Fliegen

von Teresa Präauer

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29. November 2016. Man soll Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, hieß es bei uns in der Schule im Mathematikunterricht. Dabei gilt für die literarische Arbeit vielleicht gerade das Gegenteil: gerade Äpfel soll man mit Birnen vergleichen, denn übers Vergleichen – Abweichung und Ähnlichkeit – erklären und erfinden wir uns die Welt.

Pfeffermühlen und Rosen

Nun ist Fußballspielen nicht dasselbe wie Theaterspielen und Theaterspielen ist nicht dasselbe wie Fliegen, und doch finden wir Aussagen über diese drei unterschiedlichen Tätigkeiten, die einen Vergleich nahelegen. So sagte jüngst der Intendant des Münchner Residenztheaters und Regisseur Martin Kušej in einem Interview mit der FAZ, gefragt nach seinem heutigen Verhältnis zum einstigen »Vorbild« Robert Wilson, er interessiere sich neuerdings mehr für Fußballtrainer als für Theaterregisseure. Im Wortlaut: »Wilson bedeutet mir nichts mehr, und die alten Vorbilder sind tot – heute interessiere ich mich beispielsweise eher für Fußballtrainer, die erfolgreich arbeiten.«

kolumne 2p praeauerIch kann es Martin Kušej nachempfinden. Auch mir bedeutet Wilson nichts mehr, vielleicht noch als Telefonorakel. Auch mir sind die alten Vorbilder reihenweise weggestorben. Und auch ich interessiere mich beispielsweise eher für Piloten und Flugbegleiterinnen, die erfolgreich arbeiten.
Besonders dann, wenn ich, so wie jetzt beim Kolumnenschreiben, in einem Flugzeug von Barcelona nach Wien sitze und auf Tomatensaft mit frischem Pfeffer warte. Die Flugbegleiterin enttäuscht mich nicht, sie hat eine Pfeffermühle in der Länge einer, sagen wir es kühn: langstieligen Rose für das Grab von Marlene Dietrich dabei. Aber man soll Pfeffermühlen nicht mit Rosen vergleichen und Tomatensaft nicht mit Gräbern, auch wenn in beiden Fällen das eine übers andere gestreut wird.

Sobald man sitzt, muss man aufs Klo

»Alle Toten fliegen hoch«, sagt aber wiederum Joachim Meyerhoff. Und »Theater spielen ist wie ein Flugsimulator«, sagte beispielsweise, auch nicht ungewagt, der »deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer«. Ein Satz dazu aus einem Artikel aus der »Wiener Zeitung« aus dem Jahr 2011 lautet wie folgt: »Werden schwierige Situationen oft genug durchgespielt, dann beherrschen sie die Menschen auch in der Realität. Man kann alle möglichen emotionalen, sozialen und zwischenmenschlichen Ereignisse simulieren – damit hat man für das Leben gelernt, so Spitzer.«

Fliegen ist wie Im-Theater-Sitzen, sage ich vice versa. Und führe vergleichend aus: Die Menschen, die dort arbeiten, sind stark geschminkt und tragen seltsame Kostüme, bei »Eurowings« von Barcelona nach Wien sind es beispielsweise türkisfarbene Phantasieuniformen von Jean-Paul Gaultier für den Friedrichstadtpalast. Man hat als Gast einen zugewiesenen Platz, sitzt in Sitzreihen für 1, 2 oder 14 Stunden in gleichbleibender Position und guckt geradeaus. Sobald man sitzt, muss man außerdem aufs Klo, darf aber nicht mehr aufstehen. Man ist während der gesamten Dauer des Stücks oder des Flugs relativ passiv, wird aber mitunter zur aktiven Teilnahme aufgefordert. Es herrscht eine Atmosphäre zwischen Aufregung und Langeweile, und man beneidet manchmal den Sitznachbarn, der sich auf dem iPad drei Folgen von »Californication« reinzieht. Manchmal aber vergeht die Zeit wie im Flug.

Pusten zum Schein

In der Informationsbroschüre von »Eurowings« steht geschrieben: »Let us entertain you!« Und weiter: »Jetzt auch mit Gratisinhalten.« Während das Theater spricht, brabbelt, kämpft, juchzt und vergleicht, Äpfel und Birnen, zutreffende und unzutreffende Begriffe, Belehrung und Unterhaltung, Politik und Performanz, Schauspiel und Castorf, Lilienthal und Kammerspiele, da hat sich die Fluggesellschaft, die die Kolumnistin nach Wien bringen wird, schon entschieden: Entertainment mit Beinfreiheit und Gratisinhalten. Nur zum Schein pustet die Stewardess in das rote Röhrchen, das an die gelbe Schutzweste zur Lebensrettung angebracht ist, und lacht dabei, denn der Notfall wird ausbleiben und das Entertainment wird ohne Unterbrechung weiterlaufen. »Man kann alle möglichen emotionalen, sozialen und zwischenmenschlichen Ereignisse simulieren – damit hat man für das Leben gelernt.«

Notausgänge, Sauerstoffmasken. »Für Ihre Sicherheit« lautet die Überschrift auf einem weiteren Infoblatt, gefüllt mit Piktogrammen. Und weiter: »Diese Karte NICHT von Bord nehmen.« Diese Karte ist kein Saalzettel, diese Karte ist kein Spielplan, diese Karte ist kein Programm.

Die Sterne rücken näher

»Mehr Beinfreiheit« steht auf die Sitzbezüge gestickt. Die erfolgreich arbeitende Kolumnistin macht sich breit und streckt die Beine aus, unter ihr ist der gelb leuchtende Schriftzug »Barcelona« klein geworden und verschwunden, die Pyrenäen sind überflogen, Marseille, Nizza und Genua liegen hinter ihr, Zürich liegt vor ihr, bald Innsbruck, München und Salzburg, bis sie den Flughafen Wien-Schwechat blinken sehen wird.

Manchmal, wenn man im Theater sitzt, kann man die Wolken von oben sehen. Und die Sterne rücken näher. Marlene winkt uns von dort entgegen, einen Strauß Pfeffermühlen in der eleganten Hand. Manche Vergleiche hinken wie ein angeschossener Torwart, anderen wachsen Flügel oder Wings.

 

Teresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine zu Theater, Kunst, Literatur, Mode und Pop. Ihre Bücher erscheinen im Wallstein Verlag, als Taschenbücher bei S. Fischer, und wurden vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Künstlerroman "Johnny und Jean", nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015. In ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" denkt sie über die Einzelteile nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.

 

Zuletzt gratulierte Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" Elfriede Jelinek zum 70. Geburtstag.

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