Wie soll der Mensch handeln?

von Lena Schneider

Berlin, 4. Mai 2008. "Auf der Suche nach Strippenziehern" war die Diskussionsrunde im Haus der Berliner Festspiele untertitelt. Während sich im Foyer die Eröffnung des Stückemarkts anbahnte, versammelte sich in der schmucken spiegelBAR, eine bunte Runde aus Redewilligen, um eine medienkompatible Stunde lang zu diskutieren, wie – oder ob – Politik und Theater zusammengehen. Wenn der Untertitel der Versuch war, das so große wie griffige wie inhaltlich schwammige Thema "Staat Macht Moral" in eine konkretere Richtung zu lenken, dann schlug der weitgehend fehl; von allem möglichen war die Rede, nur von Strippenziehern kaum. "Auf der Suche nach einem Thema" hätte die Stunde auch heißen können.

Ort der bürgerlichen Krise

Die von Tina Mendelssohn moderierte Runde auf dem Podium zeigte den eigentlich löblichen Versuch, Positionen von Theatermachern und -schreibern (Jan Bosse und John von Düffel) und Politikern (Heiner Geißler und Jürgen Trittin) im Gespräch zusammenzuführen.

Warum man diesen Positionen den "Gewissenspapst" Rainer Erlinger zur Seite stellte, der seit einigen Jahren moralische Alltagszwänge im Magazin der Süddeutschen beantwortet, wurde nicht klar. Es hätte den versammelten Podiumsherren gut getan, statt des journalistischen Beobachters einen weiteren Vertreter – oder, wie von einer Besucherin angemerkt – eine weitere Vertreterin des Theaterbetriebs dazu zu bitten. Denn da die geladenen Inszenierungen als Aufhänger für die Debatte genommen wurden, wäre es erhellend gewesen, mehr als eine Künstlerposition zu hören. Den mit einer anderen Art des politischen Theaters vertrauten Armin Petras etwa, oder Jürgen Gosch. 

Dennoch waren die ob der Größe des Themenkreises nur angetippen Fragen wichtige. "Wäre Theater als moralische Anstalt eine Möglichkeit?" warf Tina Mendelssohn gleich zu Anfang in die Runde. Die Positionen kristallisierten sich rasch heraus. Jan Bosse verteidigte das Theater als Ort des Geschichtenerzählens, als Spiegel für die Dilemmata der Gesellschaft. Hamlets Thema als das allen Theaters: Wie soll der Mensch handeln? Antworten könne es weder geben, noch wolle es das. Vielmehr sei Theater von je her ein Ort der bürgerlichen Krise, des Chaos, nicht der reinigenden Lösungsfindung. Ähnlich argumentierte John von Düffel, Autor und Dramaturg am Thalia Theater: Das "Die Reduktion auf das Wesentliche" sei die Stärke des Theaters, weil es im Gegensatz zu den Medien doch "immer ein bisschen zu spät" komme.

Irritationspotenzial

Im Gegensatz zu Attac-Mitglied und CDU-Mann Heiner Geißler sehen Bosse und von Düffel genauso wie der Grüne Trittin das Potenzial des Theaters in der Irritation, der Aufmischung des Bekannten – nicht im Aufklärerischen. Für Geißler steht Theater in der Tradition Schillers, soll "durch Sinne und Empfindungen zur Vernunft hinführen". Wenn Theater sich schon aufs Geschichtenerzählen verlege, dann doch wenigstens auf die wichtigen: Auf "das Problem des zum ökonomischen Faktor degradierten Menschen" etwa. Woraufhin Bosse auf das bürgerliche Drama seit Ibsen verwies: Hier gehe es doch genau darum. Und versicherte, dass er nicht glaube, Zuschauer in bessere Menschen verwandeln zu können.

Und die Politik? Heiner Geißler wünschte sich mehr, konkretere Bezugnahme dazu im "Spaßtheater" der deutschen Bühnen. John von Düffel und Jürgen Trittin gaben eine treffende, sehr humorige Kurzanalyse der Theatralisierung von Politik am Beispiel von Nicolas Sarcozy. Dann sagte Jan Bosse, der politische Vorgang sei doch längst da auf den Bühnen: in der Anregung der Phantasie. Aber da war die Stunde schon vorbei. Schade, gerade hatte sich ein Thema gefunden.


Staat Macht Moral. Auf der Suche nach Strippenziehern
Podiumsdiskussion I, Theatertreffen 2008

Mit: Jan Bosse, Jürgen Trittin, Rainer Erlinger, Heiner Geißler. Moderation: Tina Mendelsohn

www.berlinerfestspiele.de

 

Hier unser Bericht von der Podiumsdiskussion II beim Theatertreffen 2008: Second Life im Live-Format. Theater auf der Suche nach neuen Orten.

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