Abwerten, aufwerten

von Dirk Pilz

8. März 2017. Diesmal ein Hinweis zu einer hitzigen Debatte. Seit Wochen wird über ein Podium diskutiert, das erst in der kommenden Woche im Theaterhaus Gessnerallee in Zürich stattfinden sollte. Die Veranstaltung stand unter dem heiklen Titel Die neue Avantgarde. Sie wollte laut Ankündigung diskutieren, ob die Renaissance des Rechtsnationalen eine Avantgarde-Bewegung sei, wie dem Rückzug in ideologische Filterblasen beizukommen und was eigentlich der Unterschied zwischen populär und populistisch ist. Jetzt hat das Theaterhaus die Sache abgesagt, eben "aufgrund der Hitze der durch sie ausgelösten Debatte – in der Diffamierungen, persönliche Beleidigungen und Erpressung leider nicht gescheut wurden". Trotz der, so heißt es ausdrücklich, "positiven bzw. differenzierten Medienberichterstattung und dem vermehrten Zuspruch von Kolleg*innen" sei nun das Sicherheitsrisiko zu groß geworden. 

kolumne 2p pilzDas Sicherheitsrisiko war nicht Bestandteil der Debatte um diese Veranstaltung. Diesem Unterfangen wurde vielmehr einerseits Blauäugigkeit vorgeworfen, weil es mit Marc Jongen einem der "raffiniertesten und klügsten Rhetoriker (Demagogen) in den Reihen der AfD" eine Plattform biete, ohne eine entsprechende Gegenposition eingeladen zu haben. Andererseits stand es auch unter Verdacht, eine "neoliberale Event-Logik" zu benutzen, also eine Art Debatten-Show zu veranstalten, bei der eben dieser Jongen nur "gewinnen" könne. Man verschaffe hier "Brandstiftern" ein Podium, "welche die offene, demokratische Gesellschaft zerstören wollen".

Es entbehre allerdings, so mit dem Kunstwissenschaftler und Journalisten Jörg Scheller einer der geladenen Gäste dieser öffentlichen Diskussion, nicht einer gewissen Ironie und Tragik, dass sich die Kritiker der Veranstaltung "derselben Strategien bedienen" wie etwa die AfD, indem sie Aussagen verkürzten, aus dem Zusammenhang rissen und falsch wiedergäben. "Wo kämen wir hin, wenn wir sagten: In öffentlichen Debatten können wir nur verlieren respektive die AfD nur gewinnen?"

Feinde, Fehler

Man kam damit in eine Situation, die jede Debatte genau dieser Gewinner- und Verlierer-Logik aussetzte. Das mochte seine Vorteile haben: Es zwang die Debattanten in dieser Stellvertreterdiskussion zur Stellungnahme: Ein Teil der lokalen Presse warf sich so vehement (und aufschlussreich unkritisch) für Marc Jongen in die Bresche wie der Theatermann Samuel Schwarz von Anfang an die gesamte Veranstaltung am liebsten verhindert sehen wollte.

Der gesamte Streit wurde dabei harscher, der Ton unversöhnlicher. Das zumindest unglückliche, wenn nicht reichlich unbedachte Vorgehen des Theaterhauses Gessnerallee hat dazu sicher beigetragen – man kann sich nicht des Eindrucks einer gewissen Naivität (oder Ausgebufftheit?) auf Seiten der Veranstalter erwehren. Ursprünglich waren im Vorfeld des geplanten Podiums "alle eingeladen, die über das Podium streiten und über andere Strategien nachdenken wollen, dem erstarkenden Rechtspopulismus entgegenzutreten". Auch das ist jetzt abgesagt. Aber das Theaterhaus Gessnerallee bleibt überzeugt, "dass das weltweite Erstarken von Populismus und Autoritarismus sowie die Renaissance reaktionären Denkens Phänomene sind, die wir nicht ignorieren können, sondern mit denen wir uns konfrontieren müssen – nicht nur in den jeweils eigenen Milieus, sondern offensiv in öffentlichen Debatten." Ja, aber nicht, indem man eben jenen Strategien dieser Neuen Rechten aufsitzt, sich vermeintlich selbstkritisch zu geben, dabei aber diese Selbstinszenierung als bloßen Katalysator des eigenen Denkens zu nutzen.  

Man kann diese selbstinszenatorischen Techniken hervorragend in dem Ende der Woche erscheinenden Buch Die autoritäte Revolte von Volker Weiß studieren, auch, wie wenig die Öffentlichkeit das Denken der Neuen Rechten bislang durchdrungen hat. Ein Denken, das auf der "Feindschaft gegen den humanistischen Universalismus" gründet, so Weiß. Naivität ist in diesem Kontext politisch nicht nur töricht, sondern affimiert unweigerlich, was vorgeblich diskutiert werden soll.

Man kann allerdings auch schwer übersehen, dass auf Seiten der Kritiker die geistige Verfasstheit eines Theatermilieus zutage tritt, das sich auffallend schwer mit Weltanschauungen und Welthaltungen tut, die nicht der eigenen, zumeist als pauschal "links" verstandenen Wahrnehmung entsprechen. Es geht offenbar noch immer davon aus, dass sich gleichsam naturgemäß aus einer kritischen Haltung eine "linke" ergibt, wobei bezeichnenderweise häufig offen bleibt, was das im konkreten Einzelfall überhaupt bedeutet. Auf das Erscheinen von nicht-linken Positionen im eigenen Biotop kann dieses Milieu augenscheinlich nur mit Entsetzen und Unverständnis reagieren. Es scheint sich, so Volker Weiß wohl treffend, die alte Regel zu bewahrheiten, nach der die Stärke der Rechten auch immer aus der Schwäche ihrer Gegner resultiert.

Werte, Kämpfe

Das allein erklärt aber noch nicht die Vehemenz dieser Debatte. Vielmehr scheint sich in ihr (wieder einmal) etwas niederzuschlagen, was bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts und später in den 60er Jahren energisch diskutiert wurde: das ausschließliche Denken in Wertkategorien, die sich an den Kriterien von Sieg und Niederlage orientieren.

Heikel wird dies bereits bei der Frage danach, wer Werte überhaupt setzen darf. Für Max Weber war es das einzelne Subjekt, das hier seiner Entscheidungsfreiheit folge. Damit aber greift eine Wertelogik, die zum Kampf der Werte und Weltanschauungen selbst führt. "Jeder Wert hat − wenn er einmal Macht gewonnen hat über eine Person − die Tendenz, sich zum alleinigen Tyrannen des ganzen menschlichen Ethos aufzuwerfen", schreibt Nicolai Hartmann 1925 in seiner "Ethik". Das gelte auch für gemeinhin als "gut" erachtete Werte wie etwa die offene, öffentliche Debatte oder der Gerechtigkeit. So gebe es einen "Fanatismus der Gerechtigkeit (...), der keineswegs bloß der Liebe, geschweige denn der Nächstenliebe ins Gesicht schlägt, sondern schlechterdings allen höheren Werten." Toleranz und Selbstzweifel seien hierbei nicht mehr vorgesehen.

Es ist genau das, was die AfD und ihre Ideologen etwa tun: einen Wertekampf inszenieren, der immer schon als entschieden dargestellt wird und damit allen demokratischen Grundlagen, Toleranz und Selbstzweifel inbegriffen, entgegensteht. Zu diesem Kampf sollte sich gerade das Theater nicht verführen lassen – man kann ihn in der Tat nur verlieren, weil es hierbei nichts zu gewinnen gibt. Denn dass ein solcher Kampf für höchste, schützenswerte (!) Werte in deren Gegenteil umschlägt, war nicht nur an jenem Krieg im Namen von Demokratie und Freiheit zu bemerken, den George W. Bush einst begonnen hat. Diese Tendenz ist auch jetzt mit Blick auf das Zürcher Podium zu erleben, wenn das schützenswerte Recht auf freie Meinungsäußerung an die "richtigen" politischen Werte gekoppelt wird statt an verfassungsrechtliche Normen, die von der AfD systematisch ausgehöhlt werden.

"Die Furcht, man könne dabei 'nur verlieren' und den 'Anderen' als Steigbügelhalter dienen", so dazu die Stellungsnahme von der Gessnerallee, verrate "eine zu defensive Haltung, welche die eigenen Stärken unterschätzt oder gar in Abrede stellt". Genau damit aber schreibt man jene Logik eines Wertekampfes fort, die von der Neuen Rechten im Dienste ihrer Ideologie eingesetzt wird. Genau damit bedient man ein Denken, das vorgeblich "offensiv" erst zur Debatte gestellt werden soll.

Gewinnen, verlieren

Man setzt sich so übrigens einem Denken mit langem Vorlauf aus, der keineswegs zur bloßen Vergangenheit herabgesunken ist. Papst Hadrian VI. (1459-1523) etwa wird jener lateinische Satz zugeschrieben, den Friedrich Wilhelm I. populär gemacht hat, als er ein mildes Urteil gegen den Fahnenflüchtling Hans Hermann von Katte in ein Todesurteil umwandelte: Fiat iustitia, et pereat mundus. Es sei Gerechtigkeit, und gehe die Welt darüber auch zu zugrunde. Es muss gewonnen werden, und gehe man selbst damit unter.

Die Zürcher Veranstaltungsmacher haben sich damit in eine Lage manövriert, die das Denken der sogenannten "neuen Avantgarde" schon vor dem Podium und auch nach deren Absage noch nobilitiert. Was ist mit der Absage jetzt erreicht? Es ist, nach dem gesamten Diskussionsverlauf, Wasser auf die Mühlen jener, die unter dem Deckmantel der Diskussionsfreiheit Ideen verbreiten, die genau diese Freiheit bestreiten. Sie glauben sich in dem Verdacht bestätigt, dass es eine Freiheit nicht gibt, die sie selbst bestreiten – die Spirale der wechselseitigen Dämonisierung dreht sich weiter.

Für die Zukunft sollte sich jedes Theaterhaus genauer überlegen, was das Ziel solcher Veranstaltungen eigentlich sein soll. Der Hinweis auf die Notwendigkeit von Debatte überhaupt ist schlichter Formalismus. Denn einen interesselosen, ideologisch freien Raum, in dem sich verschiedene Meinungen miteinander messen lassen, gibt es nicht, erst recht nicht, wenn er von Meinungen besetzt ist, die diesen Raum gerade bekämpfen. Und es gibt ihn auch nicht im "spezifischen Rahmen des Theaters", wie die Gessnerallee jetzt in ihrem Absageschreiben behauptet, weil Theater wie jeder andere Ort in politischen Debattenfragen keinem spezifischen, eigenen Rahmen, sondern dem gesamtgesellschaftlichen angehört.

 

Hinweis: Eine nicht vollständig korrekte Darstellung der Position von Samuel Schwarz wurde am 8. März um 15:12 Uhr korrigiert.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

 

Beiträge zur Sache:

Meldung 7. März 2017: Gessnerallee sagt umstrittene Veranstaltung ab

Meldung 22. Februar (mehrmals aktualisiert): Kritik an geplanter Diskussionsveranstaltung wird laut

Chronik einer abgesagten Diskussion mit einem AfD-Funktionär im Theaterhaus Gessnerallee (12.3.2017)

 

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Kommentare  
Kolumne Gessnerallee: eine Krankheit
Danke!! Insbesondere für den Verweis darauf, dass interessefreie Räume nicht existieren. Das scheint mir eine Krankheit überhaupt zu sein. Werte verteidigen zu wollen und zu vergessen,dass es um Interessen geht. Zu staunen, wenn plötzlich Kampf stattfindet, wo man doch nur mal reden wollte.
Kolumne Gessnerallee: irreführend
Lieber Herr Pilz,

besten Dank für Ihre differenzierte Stellungnahme. Ich möchte darauf hinweisen, dass Ihre Argumentation in einem – entscheidenden – Punkt irreführend ist: Das Podium war explizit NICHT als "Wettkampf" oder gar als "Wettkampf der Werte" angelegt. Erst in der Kritik und der öffentlichen Debatte wurde es dazu überformt. So wurde der Begriff "gewinnen" u.a. in der WOZ gebraucht; ich habe ihn aufgegriffen, habe auf ihn reagiert. Wie der Ankündigung unschwer zu entnehmen ist, verfolgten wir ein gegenteiliges Ziel, welches uns wiederum als "naiv" ausgelegt wurde: "Marc Jongen, Olivier Kessler, Jörg Scheller und Laura Zimmermann debattieren darüber, was Kategorien wie «liberal», «progressiv» und «reaktionär» heute bedeuten. Ist die Renaissance des Rechtsnationalen eine Avantgarde-Bewegung? Wie ist dem Rückzug in ideologische Filterblasen beizukommen? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen populär und populistisch?" Auch mein Streitgespräch mit Marc Jongen im Schweizer Monat (2016) zielte darauf ab, nicht in die unselige Logik des "clash of civilizations" zu verfallen – ich bin ein Verfechter des Konzepts der Transkulturalität und kann mich schon deshalb nicht einem Herder'schen Kultur-als-Kugel-Denken anschliessen. Es ging uns nicht um eine "Arena", in welcher "gekämpft" wird und aus der "Sieger" oder "Verlierer" hervorgehen sollen – das gleichnamige Talkshow-Format hat in der Schweiz bekanntlich massgeblich zum Aufstieg der SVP beigetragen. Von dieser Spektakelmaschine wollten wir auf kleiner Bühne vor ca. 80 ZuschauerInnen wegkommen. Deswegen auch die Besetzung mit Personen "aus der zweiten Reihe", also nicht die üblichen Profi-Politiker – Marc Jongen wurde von seinen Gegnern im Vorfeld leider zu einem unüberwindbaren Thymos-Riesen, gegen den man "nur verlieren könne" – da ist sie wieder, die Wettkampf-Logik –, oder gar zum "Chef-Ideologen" der AfD hochstilisiert, dass er alle anderen Teilnehmenden überragte. Erst seine Gegner haben ihn zu dieser herkulischen Figur gemacht – man bot hier eine Arbeitsbeschaffungsmassnahme sondergleichen.

Mithin ginge es uns um die Schaffung eines temporären Unwahrscheinlichkeitsraums, in welchem eine Diskussion über die Begriffe stattfinden sollte, derer sich die Kontrahenten bedienen. Allerorten, im rechten wie im linken, im konservativen wie im progressiven Lager, wird mit denselben Begriffen hantiert – jede(r) will liberal, kritisch, avantgardistisch etc. sein. Wie Eric Voegelin richtig bemerkte, ist der erste Schritt in Richtung Totalitarismus oder Autoritarismus die Zerstörung der Sprache. Die Diskussion zeigte auch, dass bestimmte Kreise meinen, "Avantgarde" sei etwas per se gutes – was sie nicht ist, sie war oft faschistisch oder sonstwie utopisch-totalitär – oder dass sie den Begriff für sich gepachtet hätten – was sie nicht haben.

Das Podium hätte nicht mehr und nicht weniger generieren sollen als ein Dokument – ein Dokument, welches für künftige Auseinandersetzungen als Grundlage dafür hätte dienen können, wie die Beteiligten ihre Begriffe definieren, gebrauchen, verdrehen, strategisch einsetzen, etc. Es ist unsere Pflicht, solche Dokumente zu generieren und zu kommunizieren, um in der Zukunft auf sie verweisen zu können – abseits und jenseits der hysterischen Talkshow-Logik. Wenn es nicht mehr möglich ist, einen dritten Raum zu öffnen, der kontraintuitiver, unwahrscheinlicher Art ist, der Selbstüberwindung und sonstige Anstrengungen kostet – dann bleibt nur noch der Stellungskrieg mit Fernwaffen.

Last but not least kann ich die Beweggründe der Gegner des Podiums gut nachvollziehen. Ich respektiere ihr beherztes Eintreten für Ihre Anliegen. Allerdings bin ich der Meinung, dass sie sich im Kampf dem Gegner, was die Methoden betrifft, in gewisser Hinsicht anverwandelt haben. Wir müssen raus aus der Eskalationslogik. Wie? Darüber wird weiter gestritten werden.

Mit besten Grüssen,

Jörg Scheller
Kolumne Gessnerallee: falsch wiedergegeben
Lieber Dirk Pilz, danke für diesen differenzierten Text.
Allerdings ist hier die Positionierung von Samuel Schwarz am Anfang der Debatte falsch wiedergegeben. Er hat in seinem Statement auf Nachtkritik nicht darauf bestanden, dass die Veranstaltung verboten würde, sondern, dass sie- auf Grund fehlender Vertretung anti-rassistischer, migrantischer und dezidiert linker Positionen in dieser Form "verhindert werden müsste. Ein "Verbot" ist etwas völlig anderes. Schwarz hat nicht nach einem staatlichen Eingriff gerufen.

Meret Hottinger, Digitalbühne Zürich
Kolumne Gessnerallee: postfaktisches Theater
Gute Analyse - die Verantwortung liegt beim Theaterhaus, das sich die Argumentation und Terminologie ihrer Podiumsteilnehmer nicht nur bereits aneignet hat, sondern ihr mitunter vorausging. Wenn von "Drohungen" die Rede ist, diese aber nicht belegt werden, ist das nicht nur ein gefundenes Fressen für Jongen, der dieses Zitat prompt postet, sondern auch ein Lehrstück des Postfaktischen und der Selbstviktimisierung. Arme Gessi, armer Jongen - NOT!
Kolumne Gessnerallee: blauäugig
Lieber Jörg Scheller,

so sehr mir ihr Anliegen verständlich (und auch richtig) erscheint, zeugt mir ihr vorangegangener Post doch genau von der Blauäugigkeit, die den Veranstaltern der Podiumsdiskussion von den Unterzeichnern des offenen Briefes vorgeworfen wurde. Und übrigens nur aufgrund dieser Blauäugigkeit sollte die Veranstaltung abgesagt werden, nicht, weil man grundsätzlich gegen die Form des Gesprächs ist.
Die Fragen der Veranstaltung lauteten (u.A.): Wie ist dem Rückzug in ideologische Filterblasen beizukommen? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen populär und populistisch?
Sie laden mit Marc Jongen und dem SVP-Mann aber zweifelsohne Ideologen ein (und es sind zudem ausschließlich rechte), die das zwar sicherlich verhüllen - und das ist genau das Problem. Sie geben mit dem Rahmen des Gesprächs den Ideologen die Möglichkeit, die Ideologiehaftigkeit ihres Denkens zu verhüllen. Als wären sie es nicht! Wollen Sie bestreiten, dass Marc Jongen en rechter Ideologe ist? Wirklich? Es ist, als würde man sich öffentlich (und somit letztlich doch immer in einem Inszenierungs-Format) mit einem Löwen über die Vorteile des Vegetarismus unterhalten. Die Einführung eines solchen öffentlichen Gesprächsrahmens verhüllt, dass der Löwe aber nach wie vor eindeutige Interessen hat. Das ist der einzige Effekt.
Und wenn Sie, lieber Herr Scheller, ihr Gespräch mit Marc Jongen noch einmal lesen, mit wirklich offenen Augen, dann werden Sie sehen: Es gibt zwar von Ihnen eine offene, fragende Haltung, aber in Marc Jongens Teilen gibt es die Frage nicht als Haltung, sondern nur die Aussage. Natürlich kann man das erstmal übersehen - das ist ja gerade das Problem eines derartig angelegten Formats!
Und es ist trotzdem richtig, sich mit den Rechten zu unterhalten, nicht aufzugeben, aber es ist blauäugig, zu glauben, dies könnte in einem öffentlichen Raum und also in einem Inszenierungs-Raum geschehen.
Führen Sie das Gespräch fort (wir alle sollten es fortsetzen!), aber in Bezug auf die Person, und nicht in derartig gestalteten öffentlichen Formaten.
Kolumne Gessnerallee: Ethnopluralismus vs. Transkulturalität
Lieber Jörg Scheller,

das Konzept des "Ethnopluralismus" der Neuen Rechten scheint mir dem Begriff der Transkulturalität entgegengesetzt zu wirken, in der Tat nicht agonistisch, sondern antagonistisch (Bsp. u.a.: "Gegen die Ideologie des Multikulturalismus", "Flüchtlinge auf Inseln", "Muslim Ban", sonst "drohender Volkstod").

Wie kann ein Podium diese Positionen vermitteln wollen? Stimme mit Herrn Bernlein völlig überein: "Sie geben mit dem Rahmen des Gesprächs den Ideologen die Möglichkeit, die Ideologiehaftigkeit ihres Denkens zu verhüllen."
Können Sie bitte ausführen, wie Sie mittels Ihres Begriffs der Transkulturalität im Dialog mit der AfD ein "Dokument" schaffen wollten, dass künftigen Disputen dienlich sein könnte?

Anhand von Carl Zuckmayers „Völkermühle“ in "Des Teufels General" spricht Wolfgang Welsch von einer historischen Transkulturalität:

„... stellen Sie sich doch einmal ihre Ahnenreihe vor - seit Christi Geburt. Da war ein römisch Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. - Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant - das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt - und - und der Goethe, der kam aus demselben Topf und der Beethoven, und der Gutenberg und der Matthias Grünewald, und - ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen".

Wollten Sie Jongen, der Ihres Erachtens weder Harras, noch Herkules zu sein scheint, mit dem Konzept der Transkulturalität überraschen?

Beste Grüße,
Häberle, Grundschullehrer, Nürtingen
Kolumne Gessnerallee: Antwort und Änderung
Liebe Meret Hottinger,
der Text ist ja inzwischen geändert. Ich hatte allerdings weder geschrieben noch gemeint, dass es um den Staat geht, der verbietet/verbieten sollte. Es gibt ja noch weitere Möglichkeiten des Verbietens (etwa, dass sich etwas ‚der Sache nach‘ verbietet), und so hatte ich die Einlassung von Samuel Schwarz auch verstanden. Aber ich sehe, dass meine Verwendung von "verbieten" in diesem Zusammenhang missverständlich gelesen werden konnte, deshalb auch die Änderung.
herzliche Grüße,
Dirk Pilz
Kolumne Gessnerallee: problematische Verkürzung
So differenziert die Kolumne in vielen Punkten auch ist: den Gegner*innen pauschalisiert ein linkes Selbstverständnis zu unterstellen - da traditionell en vogue im "Theatermilieu" - das die Äußerung anderer Weltanschauungen nicht ertragen kann und will, halte ich für hochgradig problematisch. Der gegen die Veranstaltung verfasste Brief verschreibt sich in seiner ideologischen Essenz ja lediglich einem humanistischen Selbstverständnis, das sich gegegn Abwertungen von Menschen etwa aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft richtet - diese Auffassung kann und wird, von konservativ-christlichen über liberale bis hin zu linksradikalen politischen Lagern geteilt. Insofern finde ich es schon fast ebenso perfide wie die Veranstaltung als "Die neue Avantgarde" zu betiteln, wenn der Autor hier Herrn Jongens Ideologie und die seiner Partei, die dezidiert anti-humanistisch und offen rassistisch ist, eben nur als nicht-linke und damit implizit ja schon valide und diskurwürdige Meinung präsentiert.
Kolumne Gessnerallee: hineinlesen
Liebe Isa Bell,
diesen Ihren Einwand kann ich nicht nachvollziehen, ich betone ja gerade die anti-humanistische und nicht an einer offenen Debatte interessierte Haltung der Neuen Rechten, und ich zitiere ja ausdrücklich Volker Weiß, der von "Feindschaft gegen den humanistischen Universalismus" spricht. Aber es ist, so meine ich, dennoch der Punkt nachdenkenswert, nach dem die Stärke der Rechten auch aus der Schwäche ihrer Gegner resultiert. Man muss sehr viel unterstellen und hineinlesen, um diesen Hinweis so wie Sie zu deuten, nämlich als hieße das, die Neue Rechte als "implizit valide" zu betrachten. Das scheint mir vielmehr von der Notwendigkeit des selbstkritischen (im besten Sinne aufklärerischen) Denkens abzulenken, von der niemand ausgenommen ist.
herzliche Grüße: Dirk Pilz
Kolumne Gessnerallee: diskussionswürdig
Abgesehen von dem, was Dirk Pilz hier meinen könnte, oder - obwohl nicht ausgeschrieben - wollte, #8: man kann zu Herrn Jongen, seiner Berfus- wie Parteitätigkeit und seinen Lieblingsauftrittsorten stehen wie man will, und ich stehe dazu durchaus gegnerisch - nicht feindlich, sondern gegnerisch, das ist ein Unterschied. Aber: dass er eine Meinung präsentiert, die nicht diskurswürdig sei, ist ganz offenbar nicht der Fall.
Ich wünschte inniglich, sie wäre nicht diskurswürdig. Schon allein wegen des schwer beherrscht zornigen Tonfalls von Schreiberzeugnissen, die in jenem Umfeld veröffentlicht werden, in dem er am allerallerherzlichsten willkommen geheißen wird.
Aber offenbar ist sie es. Diskurswürdig.
Weil sich sonst hier nicht so viele Leute deshalb halb aufräufeln würden und nicht so viel - und eigentlich nie an Marc Jongens Formulierungen entlang - debattieren würden.
Es kann also möglich sein, dass nicht mehr auseinandergehalten wird, ob es zu debattieren gilt über die Ansichten und Meinungen, die Herr Jongen in seiner Freizeit verbreitet. Oder ob es lediglich zu debattieren gilt darüber, ob er in einem Theater als öffentlichem Raum genauso seine Ansichten und Meinungen vortragen können soll wie beispielsweise in einem "Institut für Staatspolitik", das aber mit einer demokratischen Mehrparteiensprektrum-Staatspolitik gar nichts zu tun hat, sondern ganz eindeutig eine lediglich anzustrebende rechtspopulistische Staats-Politik mit deutlichst neofaschistischen Tendenzen meint. Das ist dann allerdings eine Avantgarde. Nur neu, neu ist die beileibe nicht. Sie richtet sich genauso gegen ein demokratisches wahlweise mit Regierung beauftragtes Mehrparteienspektrum wie das in Zeiten der Weimarer Republik bei Aufkommen der NSDAP war. Und zwar mit der gleichen Aggressivität, die zur endgültigen Durchsetzung der NSDAP von ihr damals als notwendig propagiert wurde. Wenn mich überhaupt etwas mehr als wundert, ist, dass der Verfassungsschutz dieses Institut nicht der Rede wert findet.Jedenfalls nicht offiziell etwa in Medien der Rede wert. Vielleicht hat er aber auch schon genug V-Männer dort installiert, um die Sache im Griff behalten zu können. Das ist ja so ungeheuer bewährt, wenn man rechtspopulistischer Aggression vorbeugen will...
Herr Jongen wird es auch schwer haben: sein einstiger Lehrer wurde medial herumgereicht und war präsent in so vielerlei Lichtern und unter so vielen gehaltenen Gaffern und so gut verlegt mit so dicken Büchern in erstklassigen Verlagen - und er, obwohl Schüler eines prominenten Philosophen, muss nur ein einziges Seminar halten. Und das auch noch über Texte, von denen er vermutlich nur einen ganz und einen wenigstens halb wirklich mögen wird, wenn man seinen Freizeitreden Glauben schenken darf... Da kann der Beruf ja zur Strafe werden!
Kolumne Gessnerallee: einseitig
Lieber Herr Pilz, gewöhnlich schätze ich Ihre Kommentare. Im vorliegenden Fall irritiert mich die Einseitigkeit ihrer Ausführung, mit der Sie quasi den Gärtner zum Bock machen. Sie schreiben: Die Inszenierung eines Wertekampfs, „der immer schon als entschieden dargestellt wird“ sei, was die AfD und ihre Ideologen tun. Und mahnen: „Zu diesem Kampf sollte sich gerade das Theater nicht verführen lassen“. Irritierend daran ist, dass Sie das nicht klarer an die Adresse der Podiumsgegner richten. Jener Wertekampf, der zweifellos „allen demokratischen Grundlagen, Toleranz und Selbstzweifel inbegriffen entgegensteht“, wurde von den Podiumsgegnern geführt, was die Presse ihnen auch angekreidete. Nämlich, dass sie den Meinungspluralismus bekämpften und dabei sich frei von Selbstzweifel erst noch für lupenreine Demokraten hielten. Wer an die schweizerische Konkordanz gewöhnt ist, für den ist eine solche Rede-Sperre eine schallende Ohrfeige gegen das Demokratieempfinden. Andere Meinungen gelten lassen, heißt, andere Menschen reden lassen. Wie geht das, nach Zensur rufen und von sich glauben, man sei humanistisch? Demokratische Werte lassen sich nicht auf undemokratische Weise verteidigen. Oder anders gesagt: Werte vertreten, ohne sie zu leben, wirkt widersprüchlich, in dem Fall so sehr, dass viele Journalisten stutzig wurden. Dass sich diese speziell „für Marc Jongen in die Bresche“ geworfen hätten, wer will das ernsthaft glauben. So interessant Ihre Ausführung auf der Werte-Ebene ist, so sehr führt sie auf ein vornehmes Nebengeleise. Auf eine Metaebene gehievt und begrifflich substituiert bleibt das Undemokratische der geschehenen Diskussionsverhinderung bestehen trotz Verklärung als probates Mittel gegen undemokratische Wertekämpfe.
Die Lehre, die Sie, Herr Pilz, daraus für die Theaterhäuser ziehen – „Für die Zukunft sollte sich ... genauer überlegen“ – klingt wie ein Drohwort zur Selbstzensur. Ja nicht wagen falsche Denker einladen. Einschüchterung wirkt aber falsch und gegen die demokratische Kultur von Theater. Das Theater ernst nehmen, bedeutet, auf der Bühne erkunden, was falsch und richtig ist. Warum Sie die Eignung von Theater für Meinungsdebatten abtun mit der dünnen Begründung, es gebe ja grundsätzlich keinen idealen Raum dazu, besonders nicht, wenn er durch falsche Meinungen besetzt sei, ist unbegreiflich und für die Praxis wenig dienlich. Es berührt merkwürdig, dass Sie nicht bemerken, wie Sie hier eine Tendenz beschwören, die nicht auf eine gesellschaftliche Öffnung der Möglichkeiten von Theater hinwirkt, vielmehr auf ihre Verschließung.
Kolumne Gessnerallee: Antworten
Werte/r C.M.,
dass ich mit meinen Anmerkungen auf eine "Verschließung" der Theater hinwirke, scheint mir ein krasses Missverständnis zu sein. Ich sage das nicht, ich meinte das auch nicht. Aber ich sagte, dass ich den Anspruch des Podiums, in einem "spezifischen Rahmen" gleichsam ohne alle politischen Vorzeichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge diskutieren zu können, für abwegig halte, eben weil gerade auch das Theater keinen "speziellen" Rahmen hat - es steht nicht außerhalb, es ist kein Ort, an dem sich mit Meinungen etc. "experimentieren" ließe (künstlerisch schon, aber nicht in solchen Debatten): Theater sind gerade nicht in dieser Weise verschlossen, jeder Versuch, sie zu verschließen sitzt vielmehr einer Selbstblendung auf: Sie stehen weder außerhalb der gesamtgesellschaftlichen Zwänge und Möglichkeiten noch über diesen. Genau deshalb war dieses Podium aber so problematisch: Es tat so, als könne man im "speziellen Rahmen" des Theaters in einer Weise diskutieren, die "draußen" nicht (mehr) möglich ist. Das ist, was ich bestreite.

Lieber Herr Scheller,
nachdem ich nun Ihren heutigen Text in der NZZ gelesen habe, fällt es mir einigermaßen schwer zu sehen, dass es darum gegangen sein soll, einen "temporären Unwahrscheinlichkeitsraum" zu schaffen, denn mit ihm argumentieren Sie nicht aus einer Situation heraus, in der die Zeit erst "anbricht", in der "Zwischentöne und Skepsis" als "Schwäche" ausgelegt werden - wir sind mitten in ihr. Und gerade das macht dann wohl "temporäre Unwahrscheinlichkeitsräume" umso mehr unwahrscheinlicher. Das ist allerdings nichts, was man erst durch diese Debatte um das Podium weiß, sondern zur Signatur der gegenwärtigen politischen Diskussionen gehört. So zu tun, als wüsste man es nicht, erscheint in meinen Augen tatsächlich als naiv - oder vorsätzlich blind.

herzliche Grüße,
Dirk Pilz
Kolumne Gessnerallee: Rhetorik der Ausgrenzung
Es ist interessant zu betrachten, mit welcher Chuzpe einige Diskutanten alle Hebel der Rhetorik in Bewegung setzen, damit ein Verbot nicht Verbot und Zensur nicht Zensur genannt wird. Das seinerzeit von Linken gerne ins Feld geführte Wort der Rosa Luxemburg, Freiheit sei immer Freiheit der Andersdenkenden, scheint nur dann zu gelten, wenn es sich beim Andersdenkenden um die eigene peer group handelt. Auf andere Andersdenkende trifft es per se nicht zu. Sobald man vom Opfer zum Akteur wurde, dreht man den Spieß um: Verbieten, verbieten, verbieten. So tönt das Mantra der neuen Verbotslinken.

Wenn wir nochmal zurück auf Anfang uns bewegen, dann sehen wir, daß es bei der Einladung von Jongen primär nicht auf Werte ankommt, sondern um ein ganz basales Recht innerhalb eines demokratisch verfaßten Gemeinwesens geht: Nämlich das Recht einer Institution, die Veranstaltungen durchzuführen, die ihr belieben, und die Gäste einzuladen, die sie einladen möchte. Ohne direkt oder indirekt bedroht zu werden. Faktum ist, daß die Veranstaltung - gegen den Willen der Beteiligten - nicht stattfand. Alles andere, was hier an Ausreden und Insinuationen gewebt wurde, ist diskursives Verschleiern dieser basalen Tatsache. Und das hat zunächst nichts mit Werten zu tun. Zumal wir die Werte und Positionen von Jongen zu dem Thema der neuen Avantgarde nicht kennen, denn dazu eben wäre ja die Diskussion gut gewesen, sie kennenzulernen und ggf., sofern Argumente zur Hand, seine Sicht zu entkräften. Eine spannende Debatte, die nun dank der Zensursulas nicht zustande kam.

Aber es scheinen in diesem Falle einige vor ihrem Gegner Jongen eine derartige Angst zu haben und die Hosen gestrichen voll, daß da nur ein Verbot als alternativlos gedacht werden kann. Diskussion, Debatte, Disput scheint in einer auf Identitätspolitik bedachten Theaterwelt, die gerne unter sich und ihresgleichen bleibt, nicht vorgesehen. Schade. Man muß am Ende wohl für jene auf Diskursreinheit bezogenen Kulturalisten das Diktum Rosa Luxemburg ummodeln: Frei ist, wer über die Ausladung bestimmt. Und hinterher kann man sich mutig und couragiert fühlen. Spätestens beim nächsten Theaterbier in der Kantine vom Maxim Gorki.

„Der Knecht singt gern ein Freiheitslied
Des Abends in der Schenke:
Das fördert die Verdauungskraft
Und würzet die Getränke.“

Beim tatsächlichen Kampf gegen die AfD hilft das freilich gar nichts.
Kolumne Gessnerallee: Warum-Frage
Ich verstehe auch nicht, warum hier auf (moralische) Wertfragen zurückgegriffen wird. Kann man nicht einfach mal die Warum-Frage stellen? Der Existentialismus ist ein Humanismus!

https://monde-diplomatique.de/artikel/!5381578
Kolumne Gessnerallee: Gespräch mit dem Mörder
„So stellten sie auf, nicht fürchtend die unreine Wahrheit/In Erwartung des Feinds ein vorläufiges Beispiel/Reinlicher Scheidung, nicht verbergend den Rest/Der nicht aufging im unaufhaltbaren Wandel“

So beschreibt Heiner Müller am Ende des „Horatiers“ die allgemeine Lage. Ich habe das Stück immer geliebt, auf Grund seiner Klarheit, und zugleich gefürchtet, weil es ihm nicht gelang einen gewissen stalinistischen Grundton abzulegen. Und doch, das Theater war ja immer recht fleißig auf dem Gebiet, liefert es auch heute noch Ansätze zu Lösungen. „Nämlich die Worte müssen rein bleiben, denn sie fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar, kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich.“,könnte man frei weiter zitieren.

Ein Gespräch mit einem Mörder bleibt eben immer ein Gespräch mit einem Mörder, egal wie klug er sich strategisch verhält, und das muss man nach außen kenntlich machen. Und natürlich befinden wir uns im Kampfmodus. Es gibt in dem Sinn keine kampflose Debatte. Das jedoch ein Theater ein „vorläufiges Beispiel“ zeigen möchte und die „unreine Wahrheit“ dabei nicht fürchtet, erscheint mir nur logisch, da eine Absage eines solchen Streites, er findet ja so oder so statt, immer als undemokratisch ausgelegt werden kann.

„Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche.“ heißt es weiter bei Müller. Es muss eben gelingen den Mörder immer als das anzusprechen, was er ist und bleibt, ein Mörder (oder auch Mörder der Freiheit), selbst wenn es darum geht sich als Theater für die Demokratie verdient zu machen, in dem man mit ihm spricht. Da darf man aber eigentlich auf die Mittel des Theaters vertrauen, wenn man sie nur richtig anwendet und eine solche Veranstaltung ins richtige Bett zu legen weiß.
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