Bei den Wilden

von Christoph Fellmann

Basel, 12. Januar 2017. Dies könnte ein Bericht sein über Johann August Suter, der 1834 seine Frau und seine Kinder der staatlichen Fürsorge überließ und sich aus dem Staub machte nach Amerika. Er könnte erzählen, wie dieser Suter die USA durchquerte und schließlich Kalifornien erreichte, wo er eine private Kolonie namens "Neu-Helvetien" gründete, Sklaven beschäftigte, Handel betrieb und nicht wenig Reichtum anhäufte. Es könnte überdies die Rede davon sein, dass 1848 auf seinem Land ein erstes Goldnugget gefunden wurde, worauf der Rausch einsetzte und und Suter sein Land an die Digger und schließlich an den neuen Bundesstaat Kalifornien verlor.

Neu-Helvetien scheiterte am Goldrausch

Darüber hinaus hätte man erwähnen können, dass der alte Schweizer nun einen spektakulären Prozess anstrengte, um seinen Besitz zurück zu bekommen, dass er diesen Prozess sogar gewann, dass das ihm aber nichts nützte, da das Urteil nicht zu vollstrecken war. Der Bericht hätte dann am 18. Juni 1880 füglich schließen können, als Suter verbittert und verarmt starb. So war das nämlich, und so hat es Blaise Cendrars, einer der prominentesten Schweizer Autoren französischer Sprache, 1925 in seinem Roman "Gold" nicht ganz faktengetreu, dafür ganz schön furios nacherzählt. Und seien Sie ohne Umschweife versichert, dass Ihnen hier niemand böse ist, wenn Sie nun denken, was für eine interessante Geschichte, ich lese gleich mal lieber dieses Buch. Im Gegenteil, wir gratulieren an dieser Stelle herzlich zum Entscheid und verabschieden uns von Ihnen.

Wenn dieser Text nun aber doch noch weitergeht, dann darum, weil von einem Theaterabend zu berichten ist, der nicht mit dem Buch und also auch nicht mit dem realen Johann August Suter irgendetwas zu tun hat. Was vielleicht etwas überspitzt formuliert ist, den Unsinn der Sache aber doch ganz gut trifft. "Goldrausch" handelt nämlich "nach Blaise Cendrars" und ist das Werk des chilenisch-amerikanischen Autors und Regisseurs Guillermo Calderòn, der seine Ensembles ganz gerne als "Filmteams" agieren lässt. Auch hier. Und so kommt nun tatsächlich ein wenig Suter auf die kleine Bühne im Theater Basel; wir sehen nämlich, wie ein Regisseur, eine Crew und zwei Schauspieler eine Schlüsselszene des Romans verarbeiten, genauer: die Ankunft von Annette, Suters zurückgelassener Ehefrau, in Neu-Helvetien.

Mit Bummelwitz und Marihuanascherzen

Wie man sich denken kann, war der Originaltext von Cendrars nicht gut genug und musste mit Bummelwitz und Marihuanascherzen aufgepeppt werden. Tragender sind da schon die Pornoszenen, für die der Filmregisseur nun nochmals zwei Schauspieler – bzw. "Modelle" – aufs Set gebucht hat, sowie die Flüchtlingsthematik, die er geschwind noch ins Skript hineinschreibt, um die Chancen auf einen Goldpreis an einem dieser notorischen Filmfestivals zu erhöhen. Merke: Wir befinden uns gar nicht in Amerika, sondern in einer Satire über den Zynismus und die Eitelkeit gratisrelevanter Kunstproduktion, und zwar in einer ganz besonders bitterbösen.

Goldrausch1 560 Simon Hallstroem uAm "Goldrausch"-Filmset © Simon Hallström

Aber war da nicht etwas mit Johann August Suter? Nur Geduld, das große Schauspiel zeigt es uns: Diese Künstler sind so sentimental, so besitzergreifend, so selbstmitleidig und so sexuell ausgezehrt wie exakt so ein Pionier an der Frontier. Schauspieler und Regisseure sind auch nur Helden, die siegen müssen, aber scheitern können. Leider gibt dieser "Goldrausch" keine Hinweise darüber, dass Guillermo Calderón während 105 Minuten mehr erzählen will als von der pathetischen Existenz des Künstlers an der Frontier (des Künstlermarkts), wo bekanntlich überall die Wilden lauern (die Pornodarsteller).

Anders als der Roman variiert der Theaterabend auch nie sein Tempo, findet er zu keiner bildhaften Verdichtung, kommt er nicht über eine eitle Selbstbespiegelung hinaus, ja, noch nicht einmal über die naheliegendsten Lieder: Wo Suter bei Cendrars gelegentlich eine Basler Fasnachtsmelodie pfeift, singen sie hier Tammy Wynette und Buck Owens, spielen Hillbillygeige und Maulorgel. Aber, es wurde weiter oben vermutlich schon angedeutet: Jeder Vergleich mit Cendrars ist an diesem Theaterabend nun wirklich sehr weit hergeholt.

 

Goldrausch
von Guillermo Calderón nach Blaise Cendrars
Uraufführung
Regie: Guillermo Calderón, Bühne und Kostüme: Anna Sophia Röpcke, Licht: HeidVoegelin Lights, Dramaturgie: Almut Wagner.
Mit: Ingo Tomi, Orlando Klaus, Inga Eickemeier, Vincent Glander, Leonie Merlin Young u.a.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

Wer sich für Cendrars und sein Werk interessiert, kann sich den Abend schenken. "Und doch kann einem die Inszenierung einiges Vergnügen bereiten, schreibt Alfred Schlienger in der Neuen Zürcher Zeitung (14.1.2017). "Calderón benutzt die Vorlage wie ein Trampolin und lässt die Akteure darauf irrwitzige Luftsprünge und Pirouetten vollführen." Manchmal springen sie halt auch ins Leere. Im Kern eine multiple Parodie: "auf die Herstellung von 'Kunst', die Eitelkeiten von Regisseuren und Schauspielern; auf die Manipulationen, Opportunismen und Zufälligkeiten von Drehbüchern, die Simulation von Authentizität – und vieles mehr." Das sei nicht unbedingt sehr hintersinnig, aber doch ganz lustig.

Auf der kleinen Bühne des Theaters entstehe ein psychologisches Zerrbild von Film- und Schauspielkarrieren, schreibt Annette Mahro in der Badischen Zeitung (13.1.2017). Calderóns Figuren demontierten sich pausenlos gegenseitig. "Das psychologische Zerfleischen setzt sich ebenso unvermindert fort wie das Zerfasern von Stoff und Umsetzung in alle Richtungen."

"Das hätte womöglich ein echtes Abenteuer werden können: Sich mit 'Gold' zu beschäftigen, also dem 1925 erschienenen Roman des Schweizer Autors Blaise Cendrars", so Michael Laages auf dradio Fazit Kultur vom Tage (12.1.2017). Doch Calderón könne bedauerlicherweise nicht wirklich viel anfangen mit dem Material und "unterwirft es einer Art Making-of-Fantasie". Draüber nämlich, wie heute "ein Film entstehen könnte über den Hasardeur von damals". Dafür sei alles zur Hand – ein schwerst durchgeknallter, manischer Regisseur, Typ Fassbinder, der die Dreharbeiten mit nur einem Arm bestreitet (auch Blaise Cendrars verlor einen im Ersten Weltkrieg ... ) und der außer einem Paar von Lieblingsdarstellern zwei Statisten-Doubles engagiere, mit denen er Sex-Szenen drehe, "die die 'richtigen' Kino-Routiniers sich nicht zumuten wollten." Fazit: "Das Basler Publikum amüsiert sich, weil's recht launig zugeht: Aber Cendrars lesen wäre vermutlich interessanter. Selbst für's Theater."

 

 

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