Hamlet - Robert Schuster inszeniert in Weimar einen Abend mit Theorie und Gasmasken
Die Luft, sie ist vergiftet (oder: Die Jugend ist wütend)
von Henryk Goldberg
Weimar, 26. Februar 2017. Doch, hier muss was faul sein im Staate. Mindestens die Luft ist vergiftet. Die Männer, die hier die Wache haben, tragen rote Overalls, schließlich, Dänemark ist ein Gefängnis und sie schützen sich mit Gasmasken. Das macht, was sie sagen, dumpf und schwer verständlich, aber was sind unverstandene Worte, wenn die Welt im Ganzen nicht verständlich ist. Einer der Männer schält einen anderen aus dem roten Anzug, der ist sehr blond und eine Frau. Der mit dem Muskel-Shirt spricht schnell und glatt, wir werden ihn nicht mögen. Die blonde Frau nimmt einem anderen die Maske ab. Der ist darunter weiß geschminkt, seine Hose ist zur einen Hälfte, an einem Bein, ganz weiß. Der Mann hat etwas von einem Harlekin, nur, dass er nicht lustig ist. Sein Name ist Hamlet.
Wie eine junge Generation ihre Zukunft verliert
Jeder Regisseur und jedes Theater sieht von Zeit zu Zeit den Jungen gern, der seit mehr als 400 Jahren leidet, woran auch immer. Er gehört einfach dazu, wenn er auch ächzt unter der Last seines hochgespannten Bedeutens, seiner Aufführungstradition, die den Engländer zu einem viel deutscheren Wesen befördert hat als den deutschen Faust. Der Zögerer, der Zauderer, der vieles weiß und wenig kann. Und jeder Regisseur steht vor der Aufgabe, die Vorgänge aufzuladen mit einem Bedeuten, mit einem Unenträtselten, das die Darsteller trägt, so wie es sie tragen müssen.
Es ist, als würde der Regisseur Robert Schuster im ersten Teil dieser vier Stunden seinen Schauspielern entgegenkommen, so wie er ihnen dann enteilt. Will sagen, Schuster erzählt im ersten Teil eine Geschichte und im zweiten einen Gedanken. Ungefähr den, wie eine junge Generation ihre Zukunft verliert und darum die Gegenwart anklagt. Sascha Gross nimmt in seinem Bühnenbild die Größe des Raumes auf, ein signalroter Rahmen, der sich nach hinten zweifach in die Tiefe verlängert mit Wänden, die den Raum metallisch verschließen.
Der zaudert nicht, der wütet
Und darin ist Jonas Schlagowski zunächst, was ein Hamlet sein sollte: die Mitte. Ein Gehetzter, ein Getriebener, einer, der sich durch den Text hechelt. Keine Schwermut, keine ariosen Monologe, woran auch die Übersetzung von Frank Günther ihren Teil hat. Kein Hauch von klassischem Schönspiel-Theater, eine ungerichtete Wut, eine aggressive Hilflosigkeit, der zaudert nicht, der wütet. Als habe er sich den Wahnsinn ins Gesicht geschminkt, als sei die Tollheit eine seiner Natur angelegte, abgerungene Selbstdisziplinierung, mit dem Gestus des Clowns, mit den Gesten der Marionette mitunter: Das macht diesen Hamlet zur Kunst-Figur, die ihre Gestimmtheit nach außen zelebriert und nach innen erleidet.
Horatio, Max Landgrebe, spielt das Cello und trägt die Kippa, der musische Jude bei Hofe, bei Gelegenheit erläutert er jüdische Trauerregeln. Das ist, anders als die Gasmasken, in sich überzeugend, deshalb fragt niemand, anders als bei den Gasmasken, nach der Begründung. Claudius (Krunoslav Sebrek) und Gertrud (Dascha Trautwein) hingegen sind ästhetisch verurteilt vom ersten Ton, vom ersten Bild her. Sie lieben Macht und Lust, mag sein, aber das stiftet kein Interesse für Figuren. Sie ballert schon mal mit seiner Pistole, wenn Rosenkranz & Güldenstern zum Rapport erscheinen, muss er schnell die Hose schließen und sie das Kleid. Claudius wechselt SMS mit dem alten Norweg, der empfiehlt ihm, wir sehen das als Projektion, Hamlet betreffend, "Gib ihm was zu ficken", nun ja. Dann soll Hamlet nach England, dann erfährt er, dass Fortinbras sich mit den Polen schlägt um ein Nichts – und dann schminkt er sich ab vor dem kleinen Spiegel. Und in gewisser Weise verliert der bis dahin sehr überzeugende Jonas Schlagowski seinen Gestus und die Inszenierung ihren Rhythmus, jetzt wird sie zeichenhaft brachial.
Der Rest ist Theorie
Nicht nur, weil Claudius im Rock erscheint, weil Laertes (Nahuel Häfliger) mit dem Baseballschläger droht. Was im Eigentlichen droht ist Theorie. Der Matrose, Thomas Kramer macht das schon gut, trägt statt Hamlets Brief den "Offenen Brief" von Wajdi Mouawad vor, den dieser nach 9/11 an die Dreißigjährigen der Welt schrieb, dazu lässt Robert Schuster das Saallicht anknipsen, mit Recht, denn das ist Versammlung mehr als Theater. Das wird zur reinen Theorieveranstaltung, "Die Jugend ist wütend", nun gut, aber vor allem ist der Abend nach der Pause lang, zu lang, zu kraftlos, zu ermüdend. Nora Quest hat als Ophelia vorzügliche Momente, ihr Wahnsinn hat nichts Melodiöses, da ist auch die Wut, die Trauer, die ihren wirklichen Grund nicht kennt. Aber dann wird sie zu Grabe gefahren, drei Mal. Sie dirigiert ihren Trauerzug, Texte aus der "Hamletmaschine", "Ich bin Ophelia ... Willst du mein Herz essen." Usw. usf. Da begräbt eine Generation ihre Hoffnung, ihr Zukunft. Schon, aber es nervt. Dann wird die finale Mörderei abgearbeitet.
Fortinbras kommt nicht, er hat vorher seine Pressesprecherin geschickt und am Ende seine Drohne.
Hamlet
von William Shakespeare
Regie: Robert Schuster, Bühne und Kostüme: Sascha Gross, Musik: Jörg Gollasch, Video: Bahadir Hamdemir, Dramaturgie: Julie Paucker.
Mit: Jonas Schlagowski, Dascha Trautwein, Krunoslav Sebrek, Nora Quest, Nahuel Häfliger, Bernd Lange, Max Landgrebe, Thomas Kramer, Julius Kuhn, Elke Wieditz
Dauer: 3 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.nationaltheater-weimar.de
"Was dem Abend fehlt, sind ein forcierender Rhythmus und eine die Neugier wach haltende Steigerung. So schleppt er sich zwischen den Höhepunkten manchmal mehr, manchmal weniger dahin", schreibt Frank Quilitzsch in der Ostthüringer Zeitung (27.2.2017) über "eine engagierte Regie- und eine bravouröse Ensembleleistung". Insbesondere die Fremdtexteinschübe bekämen der Inszenierung nicht gut. "Denn alles Diskursive dehnt den für sich schon langen Theaterabend noch weiter, macht ihn zäh und breiig."
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