Das süße Nichts

von Henryk Goldberg

Altenburg, 13. November 2016. Wenn einer 13 ist, dann ist er eingeladen hier und sieht: Einer frisst Zuckerwatte. Der Typ steht in einem Glaskasten und zelebriert das wie ein Hexenmeister. Und auf des Meisters gestischen Befehl legt sich das weiße Gespinst um den Stab, mehr und mehr. Zieht sich wie süßer Nebel durch den gläsernen Raum, legt sich wie gefährliches Spinnweb an die Wände, wabert wie Wolken, wallt wie Nebel. Lauter Zucker, lauter Nichts. Und scheint die weißen Wolkenschlieren zugleich ein- und auszuatmen, so wie der Feuerschlucker die Flammen. Das sieht einer, wenn er 13 ist. Aber was sieht er?

Zuschauer ab 13 sind ins Altenburger Heizhaus gebeten. Dirk Laucke hat dem Theater Gera/Altenburg dieses Auftragswerk geschrieben. Ich mag nicht recht glauben, dass es außerhalb des Hauses sonderlich Karriere machen wird. "Vom Gefühl her: Fuck u!" steht für die professionelle Schreibsicherheit des Autors, der seine Geschichte hier in einem Jargon erzählt, dessen Kunstfertigkeit darin besteht, eben diese Kunstfertigkeit, beinahe verbergen zu können, diese Kunstsprache als tatsächliche oder vermeintliche oder vermutete Authentizität zu behaupten. Über die Geschichte ist nicht viel zu sagen. Nico kriegt ein Kind, Jenny ist die Mutter und wird wieder abhauen, zu Kevin, der ist so auf dem Zeug wie sie und klaut auf'm Bau, wo Nico ordentlich malochen will, fürs Kind, das noch keinen Namen hat. Nur Samantha, die Kleine, die ist erst 14 und will zur Oma nach Berlin, weg von hier, irgendwo muss es doch anders sein, irgendwie.

Den Wald vor lauter Bäumen

Dirk Laucke schreibt mehr Figuren als Geschichte, Atmosphäre ist wichtiger als Story, der Wald verschwindet hinter den Bäumen. Und Andreas Bauers Inszenierung verhält sich zu dem Stück wie die Oper zum Libretto: Es ist schon wichtig, es gibt die Richtung, die Stimmung, die Figuren, aber irgendwie verschwindet es, geht auf in dem, was vorgeht.Vom Gefuehl 1 560 th Ph ThueringenÜber allen schwebt der Teddy als Mahnung … © Theater & Philharmonie Thüringen

Was Konsequenz hat und Sinn. Denn diese Sprache vom Blatt zu spielen in Rede und Gegenrede, das wäre dann vermutlich doch eine Albernheit. Und da Laucke schon die Haltung seiner Figuren in Sprache übersetzt, übersetzt Andreas Bauer diese Sprache wiederum in schauspielerische Haltungen. Und die Frage ist eben die nach der Fähigkeit und der Bereitschaft eines jungen Publikums, solche ästhetischen Übersetzungen nochmals zu übersetzen in ihr wirkliches Leben. In Altenburg, heißt es, habe sich die Zahl derer, die sich wegen Crystal Meth in Behandlung befinden, in den letzten fünf Jahren um 600 Prozent erhöht.

Clowneske Verspannungen

Petra Linsel hat das Labor dazu gebaut. Einen Glaskasten, darin die Zuckerwattemaschine steht, an der sich Kevin und Jenny ihr süßes Nichts immer wieder drehen, der zentrale Einfall der Inszenierung. Und einen kleinen gläsernen Kasten, der Brutkasten für Jennys Frühchen, der Teddy darin schwebt über allen als Mahnung, als Hoffnung.

Andreas Bauer hat für seine vier Schauspieler je einen Gestus gefunden, der mehr eine Gestimmtheit erzählt als eine Fabel. Die wird nur in Konturen deutlich, zumal für ein junges Publikum, das, natürlich, nicht vorab den Text gelesen hat – und der bleibt zu beträchtlichen Teilen unverständlich. Vor allem Manuel Struffalino (Kevin) verschluckt, verhaspelt, verheizt seinen Text bis zur Unverständlichkeit. Das mag zu Teilen gewollt sein, aber hier haben sie es übertrieben. Der Schauspieler hat einen beinahe clownesken Gestus, eine Verspannung im Körper, überreizt, überdreht, überhitzt in Physis und Sprache – was seine Schlüssigkeit hat, schließlich ist die Figur einer der beiden Abhängigen.

Kunst-Kindlichkeit und Pathologie

Die andere ist Jenny, und Katerina Papandreou kommt mit Lauckes Sprache am besten zurecht, da verbindet sich die Pathologie der Figur mit ihrer ästhetischen Eindrücklichkeit, ohne an Verständlichkeit zu verlieren. Die Griechin spielt das mit wiegendem Oberkörper wie selbstvergessen, wie somnambul, wie unter Glas. Anne Diemer steht ihr wenig nach, sie übersetzt sich die 14-jährige Samantha in eine überzeugende sozusagen Kunst-Kindlichkeit, in der immer ein Stück unaufdringlicher Hoffnung schwingt. Johannes Emmrich, Nico, fällt aus dem Ensemble heraus, er spielt den Redlichen, den Wackeren, den Jungen, der es zu schaffen versucht mit ehrlicher Arbeit, der seinem Kind Liebe geben will und seinem Leben Zukunft, wie vom Blatt, als einziger hat er keine schauspielerische Übersetzung für seine Figur, schlicht in jeder Hinsicht. Und ist so womöglich der, den die 13-, 14-jährigen am besten verstehen werden.

Vom Gefühl her: Na ja.

 

Vom Gefühl her: Fuck u!
von Dirk Laucke
Uraufführung
Regie: Andreas Bauer, Bühne und Kostüme: Petra Linsel, Musik: Hubl Greiner, Dramaturgie: Svea Haugwitz.
Mit: Johannes Emmrich, Katerina Papandreou, Manuel Struffalino, Anne Diemer.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.tpthueringen.de

 

Kritikenrundschau

""Zum Glück ganz ohne Zeigefinger" komme die Inszenierung von Andreas Bauer aus, wie Ute Grundmann für Die Deutsche Bühne (14.11.2016) bemerkt. "Passend" und "rasant" findet sie den Abend. "Ein Stück für Jugendliche (..), das in Text und Inszenierung Ton, Haltung, Sprache junger Menschen trifft, ohne sich ans junge Publikum ranzuwanzen. Und die vier wunderbaren, präzisen jungen Darsteller halten die Szenen, die mit einem Buzzer am Boden an- und wieder ausgeknipst werden, über 90 Minuten in Spannung."

Die "hohe Qualität dieses Stückes" sieht Michael Laages im Gespräch für Deutschlandradio Kultur (13.11.2016) in der gelungenen sprachlichen Anverwandlung an die jugendlichen Figuren, also im "Jugend-Unterschichtsslang", den Laucke hier verwende. Regisseur Andreas Bauer spitze dieses Moment noch zu, "weil sich die Aufführung ganz auf diese Sprache konzentriert". Der Abend lebe zudem "von einem ziemlich engagierten Ensemble".

 

Kommentare  
Vom Gefühl her: Fuck u!, Altenburg: ab 13
Lieber Herr Goldberg,
Sie verwirren mich: mögen Sie das Stück nun oder nicht? Gefällt Ihnen die Inszenierung? Sagen Ihnen die Spielweisen der Schauspieler zu? Als Sprachenlehrerin am Gymnasium mag ich Ihre Kritik nicht zu deuten (s. z. B. Ihre Äußerungen über Manuel Struffolinos Darbietung), Ihr Schwanken in den Aussagen lässt mich ratlos zurück.

Leider habe ich das Stück nicht gesehen, aber ich möchte dennoch den roten Faden Ihrer Kritik aufgegreifen. Das Stück ist AB 13, NICHT ausschließlich für 13jährige. Und mal ganz ehrlich: kein 13jähriger geht allein in so ein Theaterstück. Da sitzen MamaPapaOmaOpaLehrerInJugendbetreuerIn daneben, die das veranlasst haben. Viele 13jährige sind schlau und durchschauen garantiert die Zuckermetapher. Und wenn nicht: auch gut, denn deshalb gibt es MamaPapaOmaOpaLehrerInJugendbetreuerIn, die danach mit ihnen darüber reden. Wenn es gut läuft - und davon gehe ich in den meisten Fällen aus - hat der/die Jugendliche/r mehr durch das Nachdenken über das Zuckerbild gelernt, als wenn sich die Figuren naturalistisch Kristalle in die Nase gezogen hätten.
Kultur und Bildung sollen auch mal fordern, sonst würde ja Youbtube ausreichen.
Vom Gefühl her..., Altenburg: für Erwachsene
Wo die Oberstudienrätin recht hat, hat sie recht: 13jährige Jugendliche, die von sich aus und auf eigene Kosten ins Theater gehen, gehen niemals in Stücke für ab 13jährige. Da gehen nur die OmasOpasLehrerusw. mit ihren lieben Kleinen hin, die eine Vorstellung haben, dass ihre lieben Kleinen genau solche Dinge mögen und so beschaffen sind vom Gefühl her, wie diese tollen Schauspieler es den OmasundOpasundLehrerinnenundErziehernundSozialarbeitern vorführen... Und 12jährige, die da zufällig hineingeraten, können sich ja vor den vor undoder nachbereitenden Theaterpädagogen immer noch schämen, dass sie die Zuckerwatte mit ihrer eigenen schleimigen, körperfresserischen Umwelt verwechselt haben und an Chrystel so naturalistisch gar nicht gedacht hatten!
Vom Gefühl her..., Altenburg: mehr solche Oberstudienrätinnen
Wünsche mir mehr solche Oberstudienrätinnen!
Vom Gefühl her..., Altenburg: frische Blicke, beide Richtungen
Zunehmend bekommen Autoren des "Erwachsenen-Theaters" Stückaufträge für das Ki-/Ju-Theater. Die Auftraggeber erhoffen sich davon vermutlich einen frischen Blick und das gelingt mitunter ja auch (Schimmelpfennigs Stück jedenfalls wurde hier ja sehr gelobt). Ich fänds interessant, wenn Ki-Ju-Autoren umgekehrt auch hin und wieder einen Stückauftrag fürs "Erwachsenentheater" bekämen und freu mich auf den frischen Blick!
Vom Gefühl her: Fuck u!, Altenburg: Antwort des Regisseurs
Sehr geehrter Herr Goldberg,

prinzipiell finde ich nur eine Sache ärgerlicher als eine schlechte Kritik – das Lament des betroffenen Künstlers im Nachgang derselben. Ist eigentlich unsouverän und/oder unnötig.
Trotzdem möchte ich Ihnen als Verantwortlicher auf Ihre Rezension antworten.

Ihre Rhetorik gegenüber Autor, seinem Text und den beiden männlichen Darstellern (ich freue mich, dass es ihnen die beiden Spielerinnen zumindest angetan zu haben scheinen) erinnert an die anmaßende und unerbittliche Sprache der Macht, mit der so mancher Dramaturg und/oder Kurator seit den späten 70ern und ff. Prozessen und Ergebnissen gegenüber tritt.

Ich dachte immer, das Wörtchen "ich" etc. kommt lediglich in Kritiken unbeholfener Schreiber vor. So Sie das nicht sind würde mich interessieren, warum Sie "nicht recht glauben" mögen, dass Dirk Lauckes Stück "außerhalb des Hauses sonderlich Karriere machen wird"? Und: Weshalb Sie glauben, dass diese Einschätzung wichtig ist für den Leser Ihrer Besprechung? Haben Sie das Stück denn gelesen? Dirk Lauckes Lektorin war bei der Premiere übrigens anwesend – darf ich davon ausgehen, dass Sie sich mit Ihr darüber unterhalten haben?

Ich unterstelle Ihnen einfach: Sie haben das Stück NICHT gelesen. Das müssen Sie als Rezensent natürlich nicht – solange sie sich darüber dann nicht auf die Art äußern, wie Sie es hier tun.
Darauf komme ich, weil Sie schreiben "Dirk Laucke schreibt mehr Figuren als Geschichte, Atmosphäre ist wichtiger als Story, der Wald verschwindet hinter den Bäumen."
Mit Verlaub, Herr Goldberg – das kann man so nicht stehen lassen! Der Autor ist zwar für seine Liebe zu Detail und Milieu und dessen "Studien" (wenn man so will) bekannt – aber verwechseln Sie das doch bitte nicht und verkaufen das dann dem Leser als Fakt!

Und weil bei Ihnen immer wieder die Bereitschaft aufblitzt, diese Arbeit abzukanzeln – darüber hinaus einem evtl. jungen Publikum unterstellen, die Inszenierung sei zu kompliziert für eben dieses bzw. die Zuschauer seien dafür nicht intelligent genug ("[...] Fähigkeit und der Bereitschaft eines jungen Publikums, solche ästhetischen Übersetzungen nochmals zu übersetzen in ihr wirkliches Leben. […] ist so womöglich der, den die 13-, 14-jährigen am besten verstehen werden.") UND weil Sie gleichzeitig die Existenz der VIER Szenen mit O-Tönen (Erwachsenen-Welt, bei uns als Superhelden visualisiert) unterschlagen, nenne ich Teile ihrer Besprechung anmaßend.
Dass Sie Dirk Lauckes Text als "Fabel" bezeichnen, finde ich zumindest unpassend, es geht aber logisch konform mit der Nichtnennung der "Nebenhandlung".

Ich bin mir sicher, dass wir in dieser Arbeit mehr als nur "einen Gestus" für die Spieler gefunden haben – Kevins Monolog am Ende des Stückes widerlegt Sie hier aufs Deutlichste, vor allem aufgrund der Interpretation durch Manuel Struffolino, von dem Sie explizit nur Gegenteiliges erwähnen.
Schade eigentlich.
Denn ich habe natürlich nichts persönlich gegen Sie – schließlich haben wir einander nie kennengelernt. Ich hätte allerdings nichts gegen ein Gespräch mit Ihnen gehabt, Sie wussten ja wie ich aussehe. Muss zwar nicht, kann aber.

Mit freundlichem Gruß
Vom Gefühl her: Fuck u!: Antwort des Kritikers
Sehr geehrter Herr Bauer,

es tut mir leid, dass ich Sie zu einem unnötig/unsouveränen Lamento veranlasst habe. Das ist allerdings schon alles, was mir leid tut.

In der Rhetorik, scheint mir, sind wir einander wert. Ich sehe in meiner Art mich zu artikulieren weniger die „unerbittliche und anmaßende Sprache der Macht“, ich sehe da eher die Sprache eines Menschen, der glaubt, er erhielte beträchtliche Teile seines unbeträchtlichen Honorars dafür, eine Meinung zu haben. Und ich werde bei Gelegenheit auch weiterhin das Personalpronomen der „unbeholfenen Schreiber“ gebrauchen – denn das „Ich“ erscheint mir, pardon, bescheidener als die Behauptung einer unpersönlichen, über den Wassern schwebenden Perspektive. Denn selbstverständlich sieht und denkt und schreibt immer nur ein subjektives Ich – wer sonst? Und weshalb denke ich, dass meine Ansicht über die Perspektive des Stückes, also über seine Qualität, von Interesse sein könnte? Weshalb glaube ich, und jeder, der je eine Theaterkritik schrieb, dass das von Interesse sein könnte? Vermutlich doch, weil Menschen sich gern an einer Meinung reiben – vorausgesetzt, es ist eine. Ich lese selbst den „Hamlet“ zum ich weiß nicht wievielten Male, wenn ich beruflich ins Theater gehe – umso mehr den Text einer Uraufführung. Frau Böhme-Pock wird Ihnen gern bestätigen, dass ich Wochen vor der Premiere um das Stück gebeten habe. Es gelesen zu haben erwies sich auch deshalb als Vorteil, weil ich sonst in Ihrer Inszenierung weniger verstanden, akustisch verstanden, hätte, als ich das eigentlich möchte im Theater. Und nein, ich habe nicht mit Dirk Lauckes Lektorin gesprochen. Warum sollte ich? Um die Meinung des Verlages über seinen Autor zu erfahren? Und warum sollte ich mit dem Regisseur sprechen? Um seine Meinung über seine Inszenierung zu erfahren? Sie mögen das arrogant nennen, ich nenne es den Versuch, eine innere Unabhängigkeit gegenüber den Produzenten zu wahren. Die Arroganz besteht womöglich in der Arbeitshaltung, ich erkenne die Intention oder eben nicht – was im letzteren Falle natürlich an beiden liegen kann. Ich suche den Kontakt mit den Produzenten nicht nur nicht, ich vermeide ihn aktiv, das ist eine Arbeitshaltung, die überheblich zu nennen Ihnen unbenommen ist.

Und gewiss sind nicht nur Teile meiner Kritik „anmaßend“: Sie ist es im Ganzen, so wie jede Theaterkritik im Grunde eine Anmaßung ist. Es ist natürlich anmaßend, etwa einen Arbeitstag (Stück lesen, Inszenierung sehen, Kritik schreiben) gegen sechs Wochen Proben zu stellen (für das Regieteam noch die ganze Vorbereitung hinzu), sechs Wochen in denen sich Schauspieler und Regisseur beinahe täglich Stunden mit Text und Figuren auseinandersetzen – und dann kommt eine(r), fläzt sich zwei, drei Stunden hin, schreibt dann zu Hause zwei, drei, vier Stunden. Das kann nur, im Ernst, anmaßend sein und die einzige Möglichkeit, diese Anmaßung abzuschaffen wäre, die Theaterkritik abzuschaffen.

Was noch? Ach ja: Ich unterstelle in der Tat manchen Jugendlichen mangelnde Intelligenz – der Sohn meiner Frau ist Lehrer in einer Regelschule, ich weiß, wovon ich spreche -, und ich werfe die, keineswegs anmaßende, Frage auf, inwieweit Jugendliche fähig und bereit sind, eine, übrigens sehr gelungene, visuelle Metapher zu decodieren – die Antwort wird unterschiedlich ausfallen, von Fall zu Fall. Ach ja: natürlich nenne ich das Stück nicht eine „Fabel“ im Sinne der literarischen Form, ich gebrauchte den Begriff selbstverständlich synonym für „erzählte Story“ – ich hätte gedacht, dass jemand wie Sie mit einem solchen terminus technicus des Theaters umgehen kann.

Ja, nach dem Premierenapplaus wusste ich wie Sie aussehen – aber selbst wenn ich das Bedürfnis gehabt hätte, mit dem Regisseur zu reden – die Premierenfeier ist dazu der ungeeignetste Zeitpunkt. Kann zwar, muss aber nicht. Auch an diesem Umstand erkennen Sie womöglich meine tatsächlich in den siebziger Jahren stattgefundene Sozialisation am und durch Theater.

Mit freundlichen Grüßen
Henryk Goldberg
Vom Gefühl her: Fuck u!: überflüssig
Kein Mensch muss sich mit der/m Lektor/in eines Stückes über das gesehene inszenierte Bühnenstück unterhalten! Wenn es funktioniert hat, ist es überflüssig, wenn nicht hilft da auch kein Gequatsche über den Theatertext zwischen Publkium und Verteiber! Ein guter Theatertext funktioniert beim Probieren. Woanders muss der auch nicht funktionieren. Weil er ja sonst möglicherweise auch schöne Literatur ist, aber eben anderes Genre... Natürlich bedeutet das von der Sache her, dass Lektorate von Bühnenverlagen per se eigentlich überflüssig sind, wenn es um Inszenierungen geht. -
Vom Gefühl her: Fuck u!, Altenburg: Like
Gäbe es hier noch die Bewertungsfunktion, ich würde für #6 so oft es geht auf Like klicken.
Vom Gefühl her: Fuck u!, Altenburg: maximal abkömmlich
Sehr geehrter Herr Bauer,

so eine ausführliche Antwort haben Sie gar nicht verdient. Sie haben doch alles sagen können mit Ihrer Inszenierung. Sie erarbeiten eine Inszenierung, und dazu gibt es eine Rezension. Nun kann sich der Zuschauer ein Bild machen von Werk und Kritik. Ihre beleidigte Reaktion über die Grenzen, die der Rezensent aufzeigt, ist maximal abkömmlich.

Übrigens kenne ich viele Texte, die es niemals zu weiteren Inszenierungen geschafft haben. Auch das sollte ein Rezensent schreiben dürfen. Oder was für ein Verständnis von offener Auseinandersetzung verschiedener Positionen und Pressefreiheit darf man bei Ihnen erwarten?
Vom Gefühl her: Fuck u!, Altenburg: Dialog
Ehrlich gesagt, ich finde es toll, dass Herr Bauer sich geäußert hat. Und ich finde es toll, dass Herr Goldberg geantwortet hat. Ansonsten trägt man diese Dinge immer mit sich selbst aus: In diesem Fall kommt ein Dialog zustande. Das sollte man nicht schelten!
Vom Gefühl her: Fuck u!, Altenburg: vom schwächsten ausgehen?
Die Ratlosigkeit ist nach Herrn Goldbergs Antwort nicht geringer geworden.

Inzwischen habe ich das Stück gesehen und konnte die Jugendlichen in freier Wildbahn im Theater beobachten.

Nebenbei: ich fand Schauspieler, Inszenierung und Bühnenbild sehr gut! Auch und gerade die zu lauten, "verschluckten, verhaspelten, verheizten" Stellen. Da war er doch, Herr Goldberg, der das Lernplateau bietende Naturalismus, den jeder Clubbesucher (und auch der tumbe 13jährige, der schon auf Klassenparties war) wiedererkannt hat: es ist zu laut, der andere ist betrunkenzugedrogteuphorisch und man bekommt mehr "Atmosphäre" mit als tatsächlichen Wortlaut. Das nur nebenbei.

Diesmal eine konkrete, ernstgemeinte Frage an Sie, Herr Goldberg: Sie legen soviel Wert in Ihrer Kritik darauf, dass das Stück für Jugendliche ab 13 Jahre empfohlen wird und diese in der Inszenierung überfordert werden. Bedeutet das für Sie, dass Kinder- und Jugendtheater dann immer von den Jugendlichen "mit mangelnder Intelligenz" ausgehen muss, die unterschiedlich "fähig und bereit sind", die Bilder zu dekodieren?

Puh. Hier schöpfe ich tatsächlich aus einem größeren Erfahrungsschatz als Sie: wäre das meine tägliche Arbeitsmoral, könnte ich an meinem Arbeitsplatz einpacken und nur noch Filme zeigen (die für die 13jährigen müssten dann aber mindestens FSK 16 haben, alles andere ist denen zu langweilig). Klar, Korrelationsdidaktik, die Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen. Aber da nicht auch stehen lassen!!!

Wie bereits erwähnt: wenn ich mich nach dem schwächsten und vor allem unwilligsten Glied (soooo schwach sind die nämlich gar nicht, wenn man ihnen hilft!) der SchülerInnenkette richte, dann geht nur noch youtube. Maximalst!

Und wer soll sich denn dann noch die Inszenierung angucken wollen, wenn alles häppchenweise vorgekaut und angedaut wurde?!
Vom Gefühl her: Fuck u!, Altenburg: Anstrengung wert
Das is doch mal ne Oberstudienrätin! - Thalheimer und Kleist nach Altenbug! - Die Frau kommt mit ihrer Klasse und traut den Kids was zu, wenn man ihnen nur genug zumutet! Das ist die Realität: für die schwächsten und unwilligsten Glieder in den Schüler*innenketteen geht maximalst youtube und die stärksten gehen maximalst einmal pro Jahr mit ihrer Klasse in ein Theater für Jugendliche und verstecken sich dabei ganz tief in ihren Jackets, um ja nicht dabei gesehen zu werden, wie sie sich das anzutun, öffentlich sichtbar unterfordert zu sein.
Kann mich erinnern, früher den Jahres-Alternativ-GRIPS-Besuch (Parkaue) mitgemacht zu haben. Es gab da schlimmeres im Gruppenzwang als nur Theater - Und ansonsten bin ich ganz allein vom Taschengeld in "Michael Kramer" gegangen. Da hab ich dann begriffen, was KUNST im Schauspiel ist. Kunst im Schauspiel ist, eine Geste unsterblich zu machen. Zu machen, dass man alles später vergessen kann: den Text, den Autor, die Namen der Darsteller, das Licht, die Musik sogar, welches Theater das war - die Geste und wofür sie steht, weil nichts anderes als diese mehr ging, nicht- Grashof hatte die surreale Geste des von der überkommenen Kunst der jüngeren Kunst aufgzwungenen Irrsinn gefunden. Indem er den "Marabu" wörtlich genommen hatte - Da steckte in dem winzigen Moment gleich auch der ganze vor der scheinbar ehernen Autorität der Alten Machthaber gespielte Irrsinn des Hamlet... Diese Geste wäre in einer Verfilmung des Stoffes undenkbar gewesen, weil Film die ganzen Motive, die zu ihr führten in vor- und nachbereitende Moves gebracht hätte. Move in Geste schockfrieren - DAS kann NUR Theater. In seinen größten Augenblicken. Und alles was Theater sonst noch kann, ist: solchen unlöschbaren gestischen Momenten zuarbeiten. In den letzten Jahren gab es solche Gesten. Medeas Ur-Schrei, von Thalheimer aus dem beinahe leeren Theater-Raum gezogen, wer war es, der ihm diese Kraft auslieh und die Kraft hatte hinter dem Schrei als Person zu verschwinden? - Konstanze Becker, Schauspielerin. Bierbichlers Aufstehen und nur angedeutet zittriges Schließen des Jacketknopfes vor dem unerreichbaren Knaben im Venedig oder irgendeiner x-beliebigen anderen Kultur-Stadt unterm Pesthauch des Todes, Eidinger mit dem Pingpongball-Auge, Eidinger mit dem in der Zeitlupe des verzweifelt selbst-bewussten Überfressens beinahe erstarrten Löffelhand vor dem Mund der gesicherten Macht; die von der diesseitigen Bühne in den jenseitigen Graben gleitenden Darsteller der Mittelerde-Inszenierung dieser Schweizer Regisseurin (deren Namen ich vergessen habe und suchen muss, wenn ich darüber ernsthaft schreiben wollte und nicht in einem täppischen Kommentar, ich hoffe sie kann mir das verzeihen, sollte sie ihn zufällig lesen...) Solche Momente zu schaffen, sind jede Anstrengung des Theaters wert.
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