Vortrag in Falten

von Andreas Klaeui

Zürich, 2. Mai 2008. Ein Rednerpult vor dem Vorhang, ein "Sponsor" begrüsst die Gäste, ein "Referent" tritt auf, der dann auch noch kurz seinen "Lieblingsschauspieler" anrufen wird: ein Schmankerl zum Abschied. Bald ist die Ära von Wolfgang Reiter am Neumarkt vorbei; da darf es schon mal eine "Einführung" sein.

Vorgetragen wird sie von Leopold von Verschuer, er hat sie gemeinsam mit Kathrin Röggla entwickelt. Verschuer war bis vor zwei Jahren im Neumarkt-Ensemble – es ist ja eigentlich ganz sympathisch, wie die Ära da zu Ende geht: Bevor Jarg Pataki Ende Mai Händl Klaus’ "Dunkel lockende Welt" herausbringen wird, verabschieden sich Ensemblemitglieder der letzten vier Jahre mit eigenen Projekten, vor einer Woche Christoph Rath mit seinem "Prometheus", jetzt Verschuer.

Dies hat etwas Programmatisches, in zweierlei Hinsicht: Projekte aus dem Ensemble waren Reiter von Anfang an ein Anliegen; aber es zeigt sich in diesen Projekten eben auch noch einmal in aller Deutlichkeit die Heterogenität dieses Ensembles, in dem Reiter Schauspieler aus ästhetisch ganz unterschiedlichen Richtungen zum künstlerischen Mehrwert zusammenbringen wollte. Er hat damit in seinen vier Neumarkt-Jahren nicht nur Glück gehabt.

Durch Erfolg zum Erfolg

Kathrin Röggla und Leopold von Verschuer wollen ihm jetzt jedenfalls einen Berater ins Haus schicken. Der hat ein vielversprechendes Referat im Gepäck: "Durch Erfolg zum Erfolg". Nur leider hat er abgesagt, wie der "Sponsor der heutigen Veranstaltung" (Franz Tröger) beschämt gestehen muss; also braucht es an seiner Statt eine Notlösung. Und das ist die Stunde Leopold von Verschuers. Der Mann ist ja die Quintessenz aller rednerischen Notlösungen – so unnachahmlich zerstreut, so zerknittert, so zerzaust, so rhetorisch hochfahrend und dann wieder unsicher in sich zusammenfallend!

So hebt der Ersatzredner also an zu seiner "Einführung"; wozu, ist nicht das Thema, immerhin stellt sich ziemlich schnell am Abend die kardinale Frage: "was ist ein erfolgreicher zuschauer?" So ein Intendantenwechsel ("ausgetauscht gegen zwei neue – halb so alte") lässt sich für ein treues Publikum ja nicht ohne weiteres wegstecken, da hat man sich nun vier Jahre lang auf Handschriften, Stimmen, Gesichter, Zumutungen eingestellt…

Ersatzredner Leopold von Verschuer kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, von den Rezeptionskonkurrenten im Zuschauerraum auf den Barock, sein Lieblingszeitalter der Verästelungen, Schlingen, Manierismen. Er vergleicht die Halbwertzeiten von Tänzern und Schauspielern, um auf den Kapitalismus zu kommen und die verlorenen Ängste der Neunziger – Atomkraft, Gentechnologie, Klimakatastrophe, "muss man sich das wie einen kollektiven verdauungsvorgang vorstellen, und irgendwann sind sie eben durch?" Er schweift aus, er verpasst sich als Redner unentwegt, und trifft doch ins Schwarze.

Müller und Foucault tönen aus fernen Tagen

Er macht Umwege, er referiert in Falten, sozusagen, dieser selbst so faltige Redner, und natürlich ist es ein schönes Zeichen, dass hinter dem Rednerpult der geschlossene Vorhang die ganze Zeit seine Theaterfalten wirft. Das Passwort unserer restaurativen "neuen Biedermeier"-Tage, diagnostizieren Verschuer/Röggla, heisst "Erfolg" – und wenn sie dann Heiner Müller, Foucault, Deleuze als unzeitgemässe Gewährsleute anrufen, dann, muss man schon sagen, tönt das wie aus weit entfernten Tagen und bekommt in unsern glatten, faltenlosen Zeiten tatsächlich den Anstrich eines Skandalons. "man will die leute ja abholen, wie man heute sagt, abholen, immer abholen das publikum, wo es auch steht. doch hat man es erstmal abgeholt, findet man meist den weg nicht zurück."

In einem seiner wunderbarsten Ersatzrednermomente will der Referent ein Landschaftsbild projizieren und wird dabei nur vom Overhead-Projektor geblendet. Der zeigt kein Bild, lediglich eine weisse Fläche. Statt dessen tönt eine Klanglandschaft aus seinem Handy. Eine fiktive Landschaft ist da also zu sehen, eine Phantasielandschaft. Mit andern Worten: Theater. In kostbaren Momenten wie diesem steht das Neumarkttheater denn auch gar nicht mehr im Zentrum dieses Abschiedsschmankerls. Da geht es um mehr: um das Theater tout court.  

 

publikumsberatung (eine schüchterne veranstaltung)
von Kathrin Röggla
Regie und Idee: Leopold von Verschuer, Co-Regie: Hedwig Huber.
Mit: Franz Tröger, Leopold von Verschuer, Hanns Zischler (Telefon)

www.theaterneumarkt.ch

Kommentare  
Zürcher Publikumsberatung: wenige können den Text so sprechen
"Es gibt vermutlich nur wenige Schauspieler in Deutschland, die diesen Text so sprechen können." hörte ich nach der Premiere im Neumarkttheater die Kritiker einer schweizerischen Qualitätszeitung sagen. Mhm. Einverstanden!
Kommentar schreiben