Erhöre unseren Antrag

von Eva Biringer

Wien, 13. Januar 2017. Das Prekariat hat gute Laune. Beim Betreten des Zuschauerraums loopt einem Discopop entgegen, Girlanden blinken im Takt. Die möglicherweise klischeehafte Annahme, junge Menschen gingen Freitag abends lieber trinken als ins Theater, ist mit dem Publikum des Schauspielhauses widerlegt. Liegt vielleicht auch am Stück. Dabei ließ dessen Titel "Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt", Schlimmes ahnen, zum Beispiel Hashtag Meta Anführungsstriche Theater.

Kunst, Ausschreibungen, Spaß haben

Es geht um uns: das Kulturprekariat. Drei Fragezeichen von Mensch streiten sich, wer von ihnen "die Ausschreibung" gewonnen hat. Die Bühne (Michela Flück) ist ein White Cube, also ein zeitgenössischer Ausstellungsraum, inklusive Souvenirshop, hinter dessen Fensterscheibe Handtücher mit Hundert-Euro-Noten- und Picassodruck hängen. Wie bestellt und nicht abgeholt stehen die drei herum. Wer hat ihr Antragschreiben erhört? Eine Art Kafka reloaded, weil die auswählende "Institution" kein Beamter ist, sondern ein stummer Lautsprecher über ihren Köpfen. Statt Auskunft erhalten sie eine Museumsführung von einem sogenannten Hologramm.

Sebastian Schindegger, ganz in Weiß, mit Kniescheibenkorsett, sieht aus wie einem David Foster Wallace-Roman entflohen, eine Gefahr für sich und die Umwelt, eine Mischung aus Tennisplatz und Psychiatrie. Irre geduldig monologisiert er über die einzelnen "Exponate" des Museums, wobei manchmal nicht klar ist, ob das Kunst ist oder weg kann, etwa bei den weggeschnippten Fingernägeln oder dem ein Vorleben als Bodenbelag geführten Stein (wenn man will, ein Seitenhieb auf die Skulpturen eines Carl Andre oder moderne Kunst allgemein). Auf den Schoß genommen, fängt der Stein an über sein Stein-Sein zu sprechen, ist in seinem Redefluss ähnlich hartnäckig wie hundert Seiten Text in "Unendlicher Spaß".

Jedem ein Foto

Mehrmals versucht das Hologramm ihn zu stoppen, wieder und wieder plumpsen Erklärsätze aus dem Stein heraus, wobei Sebastian Schindeggers gequälter Gesichtsausdruck an einen nicht endenen Toilettengang erinnert... Ist das albern? Sicherlich. Und sehr lustig. Mindestens so sehr wie die aufgeräumte Putzfrau des Museums (Dolores Winkler mit Pumuckelperücke). Hinsichtlich des Arbeitsbegriffs hält sie es mit Kate Moss, die auf die Behauptung "Man kann nicht immer nur Spaß haben im Leben" antwortete: "Warum nicht?"

DieseMauer2 560 MatthiasHeschl uTräume sind Schäume in der Künstercasting-Show "Diese Mauer...". Und der Schaum warnt später
sogar per Lautsprecherstimme ©  Matthias Heschl

Um Supermodels geht es später wirklich beziehungsweise um Castingsituationen und die Bewertung der sogenannten Performance. Bei mir hätte jeder der fantastischen Darsteller des Schauspielhausensembles ein Foto bekommen. Simon Bauer im Mortadella-Pullover und gesteppter Knickerbocker (Michela Flück ist neben dem Bühnenbild auch für die hinreißenden Kostüme verantwortlich), der mit Glatze und stets vorgeschobener Unterlippe wirkt wie ein Hooligan, der ein paar Schläge zu viel abbekommen hat oder wie Napoleon Dynamite. Steffen Link als Stromberg-Double, der seinen vorauseilenden Gehorsam durch Wackel-Dackel-Kopfnicken signalisiert. Und schließlich Quotenfrau Katharina Farnleitner, stets mit leicht gebeugten Knien, damit sie sich nicht den Kopf an der gläsernen Decke stößt.

Überblick behalten

Außer Konkurrenz läuft die ebenfalls strahlende Dolores Winkler, die neben der Putzkraft auch die Rolle des "Sterns" übernimmt. Dann steckt sie in einem die europäische Bürokratie symbolisierenden Ganzkörperanzug mit einem Guckloch, das noch kleiner ist als diese verglasten Behördenschalterfenster. Und natürlich Sebastian Schindegger, der als Hologramm mitunter an seiner "Performance" zweifelt und dann mi-mi-mi-artig klagt: "Man hat ja völlig den Überblick verloren!"

Berechtigterweise. Worum gehts eigentlich in "Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt"? In ihrem zweiten Stück – ihr Erstling Die Hockenden wurde mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet – widmet sich die 1986 geborene Wiener Autorin Miroslava Svolikova den sogenannten First-world-Problems ihrer Generation. Diese erhielt, neben vielen anderen, dereinst das Label "Praktikum" und tatsächlich könnten die drei Hauptfiguren sich ebenso gut auf eine Stellenanzeige für Kaffeekocher beworben haben wie für die ominöse "Ausschreibung".

Mit Ellenbogenmentalität

Es geht um Ellenbogenmentalität, das Sieben und Ausgesiebt-Werden, genial bebildert anhand eines Teesiebs, das Simon Bauer aus seiner Knickerbockertasche zieht. Das, in den Worten der Reinigungskraft, "politische Stück", dreht sich auch um Mauerbau und Gender, um * und _ und darum, dass der Stern etwas sagt, nämlich: "Beim Einweichen meiner Belugalinsen denke ich über die Gesellschaft nach."

DieseMauer1 560 MatthiasHeschl uUnd jetzt zur Challenge des Tages in "Diese Mauer..." © Matthias Heschl

Glücklicherweise beherzigt der 1986 geborene Franz-Xaver Mayr die Regieanweisung "Oder ist alles ganz anders?" Seine Regie befreit die theorieverknallte Vorlage und das Programmheft ("die Nicht-Identität zwischen den Handlungsprinzipien der im Kontext der Geschichte Handelnden" und Robert Menasse) von jeglicher Schwere. So wird "die Mauer" leicht wie der von der Decke flockende Schaum, der als Stimme aus dem Off davor warnt, das eigene Leid als selbstverschuldet zu sehen.

Von der Ausschreibung zur Ausschreitung

Abgesehen davon, dass all das großen Spaß macht, hält das Stück keine Lösung für unsere ebenso im Programmheft zitierte Casting-Gesellschaft bereit. Wie könnte es auch? Zwar wird aus der "Ausschreibung" kurzerhand eine "Ausschreitung", aber die daraus folgende Solidarität unter den drei Ausschreibungsgewinnern ist schneller verpufft als man mi-mi-mi sagen kann. Das Stück geht aus wie das Hornberger Schießen, nämlich mit einem Pistolenknall und dem Schriftzug "Schuss Schluss". Zuvor wurden noch halb ernsthaft Nachwuchsausschreibungsantragsteller aus dem Publikum rekrutiert und wahrscheinlich haben nicht wenige im Saal genau das schon einmal getan.

Sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, mag politischem Aktivismus im Wege stehen. Den fordert Svolikova mindestens indirekt in Form eines von der Reinigungskraft verlesenen Zettels, der zur "Rettung der Onion", also der europäischen Union, also dem Stern aufruft. Höre, der Stern hat gesprochen und er hat auch was gesagt. Was der Stern nicht gesagt hat, was aber trotzdem bleibt am Ende dieses in jeder Hinsicht beglückenden Abends: Auch gemeinsames Lachen solidarisiert.

Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt
von Miroslava Svolikova
Regie: Franz-Xaver Mayr, Bühne und Kostüm: Michela Flück, Dramaturgie: Anna Laner.
Mit: Simon Bauer, Katharina Farnleitner, Steffen Link, Sebastian Schindegger, Dolores Winkler.
Dauer: 1 Stunde 30 Minunten, keine Pause

www.schauspielhaus.at

 

Mehr zu Miroslava Svolikova: Wir besprachen die Uraufführung ihres ersten Stücks die hockenden im April 2016 am Burgtheater Wien.

 

Kritikenrundschau

"Regisseur Franz-Xaver Mayr lässt bei der Umsetzung dieses komplexen, absurden (und redundanten) Textes selten Langeweile aufkommen", schreibt Norbert Mayer von Die Presse (15.1.2017). Die Dialoge seien so diskurslastig sind, dass es von der Regie klug gewesen sei, sie zu verblödeln. Die fünf Schauspieler setzten das aberwitzige Bewerbungsgespräch launig mit leichtgängiger Ironie um.

"Ein oft schräger, mit Ironie gewürzter und humorvoller Abend, der politische, gesellschaftliche Fragen unserer Zeit tangiert", urteilt Marco Weise vom Kurier (16.1.2017).

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