Fuchsjagd mit Kollateralschäden

von Alexander Kohlmann

Magdeburg, 9. Dezember 2016. Schon beim Betreten des Studios wähnt man sich in einer anderen Welt. Wie auf einem riesigen Dachboden ist fast die gesamte Fläche der kniehohen Bühne mit schweren Holzbohlen ausgelegt. An einigen Stellen klaffen Löcher, an anderen neigt sich der Boden bereits gefährlich nach unten. Irgendwo mittendrin gucken zwei Kinder-Beine unter einem dreckigen Tuch aus dem Abgrund hervor. Um dieses Holzpodest herum sitzen an allen vier Wänden die Zuschauer – und blicken in die Nebelschwaden, die über die Bühne wabern. Vor dem inneren Auge öffnet sich der Blick auf eine englische Landschaft im Morgengrauen, als alles noch friedlich ist, kurz bevor zur Fuchsjagd geblasen wird.

Foxfinder1 560 AndreasLander uAusstattung: Lea Dietrich © Andreas Lander 

Der bereits 2011 uraufgeführte Text "Foxfinder" von Dawn King spielt in einem imaginären, totalitären Großbritannien. In einem Staat, der sich komplett vom Rest der Welt abgeschottet hat und auf Autarkie setzt, auch im Hinblick auf seine Nahrungsversorgung. Die Arbeit der Bauern ist in dieser Dystopie deshalb nicht länger Privatsache, sondern wird streng kontrolliert: Wer seine vorgegebene Norm nicht erfüllt, dem drohen der Verlust des Hofes – und die Versklavung in einer Fabrik. Dort sterben die meisten schnell, im Schnitt nach nur drei Jahren. Der Fuchs ist in dieser Welt so etwas wie der Inbegriff des Bösen, der gemeinsame Feind, gegen den zu kämpfen, die kollektive Aufgabe der Gemeinschaft ist. Er zerstört in der Ideologie dieses Staates nicht nur die Felder, sondern er tötet auch Kinder und könnte mit seinen Krallen sogar ausgewachsene Menschen zu Fall bringen.

Blutige Striemen

Logisch, also, dass der junge Bauer Samuel Covey (Konradin Kunze) und seine etwas ältere Frau Judith (Iris Albrecht) vor Angst zittern, als sich ein Foxfinder bei ihnen ankündigt. Der junge William Bloor betritt in einem seltsamen gelben Overall das Holzpodest. Uncool sieht er aus – und gleichzeitig ziemlich gefährlich. Die Dielen knarren, als der fanatische Jüngling dem entgeisterten Paar seinen Verdacht darlegt. Es müsse einen Fuchs auf dem Bauernhof geben, anders seien die schlechten Zahlen gar nicht zu erklären. Das Paar läge weit hinter dem Soll, so sieht es der unheimliche Agent, der nächtens im Schummerlicht mit einem Gürtel seinen nackten Rücken bearbeitet. Bloor schlägt sich blutig, um ja nicht vom rechten Glauben abzufallen. Es gibt den Fuchs wirklich, es muss ihn geben.

Der Foxfinder ist nicht der Einzige, der nachts auf dem Bretterpodest wachliegt.  Aus einem Loch im Bühnenboden erhebt sich das tote Kind der Coveys, ein kleiner Junge (Javier Rademacher), der über die Bühne schlafwandelt und den Bauern Samuel um den Verstand bringt: War vielleicht doch der Fuchs schuld an dem schrecklichen Unfall? Wenn der Kinderschauspieler da im wehenden Nachtgewand an der Kante der Bretter steht, wähnt man sich ästhetisch in einer der epischen TV-Serien unserer Zeit. Das Bild erinnert an die Traum-Visionen in der BBC-Produktion Broadchurch, in der ein kleiner Junge von den Klippen eines Badeortes an der englischen Küste stürzt. Auch das totalitäre Städtchen Wayward Pines lässt grüßen, wenn der kindliche-naive Foxfinder mit verrutschter Nazi-Tolle und fanatischem Blick seine Umgebung zu tyrannisieren beginnt. Immer im Glauben an die richtige Sache, versteht sich.

Totalitäre Systeme brauchen den Fuchs

Man hat dieses Setting, diese Bilder und diese Konflikte bereits alle irgendwo einmal gesehen. Es ist die große Leistung der Inszenierung von Konradin Kunze, dass er die Geschichte trotzdem spannend erzählt. Mittels einer stimmungsvollen Lichtregie überträgt er die klaustrophobische Atmosphäre der Fabel ohne Brüche auf die Zuschauer. Und übertüncht so auch die inhaltlichen Schwächen des Textes.

Foxfinder3 560 AndreasLander uCornelius Gebert als fanatischer Jäger William Bloor © Andreas Lander

Denn die ausgestellte Totalitarismus-Kritik in Gestalt der Foxfinder wirkt dann doch arg antiquiert. Schon klar, totalitäre Systeme brauchen einen Fuchs – einen gemeinsamen Feind, der die Reihen schließt. In der DDR waren das die angeblich imperialistischen Nato-Staaten – in Nordkorea stehen die Füchse praktisch für die gesamte westliche Welt. Aber in Magdeburg? Die Inszenierung unternimmt nichts, um die Aktualität des Textes zu begründen. Aber sie erzählt sehr gekonnt ein Kammerspiel zwischen vier Personen, das einem vor allem durch die Schauspieler packt, die in einem nur noch selten zu findenden, filmischen Realismus absolut glaubwürdig ihre Figuren entwickeln.

Wenn der von Kindestagen an indoktrinierte Foxfinder süffisant den Bauern die Worte im Mund umdreht – und gleichzeitig immer stärkere Zweifel an der Existenz des Fuchses entwickelt – ist diese beginnende Erkenntnis der eigenen Lebenslüge berührend. Ebenso wie der Zorn des rasenden Samuel, für den der Fuchs zur Projektionsfläche seiner unverarbeiteten Trauer über den Verlust des eigenen Kindes geworden ist. Am Ende reißt er überall die Bretter aus dem Bühnenboden, dass es nur so splittert. Füchse wie den Zorn auf sich selbst gibt es nicht nur in diesem post-demokratischen England.

 

Foxfinder – ein Jägerstück auf dem Lande
von Dawn King
Deutsch von Anne Rabe
Regie: Konradin Kunze, Ausstattung: Lea Dietrich, Dramaturgie: Maiko Miske.
Mit: Iris Albrecht, Cornelius Gebert, Konradin Kunze, Susi Wirth.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theater-magdeburg.de

 

Kritikenrundschau

Die "streckenweise wenig handlungstreibenden Dialoge" hätten die "kafkaeske Szenerie" des Stücks "trotz gewaltvolle Ausbrüche" nicht auf die Zuschauer übertragen, urteilt Rolf-Dietmar Schmidt in der Volksstimme Magdeburg (12.12.2016). Der Abend bleibe "seltsam distanziert". Das sei ein Mangel des Stücks, nicht der Regie, der Schauspieler "und schon gar nicht der Ausstattung" von Lea Dietrich, die eine "so vertraute wie bedrohliche" Stimmung schaffe. Trotzdem gehe der Zuschauer insgesamt "nachdenklich mit vielen offenen Fragen aus dem Stück".

 

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