Presseschau vom 25. November 2016 – Die Berliner Zeitung denkt über die tieferen Ursachen der aktuellen Theaterdebatten nach
Weswegen wird so erbittert gestritten?
Weswegen wird so erbittert gestritten?
25. November 2016. Um das Theater wird gestritten wie lange nicht, schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (25.11.2016 - in der Frankfurter Rundschau ist der Text auch erschienen). Das sei doch im Grunde genommen "eine herrliche Sache". Aber ob es überhaupt um Theater gehe und nicht recht eigentlich doch "um Macht und letztlich auch um Geld"? Denn: "Was als förderungswürdige Kunst und Kultur gilt, ist in jeder Gesellschaft eine Machtfrage." Kulturpolitik entscheide sich immer an der Frage "wer oder was als repräsentativ gelten soll". Ob es das "angeblich Klassische oder das vermeintlich Neue ist, ins Schaufenster der Kultur stellt eine Gesellschaft immer das, worin sie sich wiedererkennt". Genau dieses sei aber "derzeit so ungeklärt wie lange nicht".
Volksbühne
Pilz fragt ob etwa die Volksbühne "unsere sozial und politisch zerrissene und deshalb zutiefst verunsicherte Gesellschaft" repräsentiere. Oder ob sie doch "zum affirmativen Schuppen verkommen" sei, "der fesche Miene zu schlechten Verhältnissen macht?" "Berühmt und zum Objekt der allgemeinen Selbstverständigung" sei die Volksbühne geworden, weil sei "Gegenerzählungen zu bieten" hatte. "Szenen der Gegenwart, die der hysterisierten Spaßgesellschaft quer im Magen liegen", Castorfs "Dostojewskij-Abende" oder die "melancholischen Arbeiten von Christoph Marthaler" etwa. Sie habe damit "der Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten, der keine glatten, runden Bilder liefert". Viele erkennten sich offenbar darin wieder. Sei die Volksbühne also "entgegen ihrem Selbstverständnis zum Mainstream geworden"?
Strukturen stimmen nicht mehr
Danach wird Pilz prinzipiell. Die Debatten sowol um die Volksbühne, als auch etwa die um die Münchner Kammerspiele erweckten den Eindruck, als gäbe es in der Kunst einen Fortschritt. Es gebe aber keine "Höherentwicklung" in der Kunst, nur eine "Geschichte der Ausdifferenzierung". Gruppen wie Rimini Protokoll oder She She Pop seien nicht moderner als Peter Stein – sie entwürfen "andere Gesellschaftsbilder".
Wenn es aber an dem wäre, dann stimmten die "eingespielten Theaterstrukturen nicht mehr". So hätten die Debatten eben immer insgeheim mit "Verteilungskämpfen" zu tun: "Warum geht so viel Geld an die stehenden Stadttheater und so wenig an Freie Gruppen? Sollte die Performancetradition nicht gleichermaßen gefördert werden? Fragen, die im Kern das Stadttheatersystem und die generellen kulturpolitischen Grundpfeiler berühren, vor allem deshalb wird so erbittert gestritten."
(jnm)
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