Die Lanzen tanzen

von Tim Slagman

München, 13. Januar 2017. Wie Pferde dampfen sie, diese Männer, die einen Kreis bilden aus blutverschmierten Leibern. So sehen die Gewinner der Schlacht aus. Bald werden sie sich ungelenk ihre Sakkos überstreifen, einen dünnen Hauch von Zivilisation anlegen, die Lüge, sie lebten in einer vermittelten, verwalteten, strukturierten, ja irgendwie in Ordnung befindlichen Welt. Doch das Blut klebt ihnen noch in Gesicht und Haaren, es mag eine vage Erinnerung wachrufen an Jürgen Goschs geradezu legendäre, blutige "Macbeth"-Variante in Düsseldorf, so wie sich hier viele Referenzen finden – die Hexen könnten sich ihr wallendes, gesichtsverdeckendes weißes Haar beim fernöstlichen Geisterfilm geborgt haben, zum Beispiel. Doch Andreas Kriegenburgs Shakespeare-Inszenierung am Münchner Residenztheater steht insgesamt nicht im Zeichen des Zitatenspiels, sondern hier geht es um Reduktion: Kriegenburg zeigt einen Mikrokosmos kargster Ausstattung, getaucht in rot und schwarz, unmittelbar gewaltvoll, auch erotisch und sicherlich ganz und gar nicht in Ordnung, sondern immer schon gekippt.

Harald B. Thor hat unter Mitarbeit von Thomas Bruner für Kriegenburg, der den Einsatz hochdynamischer Bühnenelemente zu seinen Markenzeichen zählt (Beispiele: Der Prozess, Das letzte Feuer), ein dickes quadratisches Podest vor eine halbrunde betonfarbene Wand gesetzt. Diese Bühne auf der Bühne kann sich drehen, auf und nieder fahren und halsbrecherische Neigungswinkel einnehmen, die von den Darstellern mit erstaunlicher Mühelosigkeit gemeistert werden. Die Welt macht ihnen keine Probleme, eher die Hölle, die ja bekanntlich die anderen sind.

Es zählt die Körpersprache

Kriegenburg und Angela Obst haben recht heftig eingegriffen in Thomas Braschs sinnlich satte Shakespeare-Übersetzung, aber ohnehin redet man hier weniger miteinander als dass man sich beim Reden ineinander verschlingt. Es sind die Körper, die sprechen: Sophie von Kessel wagt einen lasziven Tanz in den Reliquien der Schlacht, anschmiegend von einer Lanze zur anderen, die Oberschenkel auf und ab reibend an einem riesigen in den Boden gesteckten und noch blutigen Schwert. Die Mord- und Thronaussicht macht ihre Lady Macbeth geil, die Vorfreude auf das "Geschäft der Nacht" teilt sie mit ihrem Ehemann, der sie packt und hebt und trägt und küsst und mit der Pranke fest ihren Kiefer umfasst. Zärtlich. Mörderisch.

Macbeth2 560 ThomasDashuber uUnten v.l. René Dumont, Till Firit, Mathilde Bundschuh, Max Koch, oben Mitte Thomas Gräßle, Jeff
Wilbusch, oben rechts Thomas Loibl © Thomas Dashuber

Als Macbeth den schlummernden König und, wie die Schuld es ihm einredet, den Schlaf getötet hat, als die Blicke von Thomas Loibl nicht mehr gierig zum Anderen, sondern zitternd in die Ferne gehen, als das Flackern der Lust in den Augen dem Flackern des Wahnsinns Platz gemacht hat, da schleppt der neue König die Königin nur noch steif von dannen, dem ersehnten Schlaf entgegen. Und, als es dann, so viele, viele Tote später, endlich zu Ende geht, da krallt er sich minutenlang ganz eng an den schlaffen Körper der Sterbenden – nicht um sie, sondern um sich selbst festzuhalten.

Geist aus der Zukunft

Die düstere Geschlossenheit der Inszenierung ist da schon flöten gegangen: Die Bühne hellt sich immer weiter auf, die schwarze Welt wird grau, und René Dumont als Macduff spielt "Hurt", bekannt durch die Nine Inch Nails, berühmt durch Johnny Cash, auf der Folk-Gitarre nach: "Everyone I know goes away in the end." Die Tode von Macduffs Sohn und seiner Frau besorgen derweil zwei sprücheklopfende halbironische Killerkarikaturen. Diese Szene verortet Hanna Scheibes Lady Macduff zum ersten Mal in der Gegenwart und zwängt sie so in ein Figurenkorsett, das sie zuvor virtuos durchbrochen hatte.

Macbeth1 560 ThomasDashuber uDa ist überall Blut! Macbeth (Thomas Loibl) und Lady Macbeth (Sophie von Kessel)
© Thomas Dashuber

Als Geist aus der Zukunft, als blutüberströmter Einfrauenchor schlich sie immer wieder um das Podest, kommentierte, fasste zusammen, blickte aus und ätzte mit vorgeschobenem Kinn, mit nachäffender hysterischer Stimme, mit verbogenem Rumpf. Die Beschwörung von Macbeths Heldentaten in der anfänglichen Schlacht entlarvt sie als den pathetischen Quatsch, der jede Art von Geschichtsschreibung ohne Anblick der Opfer ist.

Daneben spielen Mathilde Bundschuh und Pauline Fusban die Söhne des ermordeten Königs Duncan und bilden so ein symbolisches Gleichgewicht: In Shakespeares Stück gibt es keine bedeutenden Frauenrollen, die nicht auch Täterinnenrollen sind. Diese Verschiebung ist der Einbruch der Moderne in eine bildstarke Inszenierung, die das altbekannte Zeitlose im ewigen Kreislauf von Machtgier und Schuld zu akzentuieren sucht.

Der Text wurde am 16. Januar um 10:40 Uhr aktualisiert.

 

Macbeth
von William Shakespeare
Übersetzung von Thomas Brasch
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Mitarbeit Bühne: Thomas Bruner, Kostüme: Andrea Schraad, Licht: Gerrit Jurda, Dramaturgie: Angela Obst.
Mit: Thomas Loibl, Sophie von Kessel, Thomas Lettow, Arnulf Schumacher, Mathilde Bundschuh, Pauline Fusban, René Dumont, Hanna Scheibe, Max Koch, Till Firit, Jeff Wilbusch, Thomas Gräßle, Alfred Kleinheinz.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.residenztheater.de

 

Kritikenrundschau

Cornelie Ueding vom Deutschlandfunk (14.1.2017) musste lange auf einen neuen Zugriff auf den Stoff warten. Erst im zweiten Teil spüre man "eine geradezu rabiate Energie, sich aus den Fesseln des Klassikertextes freizuspielen und freizusprechen", doch auch dieser Versuch ende „jäh und tödlich“. "Die Anläufe und Ausbrüche, das vehemente Bemühen aus dem Sog des Gemetzels herauszukommen, bleiben irgendwie auf halber Strecke stecken, inkohärent, punktuell."

"Kriegenburg findet starke, körperakrobatische Bilder, aber er findet keine eigenständige Lesart", schreibt Christopher Schmidt von der Süddeutschen Zeitung (16.01.2017). "Der auf ein Best-of zusammengestrichene Text bleibt Soundtrack zum bewegten Bild." Manche Schlüsselstelle werde vernuschelt.

"Es ist, als produziere die Bildmacht der Inszenierung einen transparenten, aber zähen Schleier, als hinge ein morphingetränkter Nebel in der Luft, so sanft und ästhetisch austariert kommt das Böse daher: Ein wohlgeordneter Salon-Shakespeare, der das Laute, Platte erfolgreich umschifft und die Tiefe noch sucht", schreibt K. Erik Franzen in der Frankfurter Rundschau (15.1.2016). Die trotz der Bildwucht minimalistisch orchestrierte Inszenierung lasse sich als Abrechnung mit dem Patriarchat lesen.

Von einem ungeheuer intensiven Abend spricht Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.1.2017). "Wer hätte gedacht, dass das alte Stück noch so viel Blut in sich hat? Jeder, der etwas von der Handlung weiß. So produziert das Horrorfilmrequisit im Residenztheater keinen Schockeffekt. Das Theaterblutvergießen dient hier dem Zweck der Illustration. Bilder sind nötig, wenn man ein Stück nicht nur vorlesen will. Es dürfen einfache Bilder sein. Bevor das Verhängnis zuschlägt, mit der Gedankenschnelle, die das Tempo dieser Bewusstseinstragödie ist, hält ein Tanz des Mörderpaars auf dem ersten und letzten Hofball der Regierungszeit von Macbeth die Zeit an."

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