Presseschau vom 3. Januar 2017 - Dramaturg Bernd Stegemann übt scharfe Kritik an der performativen Wende

Theater wie Trump

Theater wie Trump

3. Januar 2017. Bernd Stegemann kritisiert in der Süddeutschen Zeitung (3.1.2017) das Performance-Theater. Die "Schauspieler werden für ihre Leistungen im Film bewundert, auf der Bühne gehören sie ebenso wie das Drama zum alten Eisen. An ihre Stelle ist der Performer getreten, der seine eigene Existenz zum Thema macht und die mimetische Kunst des Schauspielens durch Performativität ersetzt."

Dabei sei das Performative nichts Neues, sondern immer Teil des Schauspielens gewesen. "Jede Tätigkeit, die die Realität verändert, indem sie eine besondere Präsenz erzeugt und dabei die Aufmerksamkeit auf sich lenken will, ist ein performativer Akt." Das Schauspielen nutze die Mittel der Aufmerksamkeitssteigerung, mache sie aber nicht zum Selbstzweck.

Kein Fortschritt

"Die Behauptung, das performative Theater sei ein notwendiger Fortschritt in der Kunst, ist also keineswegs selbstverständlich und ihr Erfolg resultiert aus einem Missverständnis, das im paradoxen Begriff des Authentischen liegt." Im Authentischen liege die paradoxe Aufforderung "Sei ganz du selbst" und zugleich der Zwang, dass man auf jeden Fall so wirken solle, als wäre man gerade ganz man selbst, so Stegemann. Der Wahrheitsanspruch des Aufretens des Performers gründe sich ferner in der falschen Behauptung, "dass er als Mensch über seine eigene Geschichte ebenso souverän verfügen könnte wie über seine Präsenz auf der Bühne".

Die alltägliche Erfahrung zeige hingegen, dass etwa zwischen der Art, glaubwürdig zu wirken, und der Zuverlässigkeit des Charakters große Unterschiede bestehen könnten. "Zugleich ist sich wohl kein Mensch über seine Wirkung vollständig bewusst." So entstehe in der Behauptung einer performativen Authentizität eine "Lüge hoch zwei. Weder die Selbstentfremdung des Ich, das in einer Bühnensituation öffentlich spricht, noch der Abgrund zwischen Schein und Wirklichkeit werden hier offengelegt."

Damit stehe das performative in Konflikt zu einem Theater, das sich seit der Antike nicht damit begnüge, die Präsenz der gemeinsamen Gegenwart zu feiern, sondern Geschichten aufführe, "die zeigen, wie kompliziert die Konflikte des Lebens sind".

Tradition der Theaterverbote

"Unter dem Label der Repräsentationskritik vereinigen sich die Angriffe gegen die Irrealisierung der Realität. Sie begeben sich damit – ohne es zu wollen – in die lange Tradition der Theaterverbote, mit denen die Kirche oder totalitäre Regime die Schauspieler zensieren wollten. Der Kern aller Theaterverbote besteht in der zutreffenden Beobachtung, dass die Verwandlungskraft des Schauspielers Teufelszeug ist. Wer als jemand anderes erscheinen kann, stellt die Ordnung grundsätzlich in Frage." Neu sei, dass der Angriff auf die Verwandlungskraft der Bühne von den Theaterleuten selbst komme. "Die Bühne soll von der vermittelnden Instanz des Theaters befreit werden, damit sie der Raum für die ganze Welt werden kann."

Die falsche Naivität dieses Wunsches sei kein Zufall, sondern stehe in einer Reihe mit anderen gesellschaftlichen Kräften, "die die Abschaffung der Vermittlung fordern". Der enorme Erfolg der populistischen Politiker beruhe in einem wesentlichen Punkt auf ihrer Behauptung, dass der authentische Retter mit seinem Volk in unmittelbaren Kontakt trete. "Der Wille des Volkes soll ohne störende Vermittlung durch gewählte Repräsentanten Gehör finden." Stegemann weiter: "Die Theaterleute, die die Vermittlung des Schauspiels und des Dramas durch die Unmittelbarkeit der authentischen Performativität ersetzen wollen, fordern einen ästhetischen Populismus, dessen Botschaft lautet: Der Umweg über den Schauspieler und das Drama ist Gedöns für die Eliten."

(SZ / miwo)

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