Boulevard of Broken Dreams

von Reinhard Kriechbaum

Wien, 26. November 2016. Ein unterdrückter Schrei geht durchs Publikum, wenn Amir seine Frau mit dem Gesicht gegen das Bücherbord knallt. Einmal Moslem, immer gewalttätig gegen Frauen? Quatsch. Amir, der erfolgreiche Rechtsanwalt, hat seine Karriere und sein Erfolgreich-Amerikaner-Sein durch eine hyper-perfekte Anpassung bis zur Selbstverleugnung durchgezogen.

Kaum einer geht mit dem Islam so streng ins Gericht wie er. Sogar seinen Namen hat er geändert, von Abdullah zu Kapoor. Er gilt jetzt als Inder und nicht als Pakistani. Klappt natürlich nicht, die Sache fliegt auf, die Teilhaberschaft am Rechtsanwaltsunternehmen kann Amir in den Kamin schreiben und seine Frau, eine Künstlerin, hat's mit dem Ausstellungskurator getrieben. Beim gepflegten Abendessen eskaliert die Situation.

Für "Geächtet" hat der US-amerikanische Autor Ayad Akhtar 2013 den Pulitzer-Preis bekommen, in der vergangenen Saison hat das Stück vom Schauspielhaus Hamburg aus Deutschland erobert und ist von "Theater heute" gleich zum besten ausländischen Stück gekürt worden. Nun also die österreichische Erstaufführung im Burgtheater. Am 10. Dezember kommt es im Grazer Schauspielhaus heraus (Regie Volker Hesse).

Geaechtet2 560 Georg Soulek uVor dem Dinner wird deeskaliert. Katharina Lorenz (Emily), Fabian Krüger (Amir), Nicholas Ofczarek (Isaac), Isabelle Redfern (Jory) © Georg Soulek

"Geächtet" passt eben so wunderbar in die Zeit. Das reiche New Yorker Intellektuellen-Milieu sichert eine gewisse boulevardeske Angenehmheit, auch wenn das Thema bedrohlich ernst ist. Ayad Akhtar hat einen ähnlichen Hintergrund wie seine Hauptfigur. Er weiß um die gläserne Decke, an die Ausländer nicht nur in den USA stoßen. Und er weiß um die Political correctness, gegen die er mit seinem sich zur Tragödie wendenden Konversationsstück gerade so weit verstößt, dass Amerikaner leicht irritiert sind. Hierzulande ist man von AfD und FPÖ heftiger indoktriniert und empfindet das Stück als harmloser, die Figuren als klischeehafter, als sie vermutlich beim US-Publikum ankommen.
Dem steuert im Burgtheater Regisseurin Tina Lanik gegen, indem sie den Figuren buntere Psychologiekostüme verpasst.

Am Rande der Hysterie

Fabian Krüger ist Amir, der für sein Anpässlertum damit bezahlt, dass er selbst im Wohnzimmer (Ikea-Design liegt nahe für die Ausstattung) noch ungelenk herumstakst. Selbstsicher sieht anders aus. Seine Frau Emily (Katharina Lorenz) kann nicht viel anfangen mit dem hölzernen Karrieristen, und er mit ihr noch weniger. Sie balanciert ob des Dauerfrusts in der Partnerschaft am Rande der Hysterie. Auf ihre knappen Kleidchen reagiert nur der Ausstellungskurator Isaac (Nicholas Ofczarek). Dem schlüpfrigen Kerl täte man eher keinen Gebrauchtwagen abkaufen. Kunst meinetwegen. Dessen Frau Jori (Isabell Redfern) ist nur Stichwortbringerin. In dieser Viererkonstellation also versucht die Regisseurin, Plauderton und Eskalation gleichermaßen plausibel zu machen. Das unterhält weder besonders, noch bedrückt es nachhaltig.

Geaechtet3 560 Georg Soulek uSperrige Fragen füllen den Raum: Christoph Radakovits, Fabian Krüger, Katharina Lorenz
© Georg Soulek

Der Autor scheuert und kratzt an den vermeintlichen Gewissheiten wohlmeinender Gutmenschen, aber das tut nicht wirklich weh. Die Regisseurin kann an dem wenig provokanten Kurs wenig ändern. Bedrückend höchstes die fünfte Person im Spiel: der junge Abe (Christoph Radakovits), Amirs Neffe. Er fragt am Ende, ob Mohammed wohl wirklich Prophet geworden wäre mit dem Ziel, sich anzupassen an eine Gesellschaft, von der Leute wie Amir nie das bekommen werden, was ihnen gerechterweise zustünde.

Der Fundamentalismus-anfällige junge Mann wird für sich die subjektiv richtige Folgerung ziehen, und da müssten wir alle objektiv laut aufschreien. Das wäre man, nach gut hundert Minuten, endlich beim Thema: Kann man Religion und kulturelle Verfasstheit einfach zugunsten der Assimilation ablegen oder verleugnen? Aber da ist der Text zu Ende und Amir positioniert sich hinter einem Bild so wie die Figur aus einem Gemälde von Velásquez, um das in der ersten Szene gestritten wurde: stolz, aber Sklave.

 

Geächtet
von Ayad Akhtar, aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Christ
Regie: Tina Lanik, Bühnenbild: Stefan Hageneier, Kostüme: Heidi Hackl, Licht: Peter Bandl, Musik: Rainer Jörissen, Dramaturgie: Florian Hirsch.
Mit: Fabian Krüger, Katharina Lorenz, Nicholas Ofczarek, Isabelle Redfern, Christoph Radakovits.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Immens viel Futter fürs Hirn" stecke im Text, bemerkt Michael Laages auf Deutschlandradio (27.11.2016) – und Tina Lanik betone das am Burgtheater auch noch. "Die gut sortierten Pointen im 'well made play' wirken in Laniks überaus angestrengter Ernsthaftigkeit wie Fremdkörper, lieber lässt sie das Ensemble unentwegt vor- und nachdenken. Speziell Fabian Krüger im Zentrum der Story verpasst sie mit Pausen und Gängen unerhört viel Grübelei". Spürbar werde, "wie gründlich die Regisseurin das Gedanken-Drama forciert, nicht das durchaus broadway-taugliche Kammerspiel. Dem Gleichgewicht des Stücks bekommt das nicht unbedingt – gefühlt dauert es beträchtlich länger als 100 Fernsehspiel-Minuten."

Dieser Abend sei "auf jeden Fall ein großes Erlebnis", bekennt Barbara Petsch in der Presse (28.6.2016). Der Text sei "perfekt einstudiert, sage niemand, das ergebe sich von selbst, Feydeau oder Goethe würden vor Neid erblassen wie hier die Konversation nur so flutscht und knallt." Im Hickhack des Stücks stecke allerdings "mehr als Rechthaberei. Aus Rezas 'Gott des Gemetzels' wird ein 'Gemetzel um Gott' als Stellvertreter für unüberbrückbare Differenzen." In gewisser Weise sei Akhtar "ehrgeiziger als Reza", indem er zudem "für sein Stück allerlei Intellektuellenfutter" erdacht habe.

Regisseurin Lanik halte sich "viel zu sklavisch an die Aufführungspraxis des gehobenen Konversationsstücks", meint Ronald Pohl im Standard (28.11.2016). Akhtars Drama, "bei der Tiefe seines Worts genommen", weise "weit zurück auf antike Tragödien wie Sophokles' 'Ajax'." Im Burgtheater habe man "einfach das Konversationsbesteck von Yasmina Reza geringfügig nachgeschärft." Das zeitige "hübsche kleine Studien über giftige Salonreptilien und ihre Charakterpanzer", unterm Strich sei das "dann aber doch zu wenig." Und Pohl gipfelt in der Frage: "Was hätte womöglich Andrea Breth aus diesem Stück gemacht?"

Tina Lanik folge den Anweisungen im Textbuch "kreuzbrav und beinahe punktgenau", schreibt Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1612.2016). Lanik füge dem Stück dann aber doch noch etwas hinzu, zum Beispiel werde die besondere Perfidie Isaacs gegenüber Amir "durch langes Geschwurbel über Nebensächlichkeiten hervorgehoben". Für Lhothzky bleibt "Geächtet" aber "so eindeutig für New York und dessen typisches Publikum geschrieben, dass es überall anders holpern muss". Dem "aufgeklärten Europäer" müsse es "wohl übel aufstoßen, wenn ein kaum gläubiger Jude einen überzeugt abtrünnigen Mohammedaner beschuldigt, er hege eine besondere Antipathie gegen 'die Religion' seiner 'Geburt', und dagegen niemand aufbegehrt", so Lhotzky. "Religion als Geburtsrecht? Als Geburtsballast? Dann drucken wir doch auch auf unser Geld den Spruch 'In God We Trust'. Außer im Vatikan ist das für uns wohl unvorstellbar."

 

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