Ein Rätsel, das ein Rätsel spielt

von Andreas Wicke

Kassel, 16. Dezember 2016. Wie spielt man eine Frau, die sich selbst nicht versteht – und die so viele Facetten wie Kleider und Schuhe hat? Die von den Männern vergöttert wird und selbst erstaunt ist, dass sie erst elf Liebhaber hatte. Die kein Geld besitzt, aber von einem Frühstück bei Tiffany träumt. Ein Glamourgirl mit Depressionen, eine "bizarre Romantikerin", die vom "bösen Rot" befallen wird. Holly Golightly gehört sicher zu den Ikonen der Moderne. Und dennoch, wer auf den Kuss im Regen wartet, der am Schluss von Blake Edwards' berühmter Verfilmung das Happy End besiegelt, der wird von der Bühnenfassung Richard Greenbergs enttäuscht.

Alles Capote

Hier wird nicht der Film mit Audrey Hepburn nachgespielt, sondern der Roman Truman Capotes radikalisiert. Dieser Bezug auf den literarischen Text wird überdeutlich, wenn die männlichen Darsteller am Anfang à la Capote bebrillt, gescheitelt und gekleidet auf der Vorderbühne stehen und die Erzählung in Gang bringen, indem sie aus dem Roman lesen und zitieren. Und wer je ein Interview mit Truman Capote gehört hat, weiß auch, warum sie dabei alle mit etwas erhöhter Stimme sprechen. Ach, und wenn von männlichen Darstellern die Rede ist, könnte man auch gleich sagen: alle. Alle außer Holly Golightly, in deren Welt es nur Männer gibt, selbst die Frauen werden von Männern gespielt, traditionelle Geschlechtergrenzen geraten hier ins Wanken, wenn es sie überhaupt gibt. Als "Hommage ans Anderssein" wird "Frühstück bei Tiffany" im Programmheft tituliert.

Tiffany 1 560 N Klinger u"Frühstück bei Tiffany" in Kassel. Michaela Klamminger vorne und von links: Artur Spannagel, Jürgen Wink, Lukas Umlauft, Christian Ehrich, Enrique Keil und Bernd Hölscher © N. Klinger

Die Bühne in der Kasseler Inszenierung von Anna Bergmann ist zweigeteilt, im vorderen Teil trifft man sich in einer Bar mit Ledersesseln und Röhrenradio und mutmaßt, was aus Holly Golightly geworden ist, der Zuschauerraum wird über eine große Discokugel ins Geschehen einbezogen.

Erinnerung, Zitat und Projektion

Die wach gerufenen Erinnerungen spielen dann auf der Drehbühne dahinter, wo Holly zunächst auf den Attributen ihrer ganz eigenen Welt in die Arena hereingefahren wird: auf einem überlebensgroßen phallischen Lippenstift, auf dem sie reitet, einer monströsen Handtasche oder einem riesigen Schuh. Aber neben der Party-Sex-Glamour-Holly gibt es eben auch jene enttäuschte und traurige junge Frau, die so heimat- und identitätslos ist, dass sie selbst die Namensgebung ihres Katers auf bessere Zeiten vertagt.

Zwar ist Holly eine Projektionsfläche männlicher Phantasien, aber Michaela Klamminger, die in diesem Stück einzige Frau im Kasseler Ensemble, findet einen großartigen und unbedingt überzeugenden Weg, diese Figur in gänzlicher Gebrochenheit zu zeigen. Sie legt die Rolle ohne Manierismen und Eitelkeiten an und mimt kein überdreht-naives Partygirl, sondern stattdessen eine Holly, die ständig neue Rollen kreiert und inszeniert. Klamminger spielt eine Holly, die eine Holly spielt, sie ist eine Projektionsfläche, die selbst projiziert. Auch wenn sie zwischendurch wie Audrey Hepburn aussieht, ist das ein Zitat. Dadurch wirkt diese Frau noch mysteriöser, aber auch ausgelieferter, wenn sie am Schluss zum Opfer jener männlichen Begierden wird, die diese Kunstfigur erst hervorgebracht haben. Was im Film bisweilen glattgebügelt und sentimentalisiert wird, zeigt Greenbergs Theateradaption des Romans in schonungsloser Deutlichkeit. Holly läuft im blutigen Krankenhaus-Nachthemd, aber gleichzeitig mit Leopardenmantel und grotesk verschmiertem Lippenstift über die Bühne und sucht am Ende ihren Kater.

 Tiffany 2 560 N Klinger uMarius Bistritzky (The Cat), Michaela Klamminger (Holly Golightly), Enrique Keil (Truman Capote als O. J. Berman) und Ensemble  © N. Klinger

Den Soundtrack zu diesem facettenreichen Leben der Holly Golightly singen die Männer, die sie umgeben, dabei beweist das Ensemble fulminant gute musikalische respektive vokale Fähigkeiten. Das Sounddesign von Heiko Schnurpel bricht die loungige Atmosphäre aber immer wieder auf. So reichen ein paar zitierende Klänge aus dem Hause Bach-Gounod, um zu zeigen, dass Holly durchaus holy sein kann. Und auch in der Musik fehlt die Referenz an den Film nicht, "Moon River" klingt gerade dann an, als Holly roboterartig über die Bühne fegt und dabei kollabiert.

Männerfläche, Kater und Lippenstift

Die Männer in dieser Produktion sind eine eingeschworene Truppe, eindeutige Rollenzuschreibungen gibt es nur, wenn sich szenenweise einzelne Figuren – Joe Bell, Rusty Trawler, Doc Golightly u. a. – herauskristallisieren, die Holly begehren, benutzen oder beraten. Lediglich Christian Ehrich scheint eine feste Rolle zu spielen, doch auch er schwankt zwischen dem Schriftsteller im Roman und jenem Truman Capote, der diesen Schriftsteller erfunden hat. Er moderiert durch die Handlung, verliebt sich aber ebenfalls in Holly und versieht die Produktion mit einer wunderbaren Melancholie.

Die Inszenierung Anna Bergmanns ist niemals eindeutig; Rollen, Räume und Zeitebenen verschwimmen, szenische Momente werden immer wieder durch narrative Verfahren durchbrochen, musikalische Welten durch Zitate erweitert. Innerhalb dieses vielschichtigen Verschwimmens zeigt sich jedoch eine äußerst präzise Regie, die Figuren exakt choreographiert und Motive konsequent durchhält. So wie sich der große und der kleine Lippenstift leitmotivisch lesen lassen, macht Marius Bistritzky auch aus dem namenlosen Kater mit spielerischer Leichtigkeit auf der Bühne und im Zuschauerraum ein omnipräsentes Motiv, das nicht selten zum Spiegel Holly Golightlys wird.

 

Frühstück bei Tiffany
von Truman Capote, Bühnenfassung von Richard Greenberg, Übersetzung von Ulrike Zemme
Regie: Anna Bergmann, Dramaturgie: Thomaspeter Goergen, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Claudia Gonzáles Espíndola, Sounddesign: Heiko Schnurpel, Licht: Brigitta Hüttmann, Choreografie: Krystyna Obermaier.
Mit: Michaela Klamminger, Hagen Bähr, Marius Bistritzky, Christian Ehrich, Bernd Hölscher, Enrique Keil, Artur Spannagel, Lukas Umlauft, Jürgen Wink.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-kassel.de

 

Kritikenrundschau

Anna Bergmann baue "einen Bilderbogen, der die Süßlichkeit des berühmten Films neutralisieren will, durch die Mechanik einer Versuchsanordnung aber insgesamt recht abstrakt bleibt", befindet Bettina Fraschke in der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (19.12.2016). "Was da gerade inhaltlich stattfindet und welche Typen daran beteiligt sind, ist nicht jederzeit leicht nachzuvollziehen." Michaela Klamminger jedoch überzeuge "als ebenso elegante wie tief unglückliche Holly".

Kommentare  
Frühstück bei Tiffany, Kassel: anders gesehen
Die Frage, die sich nach dieser Kritik stellt ist, ob Andreas Wicke in einer anderen Aufführung als das restliche Publikum gesessen hat. Wichtig Inszenierungseinfälle, wie den Einsatz von 3D-Brillen schlichtweg nicht zu erwähnen (...) aus meiner Sicht fahrlässig. Die Brillen kreieren eine Atmosphäre, welche hier einfach verschwiegen wird. (...) Die Hauptdarstellerin in diesen Umfang zu loben, scheint schlicht weg falsch, wenn sie von ihren Nebendarstellern so weit ins Abseits gespielt wird, das die "Projektionen" Holly Golightly nur blass sind. Hinzukommt (...) jemand wie Hagen Bähr, der eine klar ausdiffenierte Rolle als Mac spielt unerwähnt zu lassen. DABEI brilliert er nicht nur darstlellerisch sondern vorallem gesanglich! (Dies ist auch im Schlussabluss mehr als deutlich geworden) Da wären wir beim letzten Punkt das Sounddesign von Heiko Schnurpel auf das zu reduzieren, was sie angeben, ist schlichtweg zu wenig und wird der Arbeit, die augenscheinlich geleistet wurde nicht gerecht. Beim Thema Regie und Marius Bistritzky stimme ich Ihnen zu, das sind dann aber auch die einzigen Punkte...
Frühstück bei Tiffany, Kassel: Audick plus Kitsch
Oh das erinnert aber schon an die Bühnen von Janina Audick - nur hier plus Kitsch...
Frühstück bei Tiffany, Kassel: Claqueurtum in der Kritik?
Ein Theaterabend, bei dem man sich furchtbar langweilt, weil einem so gut wie nichts erzählt wird, ist ärgerlich, zumal wenn es sich um ein Stück(?) wie „Frühstück bei Tiffany“ handelt. Es ist ärgerlich, wenn die Schauspieler blass und zahnlos bleiben und selbst nicht recht zu wissen scheinen, was sie da treiben (sollen), zudem schlecht sprechen, dass man sie trotz Verstärkung kaum versteht (was mit dem ersten Punkt zusammenhängen mag). Es ist ärgerlich, wenn das Bühnenbild weder sinnlich ist noch Sinn macht, weder Atmosphäre noch Geheimnis hat.
Etwas ärgerlicher ist es, wenn das Publikum mit billigen Gimicks wie „Herzchenbrillen“ (von wegen 3 D), einer über dem Zuschauerraum dauerdrehenden Spiegelkugel und einem Ball, der ins Publikum geworfen wird, über die inszenatorischen Löcher hinweggetäuscht werden soll, als sei es so blöd, das nicht zu merken und bereit, sich von solchen Mittelchen vernebeln zu lassen. Zwei von Hagen Bähr beachtlich gesungene Songs reichen nicht aus für einen ganzen Theaterabend, der wohl sexy, glamourös, gar erotisch sein will, mit äußerlichem Tamtam und verklemmten Arrangements jedoch das Gegenteil erreicht. Doch mein Gott, eine misslungene Inszenierung ist keine Katastrophe. Und wer weiß, vielleicht hat sich die Regisseurin, die auch an großen Häusern arbeitet, gedacht, was soll´s, da guckt eh keiner so genau hin, die relevante Kritik kommt sowieso nicht nach Kassel (es sei denn ein hysterisch gefeierter Shootingstar wie Ersan Montag verirrt sich hierher).
Womit wir beim eigentlichen Ärgernis wären: der Lobhudelei, wie der von Herrn Wicke, statt bitter nötiger echter Kritik. Grundlage einer Kritik sollte die Aufführung auf der Bühne sein und nicht etwa ein aufgeblasener Programmhefttext, der über Welten und Bedeutungen schwadroniert, die im Zubeschauenden nicht wiederzufinden sind. Die in der sogenannten Nachtkritik beschriebene Vielschichtigkeit findet nicht statt, sie ist vielleicht beabsichtigt, aber keineswegs in Szene gesetzt. Da sollte Andreas Wicke zu differenzieren wissen. Er hat nun definitiv das Claqueurtum in die sogenannte Kritik verlängert. Claqueure gibt es wahrscheinlich, solange es Theater gibt, und sie können mit ihren Jauchzern tatsächlich die Stimmung aus dem Keller holen. Als Zuschauer fühlt man sich veräppelt und nicht ernst genommen!
Frühstück bei Tiffany, Kassel: der Dramaturg spricht
Als Verfasser des aufgeblasenen Programmheftes möchte ich zu #3 doch ein paar Worte verlieren. Ich finde interessant, dass Andreas Wicke unterstellt wird, Grundlage seiner Kritik sei das Programmheft; ein Hauptthema jenes Textes ist nun die Homosexualität und Hollys Credo, jeder Mensch solle lieben, was er will, und lieber natürlich als "normal". Daran orientiert sich die Kritik aber gar nicht, was ja völlig legitim ist, und konzentriert sich auf Holly Golightly als Projektionsfläche,die sich selbst projiziert und daran zerbricht. Es ist also unsinnig zu behaupten, Herr Wicke hätte sich an meinem Text und nicht an der Bühne orientiert, und nichtsdestotrotz ist dies erhellend. Die Aggressivität, mit der jener DonMartin hier zu Wege geht, die Ausfälle, mit der er/sie (wahrscheinlich ein er) Schauspieler, Bühnenbild, Inszenierung, Dramaturgie angeht, nicht zuletzt die vereinsamte Sehnsucht als "man" für "das Publikum" zusprechen - all das läßt mich vermuten: dass da wer mal wieder Initimität zwischen Männern nicht erträgt, dass tatsächlich jene sprachliche Übergriffigkeit den Ekel spiegelt, der in diesen kälterwerdenden Tage gegenüber LGBT wieder wächst, und dass genau da der Hund begraben liegt, wo dem Abend die Erotik abgesprochen und Verklemmtheit vorgeworfen wird - hier hat einer etwas so dermaßen wenig ertragen, dass ich schon traurig bin. Wobei ich dank Loriot weiß, dass der Vorwurf des Verklemmten nicht selten von jenen kommt, die von ihrer eigenen Verklemmtheit ablenken wollen (und anonym im Internet scheint mir eh die ultimative Verklemmtheit zu sein). Nun, dieser DonMartin, der so brav als "man" schreibt (bei einigen Leuten wäre auch peinlich, wenn sie "ich" sagen würden), mag mir entgegenhalten, dass der Vorwurf der Homophobie sozusagen als "rosa Keule" auch nur ein "billiges Gim(m!)ick" sei, um ihm sein gutes Meinungsrecht zu nehmen. Ich sage ihm dann halt, wer so enthemmt und persönlich werdend schimpft, muss sich fragen lassen, was ihn denn derart ausrasten läßt, dass er auch noch Ersan Mondtag (der nichts mit der Inszenierung zu tun hat) als "hysterisch gefeiert" abkanzelt - wobei interessant ist, dass Mondtag in seiner letzten Frankfurt Inszenierung Iphigenie auch Elemente des "Voguings" verwandte, besagten Tanzstils aus der New Yorker Homosexuellen Szene, auf den das Kasseler Programmheft mithin verweist. Die Logik wäre also, dass sowohl Mondtag wie auch diese Inszenierung sich mit Formen des Andersseins beschäftigen, mit dem Fremden, dem, was die herrschende Norm nicht toleriert, geschweige denn akzeptiert. DonMartin versucht zwar noch sich in normierter Coolness (hey bitches: "keine Katastrophe"), wobei er vorher so maßlos hemmungslos geschimpft hat, dass dieser Wechsel schlicht nicht passt. Und wo etwas nicht zusammenpasst, da ist oft etwas Drittes die Wahrheit. Und diese Wahrheit lautet: es ist sehr richtig, und ich bin davon sehr überzeugt, dass ein Abend über die Zärtlichkeit zwischen Männern und das Anderssein als Chance gerade dieser Tage richtig ist, wenn Leute wie DonMartin bösartig die Beherrschung verlieren und sich als das outen, was sie sind. // Liebe Kolleginnen und Kollegen der Nachtkritik - Anonymität ist eine Waffe im Internet. Wir regen uns gerne über die USA auf, die viel zu leicht Waffen zur Verfügung stellt. Die Wutbürger haben doch schon längst Ihre Seite erreicht. Wenn Sie hier einen guten Diskurs wünschen, sollten Sie sie Leute durch Klarnanmen anregen zwei mal nachzudenken und nicht gleich jede Enthemmung auszuleben (oder Kollegenbashing zu betreiben). Don Martin vom MAD-Magazin wäre sicher dankbar. Denn vorliegend wurde eher das "Don" im Sinne des erzkatholischen kreuz.net verwendet. Zumindest Sie als Redaktion sollten den Klarnamen kennen. Nur registrierte User. Es wäre mein alter Kinderwunsch für den Gabentisch. // Allen ein friedliches, frohes und menschlich zugewandetes Fest!
Frühstück bei Tiffany, Kassel: anschliessen
Ich will mich Thomaspeter Goergen anschließen. Wieso wird ein so hasserfüllter, niederträchtiger und unsachlicher Text wie Kommetar Nr3 von DonMartin veröffentlicht? Das frage ich mich übrigens bei fast jedem zweiten Post in diesem Forum. Die Kommentare hier quillen über vor haltlosen Unterstellungen, persönlichen Diffamierungen, anonymen Abkanzelungen. Das hat leider nur selten etwas mit Meinungspluralität, Differenzierung, sachlicher Kritik zu tun.


(Liebe Sibylle Barns, ich möchte Ihnen widersprechen: ich finde den Kommentar #3 von Don Martin weder hasserfüllt noch niederträchtig oder unsachlich. Er ist polemisch und verärgert im Ton, begründet jedoch seine Punkte. Darüber hinaus möchte ich Sie darauf hinweisen, dass alle Kommentare von der Redaktion vor Veröffentlichung stets gelesen und geprüft werden. Persönliche Diffamierungen und haltlose Unterstellungen werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Insorfern würde ich Sie um das bitten, was sie selbst fordern: um Differenzierung und sachliche Kritik. Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Frühstück bei Tiffany, Kassel: enttäuschend
Ich kann mich den Worten von #3 100%ig anschließen. Es bleibt dem nicht zu zufügen. Ein enttäuschender Abend. Leider.
Frühstück bei Tiffany, Kassel: langweilig
Für mich war die Handlung auch nicht immer nachvollziehbar.
Ich fand den Theaterabend langweilig und auch zu vulgär.
Mir hat es leider gar nicht gefallen!
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