stimmt wirklich alles bis ins Detail.

Die Vermutung, dass Eisenach ein ausgeprägtes Faible für das Genre hat, liegt nah, so hingebungsvoll ist hier nachgebaut, was den Western, diesen Dauerbrenner der Popkultur, ausmacht. Und weil der Western ja eigentlich kein Format für die Theaterbühne, sondern durch und durch ein Kind des Kinos ist, wird auch die Live-Videokamera exzessiv eingesetzt. Die Bilder, die Oliver Rossol dabei entstehen lässt, sind präzises Breitwandkino, von bemerkenswerter Qualität. 

Veränderung liegt in der Luft

Doch Eisenachs Western bleibt nur für ein paar kurze Augenblicke klassisch, schnell mischt sich ein anderer Sound in den Text. Begriffe aus der Ökonomie fallen, aus dem Investmentbanking, aus der linken Theorie, dem Marketing. Eine Krise hat La Plata erreicht, den Ausweg sucht Baxter, der Minenbesitzer, in Geschäften ohne Fuß und Boden. Western und Investment sollen eins werden, La Plata soll sich zum Finanzplatz wandeln, ohne Rücksicht auf Verluste.

Die Veränderungen liegen in der Luft. Die Eisenbahn soll in die Einöde kommen, soll das Wildwest-Städtchen mit dem Rest der Welt verbinden. Die Angst, dass sich dadurch alles ändern wird, dass zum Beispiel das Glücksspiel verboten wird, ist plötzlich da. Die drohende Dampflok erscheint dabei wie ein Symbol für die Globalisierung. Schnell formuliert deshalb einer den Appell: Wir müssen die Veränderungen positiv sehen, sonst stehen wir bald als "abgehängte Hinterwäldler" dar.

DerKalteHauch 1 560 Birgit Hupfeld uFrieren unter dem Einfluss einer fremden Macht: Lukas Rüppel, Christian Kuchenbuch, Christoph Pütthoff, Sina Martens, Verena Bukal, Bernhard Karakoulakis  © Birgit Hupfeld

Die Darsteller reden sich um Kopf und Kragen, es geht zu wie in einem soziologischen Seminar, einer träumt davon, in der Prärie Chia-Samen zu sammeln, ein anderer von Aufklärung statt Ausbeutung. Der Fremde, gespielt von Sina Martens, liegt im Bett und liest "Das Kapital" – als Autor firmiert auf dem Umschlag nicht Marx, sondern Karl May. Dieser wilde Theorien-Mix, dieses collagenhafte Zusammenstellen von Texten lässt einen an die Inszenierungen von René Pollesch denken – nur dass es bei Eisenach eine Spur weniger hysterisch, dafür umso komödiantischer zugeht.

Utopiesuche, Slapstick, Kapitalismuskritik

Nach der Pause verdeckt ein Vorhang den Blick auf den Saloon, darauf eine Caspar-David-Friedrich-hafte Winterlandschaft, davor ein Berg aus Kunstschneeflocken, leise und beharrlich rieselt es immer weiter. Baxter, von Christian Kuchenbuch gespielt, berichtet, in einen voluminösen Pelzmantel gehüllt, von einer despotischen Macht, die das Geschehen nun steuere. Ein tapsiger Bär nähert sich ihm von hinten an, wirft ihn um, greift an. In dem Kostüm steckt Nomoney, der geheimnisvolle Fremde, von dem man längst weiß, dass er eigentlich eine Frau mit aufgeklebtem Bart ist. Nomoney will Baxter zum Duell herausfordern, verliert dann aber urplötzlich die Lust daran und verschwindet, wie es in dem Stück heißt, "in die Weite, die es nur in einem Western gibt".

"Der kalte Hauch des Geldes", das ist eine wunderbar überdrehte Mixtur aus Kapitalismuskritik und Volkswirtschaftslehre, aus Utopiesuche, Westernromantik und Slapstick. Mit seinem detailverliebten Spiel mit dem Wildwest-Mythos ist Alexander Eisenach ein Stück gelungen, das eigen, komisch und unterhaltsam ist.

 

Der kalte Hauch des Geldes
von Alexander Eisenach
Regie: Alexander Eisenach, Bühne: Daniel Wollenzin, Kostüme: Julia Wassner, Video und Live-Kamera: Oliver Rossol, Komposition und Live-Musik: Bernhard Karakoulakis, Dramaturgie: Henrieke Beuthner.
Mit: Sina Martens, Verena Bukal, Christian Kuchenbuch, Christoph Pütthoff, Lukas Rüppel.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

"Wer mit der Theater-Zeit geht, filmt die Schauspieler ab und projiziert ihre Gesichter groß auf eine Leinwand wie bei einem Popkonzert", schreibt Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau (14.11.2016). Ein Muss sei "derzeit auch die Verteilung von Ohrenstöpseln", zählt sie weiter auf, um dann anzuschließen: "Jedes dieser Mittel kann seine Berechtigung haben, im 'Kalten Hauch des Geldes' wirken sie seltsam routiniert, aber auch aufgepfropft. Viel lieber hätte der Regisseur wohl einen Film gedreht, nur leider hatte er nur einen Theater-Auftrag." Alexander Eisenach würde vielleicht "gern einen leicht absurden Wortüberschuss à la René Pollesch erzielen, aber viele seiner Dialoge erinnern fatal an diese Schiebedinger aus Pappe, auf denen 'Phrasendreschmaschine' steht." Staudes Fazit: "sinnfreies Gefaxe."

Eisenach inszeniere sich "zwar kurzweilig", meint Marcus Hladek in der Frankfurter Neuen Presse (14.11.2016). "Nur ist sein Text eklatant epigonal, ein Befund, den das Selbstwiederholungs-Schema erschwert. Abgekupfert ist das vom erwähnten René P., gekreuzt mit der ironisch umständlichen Von-ganz-weit-weg-Dialogführung eines Quentin Tarantino, bei dem es aber um Big Macs ging. Eisenach setzt dafür den großen Finanzskandal und Theoriegequassel zwischen 'Dialektik der Aufklärung' und Proseminar ein." Das sei "Kunsthandwerk mit satirischen Zügen als Bestem daran."

Wieder einmal fühle man sich "bei Eisenach wie in einem philosophischen Proseminar", schreibt Claudia Schülke in der Rhein-Main-Zeitung der Frankfurter Allgemeinen (14.11.2016). "Nur dass diesmal nicht die Thesen der französischen Revolutionäre durchgehechelt, sondern marxistische Theorien am Tresen vorgeführt werden." Zwischen "all den Western-Klischees und der zarten musikalischen Begleitung" blitzten "immer wieder bedenkenswerte Sentenzen auf, die aber nicht auszuhalten wären ohne ihre Vergackeierung."

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