Parabel vom guten bösen Populisten

von Martin Krumbholz

Düsseldorf, 11. November 2016. Das gewisse vorzeitliche Tier, von dem der "Puntila" handelt, heißt nicht Donald Trump, obwohl Trump – deutsch ausgesprochen – zweifellos ein fabelhafter Brecht-Name wäre (man denke an das typische Brecht-Wort "Klump"). Nein, Bertolt Brechts arge menschliche Landplage ist nicht der designierte amerikanische Präsident. Doch so kurz nach der fatalen Wahl – man bildet es sich nicht ein – hat mancher Satz einen Doppelsinn. Auch der Tycoon aus New York soll einmal einen Hirschkäfer vor seinem Trump-Tower von der Straße aufgelesen und in den Wald getragen haben, dass er nicht überfahren wird.

Puntilas und Brechts Redewut

Jan Gehlers Düsseldorfer Inszenierung der Parabel vom doppelt gemoppelten finnischen Gutsbesitzer und seinem Chauffeur konnte den transatlantischen Paukenschlag nicht mehr einarbeiten und hätte das auch gar nicht intendiert. Im Programmheft ist zu lesen, der Regisseur hätte sich an den Filmen von Aki Kaurismäki orientiert, jedenfalls was die (buchstäbliche) Temperatur seiner Inszenierung betrifft. In Finnland ist es dunkel und kalt, folglich stehen die sechs Spieler des Abends am Anfang (und noch einmal am Schluss) bibbernd zusammen wie Schafe, die sich in der Herde aneinander wärmen. Nur die ersten vier Verse des Prologs werden verwendet, nicht schmetternd, sondern zögernd, verhalten klingen sie, und haben doch diesen unverwechselbaren scharfen Brecht-Sound, an dem auch der Zuschauer sich wärmen möchte. Manchmal.

puntila 6 560 sebastianhoppe uBibbernd wie die Schafe, die auf den wärmenden populistischen Wolf warten? © Sebastian Hoppe

Dann verliert sich die Spur – aus gutem Grund. Denn es ist doch ein himmelweiter Unterschied zwischen der frappierenden Lakonie eines Kaurismäki und der Redewut eines Brecht, der ja in seinen Stücken (anders als in den wunderbaren Gedichten) alles andere als lapidar ist. Zu viel anekdotisches Material muss eingearbeitet werden (der Autor hat sich ja wie immer von allen möglichen Quellen inspirieren lassen), und die Leute quasseln einfach gerne. Natürlich kann man kräftig streichen, aber es ändert nichts daran, dass hier immer einer den anderen überzeugen will (was bei Kaurismäki nie geschieht). Den Begriff "episches Theater" könnte man durchaus auch in diesem Sinn verstehen.

Dem Alkohol zum Trotz

Volksstück, Realismus sind passé. Die schön-abstrakte Bühne von Sabrina Rox mit ihrer steilen Schräge, zwei unterschiedlichen Türen und einer Fensterluke (im Kleinen Haus des Central) ist hoch anspruchsvoll, sie fordert eine konzentrierte, streng formalisierte Spielweise. Diese ästhetische Forderung löst die Aufführung nur sehr begrenzt ein, es mischen sich zu viele naturalistische Elemente hinein. Das betrifft nicht zuletzt den Hauptdarsteller: Andreas Grothgar neigt nämlich dazu, in seine Sätze Denkpausen einzubauen, die nicht erforderlich sind. Diese Manier soll wohl die Wirkung des Aquavits illustrieren, dem der Puntila so gern zuspricht, um dann so recht menschlich zu werden (siehe oben). Doch eine zentrale Eigenschaft dieses Herrn besteht darin, dass er, dem Alkohol zum Trotz, ausgesprochen schnell denkt.

puntila 5 560 sebastianhoppe uCathleen Baumann, Andreas Grothgar, Alexej Lochmann und Hanna Werth © Sebastian Hoppe

Sein Gegenspieler Matti, der auch nicht auf den Kopf gefallen ist, erscheint dagegen fast als Waisenknabe. Wenn er jedoch weniger redet als sein Chef, hat das den Effekt: Er trifft die Dinge auf den Punkt, die sein Herr mit einer wunderbaren Eloquenz methodisch verbrämt. Konstantin Lindhorst findet für den Knecht Matti einen ziemlich guten Ton. Er hat diese trockene, bisweilen auch rotzfreche Art, mit der einer die Schwächen seines Herrn aufdeckt, ohne ihn allzu direkt zu demütigen. Matti ist schlau. Das gilt auch für den Umgang mit Puntilas Tochter Eva, die sich in ihn verliebt – Matti weiß aus Anschauung, wie es einem Knecht ergehen kann, der sich "hinaufgeheiratet" hat. Also bleibt er lieber reserviert. Cennet Rüya Voß hat in der Rolle der Eva anrührend-melancholische, auch vorsichtig-aufsässige Momente. Der Attaché, den zu heiraten man sie verdonnert hat, ist dagegen nur ein rundlicher Tölpel (und nicht, beispielsweise, "das bestangezogene Stück Seife in ganz Tavastland").

Der "Puntila", das zeigt die frische Lektüre, ist ein überraschend witziges, gut gealtertes Stück. Jan Gehlers Inszenierung zeigt es leider nicht. Die Komik zündet nicht. Und die tolle Vorlage, die der Estatium possessor aus Amerika lieferte, kam, wie gesagt, zu spät.

 

Herr Puntila und sein Knecht Matti
von Bertolt Brecht
Regie: Jan Gehler, Bühne: Sabrina Rox, Kostüme: Claudia Irro, Musik: Sven Kaiser, Licht: Konstantin Sonneson, Dramaturgie: Frederik Tidén.
Mit Andreas Grothgar, Cennet Rüya Voß, Konstantin Lindhorst, Cathleen Baumann, Alexej Lochmann, Hanna Werth.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.dhaus.de


Kritikenrundschau

Das Volksstück mit klassenkämpferischem Überbau inszeniere Gehler "als lakonische Farce - bitter und unterhaltsam", so Dorothee Krings in der Rheinischen Post (14.11.2016). Die extrem schräg gestellte Bühne sei an zwei Seiten von Wänden umgeben. "Zwei Türen, ein Fenster, eine Nebelmaschine, viel mehr benötigt Gehler nicht, um wechselnde Spielorte und Atmosphären sinnfällig zu machen. Allein das ist ein Vergnügen." Das puristische Setting gebe den Schauspielern Raum und fordere sie heraus, sich ihre Figuren aus dem Nichts zu erspielen. Fazit: "Ein intelligentes Spiel mit Zeichen und Andeutungen. Da traut einer seinem Publikum, will nicht belehren, sondern spielen und plötzlich wirkt ein altes Volksstück aus dem düsteren Norden ziemlich modern."

Die Bühnen-Schräge sei "Metapher für die Typen-Inszenierung von Jan Gehler, der ganz auf Spielkunst und Wandlungsfähigkeit seiner handverlesenen Darsteller setzt", schreibt Max Kirschner in der Westdeutschen Zeitung (14.11.2016). Sie ziehen als schräge, schrille Typen alle Register deftiger Komödie. "Und beweisen erneut, welch ein facettenreiches, talentiertes und extrem wandlungsfähiges Schauspieler-Ensemble der neue Intendant an den Rhein gelockt hat. Von allen wird man hoffentlich noch viel hören und sehen."

Gehler schäle eine schlanke Geschichte aus dem "Puntila"-Stoff, so Lars von der Gönna in der Neuen Rhein Zeitung (14.11.2016), optisch in die Hülle einsamer Gegenwarts-Hässlichkeit gegossen. "Über dem Abend liegt der Geist Aki Kaurismäkis." Starkes Schauspielertheater, doch "ohne Schwächen ist Gehlers Zugriff nicht." Im zweiten Teil schleichen sich Spannungslöcher ein und die sichtbaren Rollenwechsel schwächen die Brutalität der Ausbeuter-Studie.

 

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