Und alle: Scheiß drauf!

von Sascha Westphal

Dortmund, 3. März 2017. Mike Daiseys Monolog "The Trump Card" stammt noch aus der Zeit vor der Wahl am 8. November 2016. Während Donald Trump durch die Vereinigten Staaten reiste und auf Wahlkampfveranstaltungen seine Reden hielt, war der Autor und Performer Daisey auf seiner eigenen Tour durch das Land. In kleinen Theatern hielt er seinen Wut-Monolog und konfrontierte sein meist linksliberales Publikum mit dessen eigener Verantwortung für den Aufstieg des Milliardärs zum Präsidentschaftskandidaten. Die letzte dieser Vorstellungen fand genau eine Woche vor der Wahl in einem New Yorker Theater statt und wurde live im Netz übertragen. Sieht man sie sich heute auf YouTube an, merkt man an den Reaktionen des unsichtbar bleibenden Publikums, dass die wenigsten mit einem Sieg Trumps gerechnet haben.

Wahlparty mit US-Fähnchen und Hot Dog

Mittlerweile ist Donald Trump schon sechs Wochen im Amt und hat längst begonnen, die Vereinigten Staaten gemäß seinen Vorstellungen neu zu formen. Dennoch steht die Frage "Wie konnte es so weit kommen?" immer noch im Raum. Es ist fast so, als wäre für Trumps Gegner die Zeit in der Wahlnacht des 8. November 2016 stehengeblieben. Mit diesem Eindruck spielt nun auch Marcus Lobbes in seiner Inszenierung der deutschsprachigen Erstaufführung von "Trump".

Zusammen mit seiner Co-Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert hat er die kleinste Spielstätte im Megastore in den Schauplatz einer Wahl-Party verwandelt. Das Publikum findet sich an weißen Stehtischen ein, die mit US-Fähnchen aus Papier geschmückt sind. Es gibt Hot Dogs und Popcorn. Girlanden aus rot-weiß-blauen Luftschlangen zieren den Raum. Vor einer großen Videoleinwand, auf der zunächst das Weiße Haus in all seiner Pracht zu sehen ist, erhebt sich eine kleine Bühne, von der herab Bettina Lieder die versammelten Zuschauer mit den Worten begrüßt: "Wir, meine Freunde, wir alle stecken voll in der Scheiße."

Trump2 560 Birgit Hupfeld uUS-Wahlparty im Dortmunder Megastore © Birgit Hupfeld

Der Wahlkampf ist verloren. Die Party, auf der es nichts mehr zu feiern gibt, liegt in ihren letzten Zügen. Nun ist die Zeit reif für eine schonungslose Analyse. Ein großer Teil des dafür nötigen Materials findet sich in Daiseys Recherche über Trump und seinen Werdegang; und was fehlt, haben Lobbes und sein Team ergänzt. Aus dem Monolog, den Daisey in seiner Performance dem Publikum voller Zorn in einer Art politischer Predigt entgegen schleudert, ist in Dortmund allerdings ein Zwei-Personen-Stück geworden. Bettina Lieder und Andreas Beck verkörpern Geschwister, die sich ihre Sätze gleichsam wie Bälle zuspielen und einander eine Steilvorlage nach der anderen geben. Das Stück, in dem Daisey private Reminiszenzen mit Informationen zu Trumps Biographie und bitterbösen Kommentaren zum politischen Leben in den Vereinigten Staaten vermischt, bekommt dadurch eine viel stärkere Dynamik.

Aufklärung über Trump

Bettina Lieder und Andreas Beck verharren nicht auf dem schmalen Bühnenstreifen. Sie mischen sich immer wieder unter das Publikum, wandern zwischen den Tischen hin und her und sprechen gezielt einzelne Zuschauerinnen und Zuschauer an. Aus dieser physischen Nähe erwächst tatsächlich eine Verbundenheit. Daiseys Performance hat bei allem Zorn und aller Dringlichkeit durchaus auch etwas Didaktisches. Er klärt sein Publikum über Trumps Hintergründe, dessen Vater, den skrupellosen Slumlord Fred Trump, und dessen großen Mentor, den diabolischen Anwalt Roy Cohn, auf. Bettina Lieder und Andreas Beck begegnen den 'Party-Gästen' dagegen auf Augenhöhe und machen sie zu Verbündeten. Die Inszenierung wird so zugleich offen für Zufälle und Improvisationen.

Daiseys Monolog, der das Publikum als stummen Partner nutzt, weitet sich in einen echten Dialog aus, in dessen Verlauf sich Performer und Publikum gegenseitig befeuern. Die Situation fordert beiden Seiten eine besondere Wachsamkeit und Spontaneität ab, aus denen wiederum eine entwaffnende Energie erwächst.

Trump1 560 Birgit Hupfeld uIm Dialog mit dem Publikum: Andreas Beck und Bettina Lieder spielen "Trump" in Dortmund
© Birgit Hupfeld

Bettina Lieders und Andreas Becks Spiel hat im wahrsten Sinne etwas Verführerisches. Sie ziehen das Publikum immer tiefer in eine Situation hinein, in der es alle moralischen und ethischen Bedenken beiseite lässt. Wenn Bettina Lieder von Donald Trumps Reality Show "The Apprentice" erzählt und sich dabei regelrecht in Ekstase redet, greifen die perfiden Mechanismen dieser Shows. Es stört einen nicht mehr, dass es in ihnen nur um die Erniedrigung der Kandidaten geht. Deren Leid wird zur perfekten Unterhaltung. Und schon ist der Abend bei seinem eigentlichen Kern angekommen, der "Scheiß drauf"-Mentalität nicht nur der US-amerikanischen Gesellschaft, die Trump den Weg geebnet hat. Voller Elan feuern Bettina Lieder und Andreas Beck das Publikum auf, in ihre "Scheiß drauf"-Tiraden einzustimmen. Hassreden haben doch etwas Befreiendes, und schon machen einzelne Zuschauerinnen und Zuschauer mit.

Was ist schon dabei? Einiges, wie Andreas Beck dann klarstellt: "Man lässt sich gehen. [...] Und die Sache ist: Jedes Mal, wenn das passiert, nutzt sich unser persönliches Gefühl für Anstand ab." Und wo das mit der Zeit hinführt, daran kann nach Trumps Sieg kein Zweifel mehr bestehen. Die Wahlnacht, in der viele steckengeblieben sind, ist definitiv vorbei. Um uns alle daran zu erinnern, bauen zunächst Bettina Lieder und Andreas Beck, später dann die Bühnenarbeiter noch während der Vorstellung das komplette Bühnenbild ab. Am Ende steht das Publikum in einem leeren Raum. So setzt Marcus Lobbes ein deutliches Zeichen: Es ist Zeit, aus der Erstarrung zu erwachen und sich der alltäglichen Erosion der Demokratie entgegenzustellen.

 

Trump
von Mike Daisey
Deutsch von Anne-Kathrin Schulz und Matthias Seier (Mitarbeit)
Regie: Marcus Lobbes, Bühne: Marcus Lobbes und Pia Maria Mackert, Kostüme: Mona Ulrich, Licht: Stefan Gimbel, Ton: Chris Sauer, Video-Art: Tobias Hoeft und Julia Gründer, Dramaturgie: Anne-Kathrin Schulz.
Mit: Bettina Lieder, Andreas Beck.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterdo.de

 

 
Kritikenrundschau

"Eine Gratwanderung zwischen Kabarett und Gruselgroteske" hat Stefan Keim für den WDR (3.3.2017) in Dortmund erlebt. "Der Abend soll ständig aktualisiert werden. Was in den Nachrichten kommt, fließt direkt in die Inszenierung von Marcus Lobbes ein. Die beiden Schauspieler haben eine große Selbstständigkeit, sie improvisieren, diskutieren, finden wieder zum Grundtext zurück." Lobbes Arbeit wolle "dafür plädieren, trotz aller Irritationen den Kopf nicht nur zum Schütteln zu verwenden."

Christoph Ohrem schreibt auf der Website des Deutschlandfunks (3.3.2017), Marcus Lobbes setzt nicht auf "gefällige Satire oder Dampfhammer-Pointen", Lobbes inszeniert das Stück als Wahlabend. Beck und Lieder "moderieren das Stück lässig an, versprühen dort Charme, wo es in der US-Version mehr um Wut ging". Es entstünde ein "mit Anekdoten gespicktes Psychogramm" Trumps. Lobbes distanziere sich von Daiseys direkter politischer Agitation. Die angebotenen Haltungen und Meinungen wolle er als Angebote zum Nachdenken verstanden wissen. Damit gelinge ihm ein "wichtiger Diskursbeitrag": Als Zuschauer hinterfrage man sein eigenes Verhältnis zu diesem und anderen Demagogen. "Trump" werfe die Frage auf: "Wie kann man guten Gewissens amüsiert zuschauen - und nichts unternehmen?"

Christine Adam von der Neuen Osnabrücker Zeitung (online 4.3.2017) hat in Dortmund "kein billiges Trump-Bashing" erlebt. Marcus Lobbes inszeniere "eine prachtvolle amerikanische Gartenparty" mit "großartig" aufgelegten Schauspieler*innen und entlasse "nachdenkliche Zuschauer".

"Die Inszenierung verzichtet auf die Ha-Ha-Gute-Laune-Stimmung (obwohl durchaus auch gelacht wird)", berichtet Ralf Stiftel für den Westfälischen Anzeiger (6.3.2017). Die beiden Akteure "spielen großartig die Zerstörung der Illusion, man könne den Rechtsrutsch einfach weglachen." Donald Trump "erscheint als Prototyp des populistischen Politikers, als einer, der immerwieder ausprobiert, wie weit er gehen kann, womit er durchkommt. In dem Punkt wird Daiseys Stück anwendbar auf die Verhältnisse hierzulande, wo der Tabubruch der Radikalen ebenfalls für Abstumpfung sorgt."

Das Stück "entpuppt sich als Textgranit, aus dem die brillanten Darsteller in gut eineinhalb Stunden ein Bild Donald Trumps hauen", schreibt Klas Libuda in der Rheinischen Post (6.3.2017). Marcus Lobbes inszeniere das Stück als "360-Grad-Vollkontakt-Theater". Eine Einschränkung hat die positive Kritik: "Erkenntnisgewinn birgt 'Trump' kaum, weil man ja ohnehin schon jede Neuigkeit über Trump mit Faszination und Schauder aufsaugt."

Martin Krumbholz schreibt in der Süddeutschen Zeitung (6.3.2017), "Trump" sei kein "feinsinniger Theateressay", sondern "Performance, Agitation und pures Kabarett". Der Text sei "sehr komisch, auf eine krasse, sarkastische Art". Jedoch: "über Trump zu lachen, mag befreiend sein, es verharmlost jedoch auch das Problem". Marcus Lobbes' Inszenierung gebe sich viel Mühe, aus einem "ultralangen Sketch ein wirkliches Theaterstück zu machen". Die düstere Botschaft dieses Abends laufe darauf hinaus, Trump sei nur der Anfang.

"Ein Theatervergnügen" sei der Abend "im einfallsreichen Arrangement von Marcus Lobbes", so Bernhard Doppler im Standard (7.3.2017). "Mit viel Furor, manchmal dozierend, manchmal mit sarkastischer Lust agieren die Schauspieler Andreas Beck und Bettina Lieder, immer wieder sich zwischen den Tischen unter die Partygäste mischend." Politisches Kabarett laufe schnell Gefahr, Donald Trump als Witzfigur zu verniedlichen und intellektuell auf Distanz zu halten. "Nicht so Mike Daiseys theatralische Berichte. Die Produktion schürft tiefer, grundsätzlicher."

"In Gehalt und Analyse ist das Stück einem differenzierten Zeitungsartikel unterlegen, und so käme es darauf an, die Figur mit den Mitteln und Freiheiten des Theaters so darzustellen, dass es über das Bekannte hinausgeht", findet hingegen Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.3.2017). Die Wahlparty allerdings erscheine als Grundkonstellation so banal wie beliebig, auch wenn sie am Ende 'kritisch' ausgestellt werde. "Das Theater arbeitet an seiner Selbstaufgabe, die Kunst zahlt drauf. Ein läppisch schlichtes Stück über einen läppisch schlichten Präsidenten. Das passt dann wieder. Kongenial."

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