Maria Stuart - Hansgünther Heyme konzentriert sich in seiner Schiller-Inszenierung am Theater Ingolstadt auf die Mechanik des Textes
Wunde Seelen mit hoher Sprache
von Christian Muggenthaler
Ingolstadt, 3. Dezember 2016. Zwischen Schwarz und Weiß passt jede Menge Grau. Grau sind diese Staatsleute, die sich zwischen die weißgewandete englische Königin Elisabeth und deren schottisches Pendant Maria in schwarzem Habitus schieben, gräulich verfärben sich ihre Seelen im Umgang mit der Macht, Grausamkeit heißt ihre Staatsraison. Das Bunteste an Hansgünther Heymes Inszenierung von Friedrich Schillers "Maria Stuart" am Stadttheater Ingolstadt sind noch die Fahnen, die von der Decke hängen, die britische, schottische, walisische, aber auch die sind längst ausgefranst und verdreckt. Heyme, der neben der Regie auch gleich die Ausstattung besorgt hat, hat dem Schillerschen Trauerspiel nichts Dekoratives angehängt, bleibt stattdessen klassisch-puristisch-streng. Es gibt Text. Nur Text. Nichts als Text. Eine Befreiung.
Vertrauen auf die Sprachkunst
In seiner kaskadenhaften Komposition, in seiner Logik der galoppierenden Depression seiner Protagonisten und in seinem hohen Ton voll Not und Stolz, voll falschem und echtem Heroismus, schreitet Schillers Drama fort. Indem Heyme und ein glänzend aufgelegtes Ingolstädter Ensemble sich ganz auf Sprache und Inhalt konzentrieren, in jeden Satz hineinhorchen, dahinterliegende Seelenzustände hochtauchen lassen, stellen sie ein Stück auf die Bühne und in den Fokus der Betrachtung, das immer noch und erstrangig – ein Sprachkunstwerk ist.
Und zugleich: harter Stoff. Denn Schillers Menschen haben Seelen, die vollkommen wund sind, das wird hier offensichtlich. In "Maria Stuart" kommt das daher, dass nahezu das gesamte Personal längst den Schein mit dem Sein verwechselt hat und den Schmerz mit Gefühl. Richtig ist nichts, das Außen hat sich über das Innen gestülpt, willkommen bei Hof. Die Intrige, der Betrug, das Doppelspiel, das falsche Zeugnis: Kaum etwas stellt sich so dar, wie es wirklich ist, wahre Absichten werden durch rhetorisch brillante Ablenkungsmanöver verhüllt und sickern dann doch irgendwie durch, allenthalben lauert Verrat. Heymes Bühne ist denn auch geprägt von Plasikbahnen und Vorhängen, hinter denen beständig Verborgenes zu lauern droht; die Kostüme der Staatsmänner sind von einer gepflegten, uniformen, grauen Korrektheit, die nichts übers Individuum aussagt.
Fein geschnitzte Figurenprofile
Den einzigen Ausweg aus dieser Scheinwelt findet ausgerechnet die Titelfigur auf ihrem Weg in den Tod: indem sie sich auf sich selbst einlässt. Und auf ihren Glauben. Zuvor aber hat sie sich ebenfalls mit einspinnen lassen ins pausenlose Ringen um Betrug und Wahrheit. Die beiden Antagonistinnen, Teresa Trauth als Elisabeth und Yael Ehrenkönig als Maria, geben der Inszenierung Kante; in sich zerbrochen im Stützkorsett die eine, ein wildes Kind im Trauerkleid die andere, vereint in ihrem Ringen um Status und Majestät, in ihrem Kampf um Ausschließlichkeit und Prestige – inklusive hinterkünftigem Hackduett beim einzigen Aufeinandertreffen der beiden Königsadlerinnen.
In diesen Magnetismus von Anziehung und Abstoßung geraten reihenweise Männer, in Ingolstadt klar und scharf konturiert wie vom Bildhauer aus Bühnenholz geschnitzt. Im Zentrum der Regie ganz klar: Figurenarbeit. Enrico Spohn als seltsam verwaschen-androgyner Leicester, der sich wie Maria kleidet, Olaf Danner als gefühlsarmer Königinnenterminator Burleigh, Maik Rogge als Mortimer, der sich emotional selbst überholt: Hoch konzentriert und voll Dynamik gehen die Spieler an ein Werk, dessen Mechanik Heyme voll und ganz vertraut. Ein Vertrauen, das sich für das Publikum entsprechend lohnt und einen Schiller serviert ganz ohne Geschmacksverstärker.
Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie und Ausstattung: Hansgünther Heyme, Dramaturgie: Donald Berkenhoff.
Mit: Teresa Trauth, Yael Ehrenkönig, Renate Knollmann, Enrico Spohn, Pavel Fieber, Olaf Danner, Felix Steinhardt, Sascha Römisch, Maik Rogge, Ralf Lichtenberg, Matthias Zajgier, Statisterie.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause
www.theater.ingolstadt.de
Die Inszenierung sei radikal reduktionistisch, bemerkt Jesko Schulze-Reimpell vom Donaukurier (4.12.2016). Heyme sei viel zu klug, um sich in Schillers verbaler Schönheit zu verlieren. "Er nutzt die Macht der Sprache, er ist nicht ihr Opfer." Bei Heyme sei die Sprache alles, und sonst gebe es fast nichts. Atemberaubend genau lasse er seine Schauspieler sprechen, präzise lote er das komplexe Seelenleben der Figuren aus. Seine Inszenierung sei eine Sternstunde für die Schauspieler.
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