Blutgrätsche für den Schönheitswahn

von Dieter Stoll

Nürnberg, 16. Dezember 2016. Eigentlich könnte die resolute ungarische Gräfin Erzsébet Báthory, nach dem frühen Tod des Ehemannes reich an Geld und Macht und Selbstverwirklichungstrieb, trotz ihres Geburtsjahrs 1560 ein früher Modellfall von Emanzipation sein. Oder so eine Art "Lustige Witwe". Doch beides war ihr nicht richtig vergönnt. Historisch verbürgt ist ihre Lebenszeit von immerhin 54 Jahren, von denen die Nah- und Nachwelt vorrangig Gerüchte um frivole Nachtgedanken plus kosmetische Eigenarten mit Todesfolge bewahrte.

Der lange Weg vom Dorfklatsch zur Gewissheits-Behauptung, der die gereifte Dame auf der Suche nach knitterfreier Zukunft zur angeblichen Wellness-Vampirin machte, mag aktuelle Facebook-Philosophen erstaunen. Jedenfalls landete die am Ende hinter Kerkermauern verhungerte Original-Gräfin dank eines irischen Horrorpoeten knapp vor Bram Stokers "Dracula" in der Literatur, wo sie nach dreihundertjähriger Schamfrist erstmals auch lesbische Neigungen zeigte.

Showbunt in die düstere Romantik

Wenn die fleißige Hamburger Gegenwarts-Autorin Nino Haratischwili, die mit 33 Jahren bereits 20 Theatertexte geschrieben und elf Förderpreise kassiert hat, anno 2016 diese Protagonistin im Kreis williger Zofen und Liebhaber mit weitmaschig gesponnener Dialog-Poesie samt lyrischer Krönchen in eine undefinierbare Zeitlosigkeit lenkt, geht es natürlich nicht um Geschichtsunterricht. Sie gibt ihrem Melodram im Mythos-Rahmen den überrumpelnd schlichten Titel "Schönheit" und treibt es bunt mit der eingeschwärzten Nachklapp-Romantik.

Schoenheit02 560 c MarionBuehrle UIm Spiegelkabinett der Träume: Nicola Lembach als Gräfin in "Schönheit" in Salon-Laune
© Marion Bührle

Regisseurin Petra Luisa Meyer mag, wenn schon alles zur Auswahl bereit liegt, sowieso lieber die auftrumpfende Groteske als die unterschwellige Emanzipations-Elegie. Aber was sein muss, muss sein. Also inszeniert sie knatterkomische Showeinlagen und textilbefreite Aha-Effekte auch, um den unausweichlichen Abstürzen ins Jammertal genug Fallhöhe zu verschaffen. Wie es der Widersacher der Gräfin (Stefan Lorch mit stets samtiger Infamie), der ihr auf stolpernden Freiersfüßen zuvor "mannesgleiche Klugheit" bescheinigte, sarkastisch sagt: "Im Sturz lernt so mancher das Fliegen".

Für Luftnummern ist der Text jedenfalls geeignet. Stefan Brandtmayrs Szenenbau nutzt die flache Kammerspiele-Bühne optimal zum Spiegelkabinett, das wie ein Treibhaus die Träume wuchern lässt. Ein gewaltiges Sofa mit angeschlossener Hausbar und Deodorant-Station, dahinter die kolossale Glasfassade, an deren Scheiben von außen jede Sehnsucht ihre Nase platt drücken darf.

Folgenreicher Liebesentzug 

Am größten Problem von Nino Haratischwilis Nacherzählung kann die Aufführung auch mit den Belebungs-Aktionen aus gehäckselten Blackout-Miniaturen wenig ändern: Weil die Autorin die blutleere Einsamkeit der geschäftstüchtigen Gräfin als Motiv späterer Transfusions-Verfehlungen zum überlangen Vorspann ausbaut, bleibt für die Magie des Schauermärchens nur Restlaufzeit. Man sieht die ausgekostete Wende von der sehr üblen Salon-Laune zur äußerst akrobatischen Liebesraserei (Frederik Bott spielt cool den jugendlichen Lover, der nicht nur Florence Foster-Jenkins' Koloraturen übertrifft, sondern jede Party auf allen Vieren mit Hundegebell nach Ansage beleben kann), die Eifersucht von zwei Zofen (mit bitterlichen Blicken: Lilly Gropper, Bettina Langehein) und das Schicksal beim unqualifizierten Zuschlagen.

Schoenheit03 560 c MarionBuehrle UBald im liebesverzweifelten Jammertal: Frederik Bott und Nicola Lembach in "Schönheit" 
© Marion Bührle

Weil der herzensgute Jüngling die an Adel und Alter so deutlich höher einzustufende Erzsébet urplötzlich verlässt (er meint es nicht böse, oh nein, er ist einfach viel zu anständig und wird das am Ende persönlich mitteilen), kommt die von Gram und Liebesentzug gebeugte Dame überhaupt erst auf die kriminelle Idee mit der abzapfbaren Kosmetik-Kur. Wenn diese Blutgrätsche endlich ins unterhaltsam leerlaufende Charaden-Potpourri fährt, sind bereits zwei Drittel der Vorstellung gepflegt verplaudert. Also schnell noch eine kleine Runde Rohstoffsicherung durch Jungfrauen-Jagd, Beschaffungskriminalität hat ja so viele Varianten.

Schauspielerisches Kraftfeld

Ein mittleres Wunder in dieser Konfetti-Explosion ist Nicola Lembach in der Hauptrolle. Sie entwickelt ihre Gräfin von der kaum noch salonfähigen Nullbock-Diva über die vitale Spätlese-Geliebte zum wandelnden Wutanfall hinein ins nicht mehr beherrschbare Hysterienspiel des Schönheitswahns. Welten stoßen da aufeinander, und wo die Dialoge nicht genug Energie liefern, bessert die Schauspielerin mit ihrem zeichnerischen Talent am großen Spiegel nach, liefert Momente skizzierter Verinnerlichung. Ob diese Figur mit ihrem ramponierten Selbstbewusstsein im heutigen Blick von Autorin und Regisseurin ein Opfer der ewig widerstandsfähigen Verhältnisse ist oder nur ein Betriebsunfall der Kolportage, kann sie leider auch nicht beantworten. Den langen Beifall hat sich Nicola Lembach allemal verdient.

Schönheit
von Nino Haratischwili
Regie: Petra Luisa Meyer, Bühne: Stefan Brandtmayr, Kostüme: Cornelia Kraske, Licht: Günther Schweikart, Dramaturgie: Horst Busch.
Mit: Nicola Lembach, Lilly Gropper, Bettina Langehein, Frederik Bott, Stefan Lorch.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatstheater.nuernberg.de

 

Kritikenrundschau

Wolf Ebersberger schreibt in der Nürnberger Zeitung (19.12.2016): Nicola Lembach zeige mutig, wie eine Frau in den besten Jahren am einsetzenden Alter leide, am Witwendasein, an der Einsamkeit in den Weiten der ungarischen Provinz. In "atemlosen zwei Stunden" entwickele das Stück, immer wieder "einerseits sehr poetisch, dann mit Popmusik und grellen Momenten aufgepumpt, eine Liebesgeschichte", die den eher nebensächlichen Horror "romantisch grundiert". Eine "spannende Moritat, zeitlos erzählt und so entfesselt inszeniert, dass man die Zügel, die manchmal fehlen,
kaum vermisst".

In den Nürnberger Nachrichten schreibt Katharina Erlenwein (19.12.2016): Nicola Lembach spiele alle Farben zwischen "jugendlich-verliebter Regentin" bis zur "verhärmten, blutgierigen Despotin im Jugendwahn" mit "nie nachlassender Energie" aus und lasse den Zuschauer niemals kalt. Regisseurin Meyer setze auf "viel nackte Haut und Party-Spektakel", um "theatralische Düsternis" zu umgehen. Die "schrillen Momente" bewahrten die Inszenierung vor zu viel "Vampir-Düsternis", sie wirken aber auch "wie Feigheit vor dem Feind". "Sehnsucht und Angst vor dem Verlassensein, Liebe und vor allem Selbst- und Enttäuschung" würde da schnell "weggewischt". Dennoch sei "Schönheit" sehenswert "durch seine Schauspieler", die alles gäben.

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