King Charles III. - Mike Bartletts shakespeareskes Erfolgsdrama über die Royal Family zeigt die Bremer Shakespeare Company in deutscher Erstaufführung
Der Monarch als Bürgerrechtler
von Jens Fischer
Bremen, 20. Januar 2017. Keine Chance für das mit einem Kaltgetränk garnierte Pausengespräch. Die Kakophonie des Volkszorns schwappt aus Lautsprecherboxen über den mit Plastikblumen geschmückten Sarg Elisabeths II. und die Schauspieler stürmen das Foyer. Einige tragen Vendetta-Masken und schwingen Baseballschläger, andere singen die britische Nationalhymne, brüllen traditionsselig "lang lebe der König" oder revolutionsselig "an die Laterne mit ihm". Auf herumflatternden Flugblättern steht: "Die Monarchie hält uns klein". Und die druckfrisch verteilte Nacktausgabe der hauseigenen Boulevardzeitung "Blick" macht mit den Brüsten und dem Breitmaulgrinsen der neuen Freundin eines gewissen Prinz Harry auf. Während sich dieser ihr im allgemeinen Tohuwabohu als Liebesbettler live und in Farbe zu Füßen wirft.
Ja, hier ist was los. Mit ihrem pausenlosen Einsatz sucht die Bremer Company der Shakespeareristen nach einem frischen Weiter-so-Impuls mittels eines zeitgenössischen Stoffs. Nachdem gefühlt mit allen Worten des Hausgottes und seiner Geistesverwandten alle möglichen Volkstheaterumarmungen und kabarettklamaukigen Aktualisierungen ausprobiert wurden. Mike Bartletts Inthronisierung von "King Charles III." kommt also gerade recht. Immerhin die deutsche Erstaufführung eines Londoner Theaterhits über die nahe Zukunft der Royal Family – bei der es wie in Shakespeares Königsdramen zugehen soll, weswegen der Autor auch für seine Machtspieler Blankverse gedichtet hat.
Prince Charles, endlich König
Gerade in diesem Jahr, in dem die 90-jährige Elisabeth II. ihr 65. Thronjubiläum und ihren 70. Hochzeitstag als Muster an Beständigkeit feiert, geht es ihr an den Kragen. Der ewige Kronprinz darf nach fast 70 Lehrjahren endlich selbst Meister des Monarchie-Business werden. Da Charles der einzige im Hause Windsor ist, dem ein politisches Interesse anzumerken ist und der seine konservativ grünen Überzeugungen ohne Angst vor Querulantentum auch beharrlich zu äußern weiß, fürchten viele Briten, unter seiner Regentschaft könnte das Königshaus Schaden leiden. Bartlett bringt diese öffentliche Meinung geschickt auf den dramatischen Punkt: Wer Macht habe, sollte sie auch nutzen, lässt er seinen Charles denken. Also wenn schon König, dann nicht nur Gruß-Onkel und Abnick-August, sondern Warner und Korrektor sein. Beim Antrittsbesuch des Premiereministers relativiert Charles sogleich seine Pflicht, alle vom Parlament beschlossenen Gesetze abzuzeichnen wie seine Mutter – und betont sein Recht, auch ein Veto einlegen zu dürfen. Von Gott gesalbt statt von den Untertanen gewählt sei er dazu durch sein Gewissen legitimiert, ein Politiker für seine Entscheidungen hingegen nur durch Volkes Stimme.
Als zum angeblichen Schutz der Privatsphäre die Pressefreiheit eingeschränkt werden soll, verweigert Charles seine Zustimmung. Der Mann, dessen Gattin von der Medienmeute zu Tode gehetzt wurde? Ja, Grundrechte seien unbedingt höher zu bewerten als persönlich moralische Empfindlichkeiten, argumentiert Charles, als sei er Ferdinand von Schirachs Gerichtsstück "Terror" entstiegen. Ein Idealist, ein Held ist dieser König. Und eine Skurrilität: Ein Rentner als Berufsanfänger in einer Coming-of-age-Story. Bastelt Charles doch pubertär an seiner bockigen Identität – und spaltet dabei die Nation. Denn die Politiker wollen nicht klein beigeben. So löst der König das Parlament auf – "das sind ja türkische Verhältnisse", empören sich scheinheilig die Konservativen. Und die Theaterzuschauer dürfen abstimmen, ob sie den Monarchisten oder Demokraten folgen wollen. Aber bevor ein Ergebnis ausgezählt ist, wird das Publikum in den Pausen-Bürgerkrieg entlassen.
Ohne Charisma
Regisseur Stefan Otteni weiß den Plot im kargen Ambiente in sinnfälligen Bildern zu arrangieren. Reiht sachlich Szene an Szene der "well-made“ komponierten Abfolge, stets als neue Behauptung, ohne den Figuren große Entwicklungen zu gönnen. Auch bekommt er keinen geistreich funkelnden Diskurs über den Monarchie-Spagat zwischen nationalem Identifikationsbestreben und Tourismus förderndem Marketingkonzept auf die Bretter, weil die gegensätzlichen Positionen nicht gleichstark besetzt sind und das Ende damit schnell vorhersehbar ist. Peter Lüchinger ist Charles vielfach zu ähnlich. Er zeigt ihn ohne intellektuelles und königliches Charisma, agiert nicht würdevoll, sondern steif, ist als Selbstzweifler und Bürgerrechtler ein kalktrockener Textaufsager – und hat allein dadurch keine Chance auf Sympathiepunkte gegen die kraftvollen Rollengestaltungen von Erik Roßbander als rhetorisch beschlagener Premiereminister und Michael Meyer als diabolischer Oppositionsführer.
So nach und nach distanzieren sich auch die Jungs von ihrem Vater – wobei William und Kate das Ehepaar Macbeth spielen und Charles absetzen. Woraufhin er zwar nicht durch sturmumtoste Heidelandschaft in den Wahnsinn, aber immerhin im schummrigen Palast in den Putzwahn flüchtet. Ja, wer seinen Shakespeare mag, hat Spaß an solchen Anspielungen wie auch den weissagenden Hexen und Geistererscheinungen. Dass zudem Legitimation und Psychologie der Macht behandelt werde, kann leider nicht behauptet werden. Dafür setzt das Stück zu sehr auf die Showeffekte mit den Royal-Promis. Nach Williams Krönung ist dann Ruhe, um das Pausengespräch nachzuholen und darüber zu räsonieren, warum Sinn und Sinnlichkeit des Abends es nicht mit Shakespeare, aber durchaus mit einer Fünf-Uhr-Tee-Zeremonie aufnehmen können.
King Charles III.
von Mike Bartlett
Deutsch von Rainer Iwersen
Deutsche Erstaufführung
Regie: Stefan Otteni, Bühne: Peter Scior, Kostüme: Heike Neugebauer.
Mit: Svea Auerbach, Tobias Dürr, Tim Lee, Peter Lüchinger, Michael Meyer, Erik Roßbander, Theresa Rose, Petra-Janina Schultz und Markus Seuß.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.shakespeare-company.com
"Mike Bartletts Stück ist ein raffiniert gebautes Werk (...), Zitate-prall, aber weit entfernt vom Plagiat. Und deswegen so vergnüglich wie tiefgründig", schreibt im Weser-Kurier (22.1.2017). Die Seelennöte und Stimmungsschwankungen dieses Charles werden von Peter Lüchinger geradezu peinvoll deutlich ausspielt. "Stefan Ottenis gelungene Übersetzung und rasante Inszenierung sowie das durchweg extrem gut aufgelegte Ensemble tun ein Übriges, um den beinahe dreistündigen Abend zu einem spannenden, unterhaltsamen, modernen Königsspektakel zu machen, das man als (Bremer) Theaterinteressierter nicht verpassen sollte."
Auch Margit Ekholt auf Radio Bremen (21.1.2016) ist begeistert: "King Charles III" sei "ein wunderbares Stück, spannend und mit Tiefgang". Großartig sei aber auch die Inszenierung: "mit einfachen, schlichten Mitteln, lebendig, abwechslungsreich, kurzweilig". Beim Ensemble der Shakespeare Company habe man das Gefühl, "dass da die echten Royals auf der Bühne stehen. Das liegt an den Kostümen, an den täuschend echten Frisuren, an dem ganzen Gehabe, das die Schauspieler sehr gekonnt imitieren."
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Jens Fischer hatte wohl gestern einen anstrengenden Theaterabend. Vielleicht kann man auch nicht mehr richtig einlassen, wenn man zulange in diesem Beruf arbeitet. Sonst hätte er den Entwicklungen der Figuren
folgen können, hätte die gelungenen Übertragungen des Zwiespaltes
zwischen Legitimation und Psychologie der Macht auf das Publikum
miterleben können. Während Charles an seinen durchs Warten konservierten Impulse zur eigenen Macht zerbricht, steigt eine Twitter Generation auf den Thron, die durch Wohlfeilen Glämmer die Herzen konservative höher schlagen lässt. Und wir sollen wählen. Trump als Twitter König war in aller Munde, zumal die deutsche Erstaufführung am Tag seiner Inthronisierung stattfand. Wieso konnte er sonst dem genialen Zauber der sprechenden, Shakespeare rezitierenden Ahnengalerie nicht erliegen.
Ich bin begeistert und berührt worden, kein Schmusekurs mit den Zuschauern. Manchem Zuschauer hat wohl die Pause gefehlt.!! Ich fand es großartig. Und die " standing ovations" eines begeisterten Publikums lassen mich mit meinen Erleben der Premiere nicht allein.
Auf den Rest der Kritik gehe ich mal nicht ein. (...) Muss ja auch nicht Jedem gefallen. Ich fand die Inszenierung einen Hauch zu lang, aber hervorragend gefüllt, mit dem Charme, den die Shakespeare Company in den letzten Jahren in einen Stücken nicht mehr hatte. Und wer weiß, vielleicht findet Herr Fischer eines Tages auch eine Inszenierung bei den Shakespearern, an der auch er Freude findet. :)
http://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-kultur-freizeit_artikel,-Nie-wieder-Prinzenrolle-_arid,1535552.html
Denn alle Kritiken außer der auf Ihrer Seite sind äußerst positiv !
(Vielen Dank, aber diese Kritik hatten wir doch längst in unsere Rundschau aufgenommen. An erster Stelle sogar. Herzliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)